Am Rio de la Plata. Karl May
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Читать онлайн книгу Am Rio de la Plata - Karl May страница 30
»Vielleicht finden wir, vielleicht! Sennor, auf Ihr Vielleicht kann ich mich nicht einlassen! Ich befehle Ihnen strengstens, ganz gewiß eine Kutsche zu finden, und jetzt sofort aufzubrechen!«
»Das ist unmöglich. Sie werden das einsehen!«
»Nichts sehe ich ein, ganz und gar nichts! Ich erkenne keine Unmöglichkeit an! Was ich verlange und wir alle verlangen, muß möglich gemacht werden. Wissen Sie, wer ich bin, Sennor?«
»Ich schmeichle mir, Sie allerdings oft gesehen zu haben, kann aber Ihre Frage nicht genau beantworten.«
»Ich bin die Schwester des Bürgermeisters von San José, heiße Sennora Rixio und bin die Gattin des Kauf- und Handelsmannes gleichen Namens. Wissen Sie es nun?«
Er bejahte durch eine stumme Verneigung.
»Und,« fuhr sie fort, »ich muß unbedingt auf das schnellste nach Hause. Ich habe heute abend eine Gesellschaft, eine großartige Tertullia, zu welcher die Vornehmsten der Stadt geladen sind. Ich kann meinen Pflichten nicht entsagen und die Gäste auf mich warten lassen. Ich bin die Leiterin, die Königin des gesellschaftlichen Lebens und darf mir nicht die Blöße geben, bei einer Tertullia zu fehlen, zu welcher ich selbst die Einladung erlassen habe. Sie haben alle Rücksicht auf diese meine Stellung zu nehmen und augenblicklich aufzubrechen!«
Die „Königin des gesellschaftlichen Lebens“ sagte das in einem Tone, welcher unter andern Verhältnissen geeignet gewesen wäre, jeden Versuch eines Widerspruches abzuschneiden. Die andern Passagiere, von denen glücklicherweise keiner eine wirkliche Verletzung davongetragen hatte, standen still umher. Sie sahen ein, daß es für sie am allerbesten sei, zu schweigen, da die energische Dame ihre Angelegenheit nach besten Kräften führen werde. Der Mayoral aber deutete kopfschüttelnd auf den Wagen und blieb bei seiner Behauptung:
»Es ist wirklich ganz unmöglich, Ihrem Wunsche nachzukommen. Sie müssen sich ebenso wie wir alle in die Notwendigkeit fügen!«
»Das fällt mir nicht im Schlafe ein! Ich bin wegen meiner Tertullia nach Montevideo gefahren, um mir einen Hut nach dem neuesten Pariser Muster zu holen. Den Hut habe ich und nun muß ich unbedingt heim, um ihn – — O Himmel!« unterbrach sie sich. »Dort liegt er an der Erde! Wie wird er aussehen! In welchem Zustande mag er sich befinden! Ihre Diligence geht mich nichts an; sie möchte immerhin zerschellt und zerbrochen sein; aber mein Hut, mein Hut! Welch ein schweres Geld habe ich zahlen müssen; nun ist er verschimpfiert, und ich soll außerdem zu spät zur Tertullia kommen! Ich glaube, ich falle in Ohnmacht, wenn ich die Schachtel öffne!«
Sie eilte zu der Stelle zurück, an welcher der Hut lag, und ich hob denselben auf, um ihn ihr hinzureichen. Kein Maler hätte es vermocht, das Gesicht wiederzugeben, welches sie machte, als sie die zusammengequetschte Form nun näher betrachtete, als es vorhin der Fall gewesen war. Nie wieder habe ich bei einer Dame ein so deutlich ausgesprochenes Herzeleid gesehen, auf einen erhofften Vorzug verzichten zu müssen. Die Klagen, welche sie ausstieß, hätten eigentlich Lachen erregen müssen, erweckten aber meine Teilnahme. Sie bemühte sich vergeblich, die verbogene Schachtel zu öffnen. Endlich warf sie dieselbe zur Erde und rief im höchsten Zorne:
»Ich kann nicht einmal zu dem Hute! Man hat mir auf denselben getreten. Das herrliche Frühjahrsmodell ist mir verdorben. Wer kann es mir ersetzen, und wer wird mich überhaupt entschädigen, wenn ich meine Tertullia versäume! Ich werde es meinem Bruder sagen, die ganze Gesellschaft einzusperren!«
Ich hob die weggeworfene Schachtel wieder auf, betrachtete sie und sagte in tröstendem Tone:
»Vielleicht läßt sich der Schaden wieder heilen, Sennora!«
»Das ist unmöglich! Sie sehen ja, wie zusammengedrückt das Dings ist! Man kann es ja nicht einmal öffnen!«
»Darf ich es versuchen?«
»Bitte, bitte, haben Sie die Güte! Vielleicht gelingt es Ihnen besser als mir.«
Es gelang mir allerdings besser, aber erst nach längerem Bemühen. Ich bog zunächst die Knillen der Schachtel aus und zog sodann das „Frühjahrsmodell“ aus derselben. O weh! Wie sah der Hut aus! Er war von sehr hoher Façon gewesen, jetzt aber ganz und gar zusammengedrückt. Die Sennora schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und schrie:
»Entsetzlich! Dieses Meisterstück ist mir für alle Zeit verdorben! Sieht es nicht wie die reinen Eierkuchen aus? Ich zittere vor Entsetzen! Der Schreck kann mich töten! So ein Unglück wurde noch niemals erlebt, von keinem Menschen!«
Ich untersuchte den Hut. Er bestand aus einer Façon aus dünnstem Drahte, welcher mit einem spinnwebfeinen Zeuge überzogen war. Der daraufliegende Grund war von schwarzem, dünnem Schleierstoffe, und der Ausputz bestand in einer seidenen Bandschleife, zwei aufgepufft gewesenen Rosetten und einer weißen Straußenfeder. Diese Teile befanden sich freilich in einem sehr tristen Zustande. Das Gesicht der Dame aber sah noch weit trauriger aus.
»Beruhigen Sie sich, Sennora!« tröstete ich sie. »Vielleicht läßt sich diese Ruine wieder herstellen. Die Façon wird sich wohl ausbiegen lassen, und die Feder kann wieder gerade gerichtet und gekräuselt werden.«
»Meinen Sie?« fragte sie in hoffnungsvollerem Tone.
»Ja, gewiß. Die Schleife muß freilich abgenommen und von neuem gesteift werden, was mit Hilfe von Weizenkleie und einem Plätteisen sehr gut möglich ist, und den Rosetten kann man wohl ihr früheres Aussehen auch wieder geben.«
Sie sah mich mit großen Augen an.
»Verstehen Sie denn etwas von solchen Dingen, Sennor?« fragte sie. »So sind Sie wohl zufälligerweise ein Modisto?«
»Das nicht, Sennora,« lächelte ich, da mein Aussehen eine solche Vermutung eigentlich gar nicht zuließ.
»Oder ein Hutmacher?«
»Auch das nicht. Aber ich habe eine Schwester, welche sich ihre Hüte stets selbst aufputzt, und bin oft mit großem Interesse Zeuge solcher Arbeit gewesen. Ich habe mir die dabei vorkommenden Kunstgriffe genau gemerkt und möchte behaupten, daß ich Ihren Hut recht leidlich zu reparieren vermag.«
»Durch diese Mitteilung versetzen Sie mich in die höchste Seligkeit. Ich würde Ihnen ganz unbeschreiblich dankbar sein, wenn Sie sich meiner erbarmen wollten!«
»Sehr gern, Sennora. Aber hier im Campo ist das nicht gut möglich.«
»Wir werden ja doch nicht hier bleiben. Wohin reisen Sie denn?«
»Wir gehen nach San José, wo wir für die nächste Nacht zu bleiben beabsichtigen.«
»Das ist ein sehr glückliches Zusammentreffen. Sie werden mir dort, bevor die Tertullia beginnt, den Hut herstellen. Wollen Sie das? Wollen Sie mein Retter sein?«
Sie ergriff bittend meine Hand.
»So weit es in meinen Kräften steht, bin ich zu Ihrer Verfügung. Aber wie wollen Sie bis zum Abend nach San José kommen? Die beiden Räder der Diligence sind so kaput, daß ein Zusammenbinden der Stücke nicht möglich ist. Man wird den Wagen fortschleifen müssen.«
»So bin ich freilich verloren! Mein Ruf steht auf dem Spiele; ja, er ist so gewiß wie ganz dahin!«
»Hm! Wenn Sie reiten könnten, Sennora!«