Am Rio de la Plata. Karl May
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Читать онлайн книгу Am Rio de la Plata - Karl May страница 35
»Diese Notwendigkeit sehe ich ein. Was aber hat dies mit meiner unbedeutenden Persönlichkeit zu thun?«
»Außerordentlich viel. Unser späterer Präsident hat seine Dispositionen in tiefster Verborgenheit zu treffen. Er hat Reisen zu unternehmen, von denen unsre Gegner nichts ahnen dürfen. Da giebt es Besuche, Konferenzen und dergleichen, welche nur im stillen abgehalten werden dürfen. Da man aber ahnt, was im Werke liegt, so beobachtet man ihn auf das allerstrengste. Darum müssen wir ein Mittel zu entdecken suchen, welches geeignet ist, diese lästige und gefährliche Aufmerksamkeit von ihm abzulenken. Wir haben es gefunden. Dieses Mittel sind – — Sie, Sennor.«
»Ich, ein Mittel? Schön! Aber wollen Sie mir auch sagen, welche Wirkung dieses Mittel haben soll?«
»Indem wir die Aufmerksamkeit unsrer Gegner von Latorre abziehen und auf Sie lenken.«
»Ah, jetzt beginne ich, zu begreifen. Ihre Gegner sollen mich für ihn halten?«
»Ja.«
»Soll ich vielleicht seinen militärischen Rang einnehmen und seine bezüglichen Pflichten erfüllen, während er sich nach einem Orte zurückzieht, an welchem er unbeobachtet für Ihre Partei wirken kann?«
»Ihre Frage trifft die Wahrheit halb, zur andern Hälfte geht sie über dieselbe hinaus. Seinen Rang können Sie nicht einnehmen; das ist sehr klar. Aber die Angelegenheit soll so arrangiert werden, daß Latorre sich einen Urlaub nimmt, um auf einer entlegenen Hazienda oder Estanzia seine angegriffene Gesundheit zu kräftigen. Dorthin reisen Sie; dort tragen Sie seine Uniform; dort sind Sie ganz Latorre. Man wird alle Aufmerksamkeit auf Sie richten und dann finden, daß Sie in tiefster Einsamkeit nur allein Ihrer Gesundheit leben. Inzwischen geht Latorre incognito nach einer ganz andern Gegend, wo er seine Anhänger sammelt, seine Pläne entwirft und dann zur geeigneten Stunde losbricht.«
»Und was wird aus mir zu dieser geeigneten Stunde?«
»Sie setzen Ihre unterbrochene Reise fort, nachdem Sie die eklatantesten Beweise unsrer Dankbarkeit empfangen haben.«
»Und worin werden diese Beweise bestehen? Meinen Sie irgend eine Bezahlung?«
»Bezahlung! Wer wird sich so eines Wortes bedienen! Nennen wir es Honorar, Dotation oder dergleichen! Bestimmen Sie die Höhe der Summe, welche Sie für zureichend halten, das Opfer zu ersetzen, welches Sie uns bringen.«
»Ich kenne die Art und die Größe dieses Opfers nicht. Es kann sich um eine kleine Zeitversäumnis, aber auch um mein Leben handeln, Sennor.«
»Das letztere unmöglich!«
»O doch. Wenn der echte Latorre losbricht, können seine Gegner sich sehr leicht über den unechten hermachen, um ihn ein wenig tot zu schießen. Werde ich füsiliert, so bin ich nicht mehr imstande, mich der Dotation zu erfreuen, welche Sie mir so freundlich bewilligen wollen.«
Der Rittmeister hatte bisher seinen Vater sprechen lassen. Jetzt sagte er.
»Sennor, fürchten Sie sich? Ich habe Sie für einen mutigen Mann gehalten!«
»Ich bin kein Feigling; das habe ich schon oft bewiesen und finde wahrscheinlich Gelegenheit, es auch fernerhin zu beweisen. Aber es ist zweierlei, das Leben für sich selbst, für die Seinigen, für sein Vaterland zu wagen oder es um Geldes willen für fremde Interessen auf das Spiel zu setzen. Was das Wagnis an sich betrifft, so wollte ich mich getrost für Latorre ausgeben und die Folgen ruhig erwarten. Ihre Gegner fürchte ich gerade so wenig, wie ich auch vor Ihnen keine Angst besitze. Brächte mich diese Angelegenheit in Gefahr, so traue ich mir Mut und List genug zu, derselben zu entkommen. Also die Rücksicht auf einen etwaigen Schaden, den ich erleiden könnte, ist es nicht, was mich verhindert, auf Ihre Offerte einzugehen.«
»Welchen andern Grund hätten Sie dann?«
»Den, daß die Sache mir nicht gefällt. Ich hasse die Unwahrheit, die Lüge, und einer großen, ungeheuern Lüge würde ich mich schuldig machen, wenn ich Ihren Wunsch erfüllte.«
»Aber es ist für die gute Sache!«
»Jeder andere würde mir ganz dieselbe Versicherung geben.«
»Sennor, Sie sind sehr schwer zu bekehren!«
»Weil ich überhaupt nicht bekehrt sein will.«
Bei diesen Worten stand ich auf. Der Kaufmann ergriff schnell meinen Arm, zog mich auf den Sitz nieder und sagte:
»Handeln Sie nicht zu schnell, Sennor! Sie bleiben mein Gast auf alle Fälle, selbst wenn die Hoffnungen, welche wir auf Sie setzten, nicht erfüllt werden. Ich zweifle übrigens noch nicht daran, daß wir dennoch einig werden. Vielleicht wissen Sie nicht, welche Gegenleistung Sie von unsrer Dankbarkeit erwarten dürfen. Es sind reiche, sehr reiche Männer unter uns, und der Vorteil, welchen Ihre Aehnlichkeit mit Latorre uns bietet, ist so groß, daß Sie durch die Annahme meines Vorschlages geradezu Ihr Glück machen können.«
»Was nennen Sie Glück?«
»Als Kaufmann verstehe ich unter dem Ausdrucke „sein Glück machen“ die Erlangung großer geschäftlicher Vorteile, also besonders die Erwerbung einer Summe Geldes von so bedeutender Höhe, daß man für die Lebenszeit aller Sorgen enthoben ist. Sagen Sie mir, welche Summe Sie verlangen!«
»Gar keine. Ich sehe mich ganz außer stande, Ihnen den gewünschten Dienst zu erweisen.«
»Hoffentlich ist das nicht Ihr letztes Wort in dieser Angelegenheit, welche Ihre ganze Zukunft bestimmen kann.«
»Mein Entschluß lautet nicht anders, und ich pflege solche Entschlüsse niemals aufzugeben.«
»Dennoch bitte ich Sie, sich die Sache doch noch zu überlegen. Ich will jetzt nicht näher in Sie dringen. Sie haben heute abend Gelegenheit, uns kennen zu lernen. Wenn Sie sich dann meinen Vorschlag beschlafen, so werden Sie mir morgen früh gewiß Ihre Zusage erteilen.«
Ich wollte eine Gegenbemerkung machen; aber er stand auf und wehrte mir mit den Worten ab:
»Bitte, sagen Sie jetzt nichts mehr! Sie wissen nun, um was es sich handelt. Bis morgen wird Ihnen wohl der bessere Entschluß kommen. Ich sehe, daß man die Lichter anbrennt. Die Gäste werden jetzt kommen. Begeben wir uns in das Haus.«
Es war beinahe dunkel geworden. Wir befanden uns im Oktober, also im südamerikanischen Frühlinge, wo die Abende zeitig anbrechen. Vom Hause her flimmerte Lichterschein. Die berühmte Tertullia sollte beginnen. Darum begaben Vater und Sohn sich nach den Gesellschaftsräumen; ich aber suchte meine Stube auf, um nicht der erste der Gäste zu sein. Vorher aber ging ich zu einem Bäcker, welcher nebenan wohnte, wie ich bemerkt hatte, und kaufte mir ein Schwarzbrot, wie es hier von den armen Leuten gegessen wird. Mit demselben begab ich mich in den Stall, um mein Pferd zu füttern.
Der Knecht war anwesend. Er wunderte sich nicht wenig, als er das Brot sah und daß ich es zerschnitt und dem Pferde gab. Auch für das Tier war diese Gabe etwas ganz Ungewohntes. Es fraß und rieb dabei den Kopf dankbar an meiner Schulter. Jedenfalls war es das erstemal, daß es bei einem Menschen Liebe fand. Als ich es streichelte, wieherte es freudig auf. Ich war überzeugt, daß es mir gelingen werde, es an