Am Rio de la Plata. Karl May
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Diese Frage war an mich gerichtet. Ich zuckte die Achsel.
»Ich kenne die hiesigen Gesetze nicht und bin auch nicht der Richter, welcher ihm sein Urteil zu sprechen hat.«
»Pah, Richter! Wollten wir diese Sache der Polizei und dem Gerichte übergeben, so hätten wir tausend Scherereien. Wir müßten als Zeugen bis nach beendetem Prozesse hier bleiben und würden indessen von den Freunden dieses Kerls beiseite geschafft. Vielleicht käme die Behörde gar auf den Gedanken, uns alle einzusperren, damit wir uns ja nicht vorzeitig entfernen könnten. Ich kenne das. Nein, die Richter sind wir selbst. Das ist das Kürzeste und Beste. Und nach den Gesetzen oder nach dem Urteile, welches das Gericht fällen würde, frage ich auch nicht. Ich selbst mache das Gesetz. Im Urwalde ebenso wie in der Pampa ist es Sitte, einen Mörder einfach für immer unschädlich zu machen. Man giebt ihm das Messer oder eine Kugel in den Leib. Das werden wir auch hier thun.«
»Nein, Sennor, damit bin ich nicht einverstanden.«
»Aber, warum denn nicht?«
»Weil ich weder der Richter noch der Henker dieses Mannes bin.«
»Aber das sollen Sie auch gar nicht sein, sondern wir wollen es übernehmen.«
»Sie haben mit dieser Angelegenheit gar nichts zu thun; sie ist allein meine Sache, weil ich beleidigt bin.«
»Caramba! Jetzt laufe ich seit Nachmittag hinter dem Halunken her, nehme dazu sogar den Beistand meiner Kameraden in Anspruch; es gelingt mir auch, den Mord zu verhüten, und da soll mich diese Sache jetzt nichts angehen? Hat man schon so etwas gehört! Sie haben mir eine große Wohlthat erwiesen, Sennor; Sie sind also mein Freund; was man meinem Freunde thut, das ist ganz so, als ob es mir selbst gethan wird; wenigstens ist das der Gebrauch unter den Yerbateros. Man hat Sie morden wollen; das gilt gleich einem gegen mich selbst gerichteten Mordversuch, den ich unbedingt bestrafen muß.«
»Wäre ich ermordet worden, so könnten Sie als mein Freund mich rächen; da mir aber nicht das mindeste Leid geschehen ist, so bitte ich Sie, die Sache auf sich beruhen und den Kerl laufen zu lassen!«
»Herr, man merkt, daß Sie ein Deutscher sind. Bekommen in Ihrem Vaterlande die Mörder vielleicht einen Orden oder irgend eine andere Belohnung und Auszeichnung? Bedenken Sie doch: wenn Sie ihm die Freiheit geben, so wird er dieselbe sofort benutzen, den bisher verunglückten Anschlag gegen Sie besser auszuführen!«
»Er mag es versuchen! Ich kenne seine Absichten nun so genau, daß ich sie nicht zur fürchten brauche. Prügelt ihn tüchtig durch, wenn Ihr wollt. Vielleicht macht ihn das willig, uns zu sagen, von wem er seinen Auftrag, mich zu ermorden, erhalten hat.«
»O, das zu erraten, ist kinderleicht; aber er soll es uns dennoch sagen müssen. Wie viele Hiebe soll er erhalten?«
»Ihr schlagt so lange, bis er gesteht, wer ihn gegen mich gedungen hat. Dann aber erhält er keinen einzigen Schlag weiter. Ich mag nicht dabei sein. Ich mag den Menschen überhaupt nicht mehr sehen.«
Ich ging hinaus und schritt suchend einigemal um das Haus. Es war keine Spur von den Bewohnern desselben zu sehen. ich hörte deutlich die Hiebe fallen, welche der Bravo erhielt, doch vernahm ich keinen Schmerzenslaut. Als zehn Minuten vergangen waren, öffnete ich die Thüre und sah hinein, Der Kerl lag auf dem Bauche. Seine Hose war zerschlagen und blutig gefärbt, und doch grinste er mir mit einem höhnischen Lachen in das Gesicht. Er hatte nichts gestanden, überhaupt keinen Ton, keine Silbe hören lassen; er schien die Nerven eines Nilpferdes zu besitzen.
»Sennor, was meinen Sie?« fragte Monteso. »Er gesteht nichts, und wenn wir fortfahren, so schlagen wir ihn tot.«
»Er hat genug. Laßt ihn liegen! Ich kenne ohnedies den Mann, von welchem er seinen Auftrag erhalten hat.«
»Gut, so mag er liegen bleiben. Wir schließen ihn ein, so daß man nicht sogleich zu ihm kann. Besser aber ist es, wir löschen das Licht aus und bleiben hier, um die Bewohner dieses Hauses abzufangen.«
»An ihnen liegt mir nichts. Ich mag nichts mehr von ihnen hören.«
»Gott segne Ihre Milde, Sennor, aber sie ist nicht angebracht. Wenn mich ein Ungeziefer beißt, so mache ich es tot, sonst beißt es mich wieder. Doch, ganz wie Sie wollen. Laßt uns also gehen!«
Er kam mit den andern heraus, schloß die Thüre zu und warf den Schlüssel von sich. Wir gingen über die Blöße zurück und bogen dann in die Straße ein. So gelangten wir in die Stadt, ohne belästigt worden zu sein. Wir hatten unterwegs gar nicht gesprochen.
»Gehen Sie sofort in Ihr Hotel?« fragte mich Monteso. »Oder würden Sie uns die Ehre erweisen, ein Gläschen mit uns zu trinken, Sennor? Sie würden uns dadurch außerordentlich erfreuen.«
Ich hatte dem Manne mein Leben zu verdanken und mochte ihn also nicht durch die Zurückweisung dieser freundlichen Einladung betrüben oder gar beleidigen. Darum nahm ich dieselbe an.
Er führte mich von der Hauptstraße in eine der Querstraßen, wo wir in ein unscheinbares Haus traten, dessen Schild anzeigte, daß es eine gewöhnliche Schenke sei.
Cigarettenqualm und wüstes Geschrei drang uns aus der halb offenen Thüre der Gaststube entgegen. Schon bereute ich, mitgegangen zu sein; aber Monteso trat nicht in diese Stube, sondern er klopfte an eine Thüre, hinter welcher die Küche zu liegen schien. Ein junges, sauberes Weibchen kam heraus und machte ihm einen tiefen Knix.
»Ist oben offen?« fragte er.
»Ja. Es sind einige Sennores da, und meine Schwester ist zur Bedienung oben.«
»So gehen wir hinauf. Sorgen Sie dafür, daß wir nicht von Gesindel belästigt werden!«
Das klang in einem ganz andern Tone, so bestimmt, als ob er von Jugend an gewöhnt sei, Befehle zu erteilen. Sie verneigte sich abermals wie vor einem gebietenden Herrn, und dann stiegen wir die Treppe hinauf.
Droben kamen wir erst in ein kleineres Vorzimmer, in welchem einige Hüte hingen und Stöcke in einem eleganten Halter standen. Monteso schlug eine Plüschportiere zurück, und wir traten in einen schmalen, langen Salon, welcher reich ausgestattet war. Einige Lustres verbreiteten beinahe die Helle des Tages. Die Tische hatten Marmorplatten; Stühle und Diwans waren mit rotem Plüsch überzogen. Auf jedem Tische stand eine Flaschenkollektion mit Weinen verschiedener Sorten. Kurz und gut, der Salon hätte in das feinste Hotel einer europäischen Großstadt gepaßt.
Vom Büffett erhob sich ein junges Mädchen, um uns mit tiefen Verbeugungen zu grüßen. An einem Tische saßen vier Herren, welche ihrer Kleidung nach den besten Ständen angehörten. Auch sie grüßten höflich. Einer von ihnen reichte sogar Monteso in kordialer Weise die Hand.
Und hier verkehrten die Yerbateros? Die andern fünf waren ebenso lumpig gekleidet, wie Monteso. Sie gingen barfuß. Ihre Hüte waren in Summa keine fünfzig Pfennige wert. Haare und Bärte waren ungepflegt. Keiner schien sich später als vor Monaten gewaschen zu haben. Ich war erstaunt, ließ aber natürlich nichts davon merken.
Monteso schritt zum hintersten Tische, welcher so groß war, daß wir alle Platz an demselben fanden, gab einen Wink, uns da niederzusetzen, und kehrte zum Büffett zurück, um eine