Im Reiche des silbernen Löwen I. Karl May

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Im Reiche des silbernen Löwen I - Karl May

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hinwollte, mußte er bei mir vorüber.

      Ich wartete in großer Spannung fünf Minuten, zehn Minuten, fast eine Viertelstunde; da kam er, ganz so, wie ich es wünschte, von da her, wohin er gegangen war. Er hatte sein Gewehr in der rechten Hand und hielt mit der linken die Decke vorn zusammen, die er um die Schultern geworfen hatte. Ich ließ ihn vorbei; er griff nach seinem Pferde; diesem schmeckte das saftige Laub; es verweigerte den Gehorsam; das Geräusch der stampfenden Hufe übertönte dasjenige, welches dadurch entstand, daß ich unter dem Epheu hervorkroch. Einige Schritte brachten mich hinter ihn. Er riß das Pferd am Zügel an sich und hob den linken Fuß, um in den Bügel zu steigen, da legte ich ihm die linke Hand, während ich ihm mit der rechten den Revolver entgegenstreckte, auf die Schulter und sagte:

      »To-kei-chun mag noch warten; ich habe mit ihm zu sprechen.«

      Er fuhr herum. Wegen meines sonderbaren Anzuges erkannte er mich im ersten Augenblicke nicht, dann aber flog der Ausdruck des Schreckes über sein Gesicht und er rief:

      »Old Shatterhand! Old – — Old – — —!«

      »Ja, Old Shatterhand ist‘s,« nickte ich; »der räudige Hund, den du im fernen Norden glaubtest. Bewege dich nicht, sonst schieße ich!«

      Aber er war kein Mann, der sich länger als nur einen Augenblick vom Schreck beherrschen ließ; sein Gesicht nahm schnell den Ausdruck des Gleichmutes an, und er sagte im Tone der größten Ruhe:

      »Uff! Du bist es wirklich. Ich höre, daß du uns belauscht hast. Was wünschest du, mit mir zu reden?«

      Mit mir zu kämpfen wagte er nicht, denn erstens war ich ihm da weit überlegen; das wußte er gar wohl, und zweitens sah er die Mündung des Revolvers und mußte annehmen, daß ich bei der geringsten Bewegung, die auf einen Angriff deutete, schießen würde. Ich blickte ihm fest in das Gesicht, denn sein Auge mußte mir seine Gedanken verraten. Es glitt von mir ab; er drehte den Kopf ein wenig um und sah nach hinten. Ah, er wollte entwischen, mit einem schnellen Sprunge ins Gebüsch hinein! Sollte ich mir den Spaß machen und ihn fortlassen? Ja! Er war mir ja auf alle Fälle sicher. Darum that ich keinen Griff, um ihn festzuhalten, und antwortete:

      »Ich will mit dir über deine Gefangenen sprechen, die du freigeben sollst.«

      »Freigeben? Welch ein Verlangen! Was gehen sie dich an?«

      »Sie sind meine Freunde.«

      »Aber meine Feinde. Wir haben den Tomahawk des Krieges gegen die Bleichgesichter ausgegraben, und jeder Weiße, den wir einfangen, wird von uns an den – — – «

      Weiter sprach er nicht; vielmehr drehte er sich bei dem letzten Worte blitzschnell um und sprang in das Gebüsch. Ich ging ihm nach, nicht schnell, sondern langsam, schlug dabei, um Geräusch zu machen, mit den Händen in das Gesträuch und rief, als ob ich in höchster Eile sei:

      »Halt, halt! Bleib stehen, sonst schieße ich dich nieder!«

      Meine Schläge in die Büsche, die er hören mußte, sollten in ihm den Glauben erwecken, daß ich hinter ihm herlaufe; dann aber ging ich zu seinem Pferde zurück und zog einen von den Riemen aus der Tasche, die ich gestern abend nach der Befreiung Dschafars eingesteckt hatte. Mit diesem Riemen band ich den einen Hinterfuß des Pferdes an der nächsten Buschwurzel fest und kroch hierauf schnell in mein Versteck zurück. Das Pferd stand ruhig und knupperte an dem Laube weiter.

      Ich hätte To-kei-chun sehr leicht am Entweichen hindern können, aber es machte mir nun einmal Spaß, ihn nochmals zu überlisten. Ich nahm an, daß er eine Strecke fliehen und dann vorsichtig zurückkehren werde, um sein Pferd zu holen, denn dieses war ihm unentbehrlich und trug seine Medizin am Halse, für die ein Indianer hundertmal sein Leben wagt. Und selbst wenn diese Annahme eine irrige gewesen wäre und er auf das Pferd verzichtet hätte, so mußte er seinen Leuten zu Fuß nach und ich konnte auf seinem eigenen Tiere hinter ihm her und ihn einholen.

      Ich lag also wieder unter dem Epheu und hatte zwischen den Blättern eine Oeffnung, welche mir erlaubte, nach allen Seiten zu blicken. Natürlich kam er nicht von derjenigen, in welcher er geflohen war und mich hinter sich glaubte; diese ließ ich also unbeachtet. Desto schärfer spannte ich nach den andern drei Seiten.

      Da, nach ungefähr fünf Minuten, sah ich, daß sich gerade vor mir ein Busch bewegte, leise, sehr leise. Die Zweige teilten sich, und sein Gesicht erschien zwischen ihnen. Er blickte nach dem Pferde, sah mich nicht am Platz, glaubte also, daß ich noch nach ihm suche, und sprang nun eiligst herbei, um sich aus dem Staube zu machen.

      Er gewahrte den Riemen nicht, stieg auf und wollte fort; das Pferd konnte nicht gehorchen; er forschte nach dem Grunde, bemerkte, daß es mit dem Beine festhing, und stieg wieder ab, um das Hindernis genauer zu betrachten. Als er sich dabei bückte, stand ich schon hinter ihm und sagte:

      »Ich wußte es doch, daß To-kei-chun nur spazierengehen wolle; drum ließ ich ihn fort und folgte ihm nicht, sondern wartete auf seine Rückkehr.«

      Jetzt war sein Schreck noch größer, als das erste Mal. Er fuhr empor und starrte mich ganz fassungslos an. Ich sah ihm lächelnd in das verzerrte Gesicht und fuhr fort:

      »Damit er aber nicht wieder spazieren gehe, will ich ihm zeigen, daß er sich bei Old Shatterhand befindet.«

      Er hatte sein Gewehr aus der Hand gleiten lassen, griff aber jetzt nach dem Gürtel, um das Messer zu ziehen; da traf ihn meine Faust an den Kopf; er stürzte nieder. Ein zweiter Hieb raubte ihm vollends das Bewußtsein; ich hatte ihn.

      Nun band ich zunächst sein Pferd los und stieg auf, um zu sehen, ob es mir gehorchen werde. Mit den drei Gewehren und dem Indianer in den Armen konnte ich mich auf keine Reiterkünste einlassen. Es weigerte sich nur kurze Zeit; dann sah es ein, daß Widerstreben nutzlos sei. Ich stieg also wieder ab, hing mir meine Gewehre und das seinige auf den Rücken, hob ihn selbst hoch und legte ihn dann, als ich wieder aufsaß, quer vor mir auf das Pferd, um in dieser Weise zu Dschafar und Perkins zurückzukehren.

      Erst ging es schwierig durch die Büsche; als ich dann den Wald hinter mir hatte, ritt ich Galopp. Die beiden sahen mich kommen. Sie saßen auf der Erde, sprangen aber auf und kamen mir entgegen.

      »Gott sei Dank! Da seid Ihr wieder,« rief mir Perkins schon von weitem zu. »Ah, Ihr habt einen Roten auf dem Pferde! Wohl gar ein Gefangener? Wer ist‘s?«

      »Seht ihn an,« antwortete ich, bei ihnen angekommen.

      »Allah, Allah!« stieß Dschafar hervor. »Das ist ja der Häuptling mit dem weißen Haar, der uns ermorden wollte!«

      »Natürlich der! Den wollte ich doch haben. Ein anderer könnte uns nichts nützen. Nehmt ihn mir ab, damit ich aus dem Sattel kann! Wir müssen ihn binden.«

      Sie hoben ihn herunter und legten ihn auf die Erde nieder. Dabei sagte Perkins:

      »Wahrhaftig, er hat ihn gefangen! Und sogar sein Pferd bringt er! Das ist ein Streich, den Euch nicht gleich ein anderer nachmacht, Mr. Shatterhand! Wie habt Ihr denn das angestellt?«

      »Sehr einfach. Es ist ganz leicht gewesen.«

      »Einfach! Leicht! Siebzig Indianer! Und er holt ihren Häuptling aus ihrer Mitte! Wer nicht dabei war, glaubt es nicht!«

      Während wir den Comantschen fesselten, erzählte ich, wie mir seine Gefangennahme gelungen war. Sie ergingen sich in allen möglichen Ausrufungen, denen ich ein Ende machen mußte, weil ich sah, daß To-kei-chun wieder zu sich kam. Er öffnete die Augen, sah uns einen nach dem andern an und schloß sie dann wieder; er mußte sich besinnen; bald aber riß er sie

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