Im Lande des Mahdi III. Karl May
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Den Bach? Das klingt so heimatlich! Freilich mache ich, indem ich dieses Wort anwende, mich einer Unrichtigkeit schuldig. Was wir Weiher und Bäche nennen, giebt es in jenen Gegenden nicht. Und die Höhen, von denen ich sprach, waren noch lange keine Berge. Aber nach einer dreitägigen Wanderung durch fieberstinkenden Sumpf kommt man leicht in die Gefahr, eine Bodenanschwellung als Höhe und ein Wasser, welches nicht ganz still steht und leidlich durchsichtig ist, als Bach zu bezeichnen.
Nach ungefähr einer Stunde wurde wieder aufgebrochen. Wir folgten dem Wasser abwärts, wo es sehr bald in einen schmalen Fluß lief, dessen Ufer unser Führer wurde. Er brachte uns an hohe Felder von Zuckerrohr und Durrha, aus denen wir die runden Dächer einzelner Hütten ragen sahen. Wir näherten uns einem kleinen Dorfe der Gohk und blieben halten, um einen Boten voranzuschicken, damit die Bewohner desselben nicht bei unserem Anblicke erschrecken und fliehen möchten.
Als er zurückkehrte, kam hinter ihm alles, was im Dorfe »leibte und lebte«, dreingelaufen, Väterlein und Mütterlein, Männlein und Weiblein, Bürschlein und Mägdelein, jeder und jede im besten Staate und Schmucke, welcher in dieser Schnelligkeit zu haben gewesen war.
Ein alter, grauköpfiger Mann, welcher uns als Dorfgebieter bezeichnet wurde, trug nur den Lendenschurz, hatte aber auf seinem Haupte ein walzenförmiges Flechtwerk sitzen, welches wohl drei Fuß hoch und mit bunten Federn besteckt war. Eine junge Dorfschöne hatte ihr Haar in Löckchen gedreht und dieselben mit Fett und Ocker so steif gemacht, daß es aussah, als ob ihr ein halbes Gros roter Korkzieher von innen heraus durch den Schädel gebohrt worden seien. Ein Bursche, jedenfalls der Flaneur des Dorfes, hatte sein Haupt mit einer abgerissenen Hutkrämpe geschmückt. Wie mochte sie hierher ins tiefe Afrika gekommen sein! Sein rechter Fuß steckte in einem sohlenlosen Lederschuh, während an dem linken eine Sandale befestigt war. Sein bester Schmuck aber, vielleicht die größte Kostbarkeit des ganzen Dorfes, bestand aus einem gläserlosen, verbogenen uralten Brillen- gestell [Brillengestell] aus Messing, welches er mit Hilfe eines dünnen Riemens um den Hals befestigt hatte.
Gern hätte ich diese Studien fortgesetzt, aber der erwähnte Alte nahm den jungen Inhaber der Brillenstellage bei der Hand, zog ihn zu dem Reis Effendina, welcher ihm als unser Anführer bezeichnet worden war, hin und hielt unter lebhaften Gestikulationen eine Rede, von welcher ich zwar kein Wort verstand, deren Inhalt ich aber dennoch erriet. Der Alte deutete nämlich wiederholt auf die Brille und dann gegen Westen, welche Pantomime ich mir folgendermaßen ins Deutsche übersetzte:
»Ihr seid fremde, sehr hohe Herren und wollt nach Wagunda. Dieser junge Adonis ist der Besitzer dieser Brilleneinfassung und also allein würdig, euch den Weg zu zeigen.«
Es stellte sich heraus, daß ich ganz richtig geraten hatte. Der Dolmetscher übersetzte uns die Rede. Wir beschenkten den Alten mit einigen kleinen, für uns unbrauchbaren, für ihn aber höchst wertvollen Gegenständen und ritten dann weiter. Der famose Besitzer der mangelnden Brillengläser schritt als unser Führer stolz voran.
Man glaube aber ja nicht, daß er der einzige war, der uns voranging. Der Dorfälteste hatte nach Empfang unseres Boten und ehe er dann zu uns kam, eine Person nach Wagunda gesandt, um dort die baldige Ankunft so vieler Fremden pflichtschuldigst zu melden. Den Erfolg davon bemerkten wir später.
Unser Führer war ein sehr guter Läufer, trotzdem seine Füße so ungleich ausgerüstet waren. Er hielt mit unseren Ochsen, welche sehr behend liefen, gleichen Schritt. Es ging immer abwärts an dem erwähnten Flusse hin, dann in einer Furt quer durch denselben und eine Stunde lang über sonndurchglühtes, ödes Land. Hierauf sahen wir in der Ferne einen langgestreckten Belut-Wald liegen, welcher auf die Nähe von Wasser schließen ließ.
Während wir auf denselben zuritten, sprach der Führer unausgesetzt auf uns ein. Wir erfuhren von Agadi, daß er uns eine Beschreibung von Wagunda lieferte, die ich freilich lieber in einer andern mir geläufigen Sprache gehört hätte. Um zu erfahren, ob er wisse, was für ein Ding er eigentlich um seinen Hals hängen habe, winkte ich ihn zu mir und gab ihm zu verstehen, daß er mir das Brillengestell einmal geben möge. Er erschrak außerordentlich und weigerte sich durch Pantomimen ganz entschieden, meinem ebenso unkultivierten wie räuberischen Verlangen Folge zu leisten. Der Dolmetscher machte ihm sanfte Vorstellungen und wurde dann, als dies nichts fruchtete, grob, wie ich aus seinem Tone hörte. Das wirkte, denn der mißtrauische Gentleman band seinen unbezahlbaren Schatz los und gab ihn mir in die Hand, verwendete aber sein Auge nicht von demselben, bis er ihn wieder hatte. Ich setzte die Brille auf, nachdem ich ihre Knillen und Kniffe gerade gebogen hatte, zog mein Notizbuch aus der Tasche und machte die Gebärde des Lesens und des Schreibens. Er hatte keine Ahnung von dem, was ich meinte. Aber als ich verschiedene Male erst ohne und dann durch die Brille nach dem vor uns liegenden Walde sah und ihm durch die Veränderungen meines Gesichtsausdruckes zu erkennen gab, daß es etwas ganz anderes sei, ob man einen Gegenstand durch diese Stellage ansehe oder nicht, schien er mich zu begreifen. Als ich ihm nun die Brille zurückgab, setzte er sie sogleich auf und sah hindurch. Sein Gesicht strahlte vor Vergnügen. Er schien die Gegend tausendmal schöner als vorher zu finden. Von jetzt an verzichtete er auf jede fernere Beschreibung von Wagunda und schaute unausgesetzt durch die Stellage. Meine Unterweisung, daß das Gestell nicht am Halse, sondern auf der Nase zu tragen sei, hatte mir sein ganzes Herz gewonnen, wofür er mir später die überzeugendsten Beweise lieferte.
Wir erreichten den Wald und ritten quer hindurch, um an das Ufer eines langgestreckten, seeartigen Wasserbeckens zu kommen. Ein Blick belehrte uns, daß wir uns in der Nähe des Zieles befanden. Die Ufer des Sees waren von Fruchtfeldern umgeben, von denen aus sich Weideplätze bis hin zum Horizonte zogen. Am Rande des Wassers hingen Kähne.
Rechts von uns gab es einen Berg, ja wirklich, eine Anhöhe, welche im Verhältnisse zu der sonst ganz platten Gegend recht gut als ein Berg bezeichnet werden konnte. Er führte ziemlich steil empor, und seine Kuppe war von einer hohen, dichten Dornenhecke umgeben, hinter welche wir nicht sehen konnten.
Diese Hecke hatte jetzt eine schmale Oeffnung, aus welcher zahlreiche Menschen strömten, die paarweise hintereinander herniederstiegen und uns entgegenkamen. Nun erst erfuhren wir mit Hilfe des Dolmetschers, daß die Einwohner von Wagunda von unserer Annäherung durch einen Boten unterrichtet worden seien. Auch hatte derselbe erzählt, aus welchem Grunde wir unsern Ritt überhaupt unternommen hatten. Aus Freude darüber kam man jetzt, uns feierlichst willkommen zu heißen.
Der Häuptling der Bor, welcher die Sitten des Landes kannte, gab uns an, wie unser Zug sich zu ordnen hatte. Wir hatten uns in zwei Treffen aufzustellen, nämlich im ersten die Reiter und im zweiten die Lasttiere mit ihren Treibern. Vor die Front hatten die Anführer zu kommen, also der Reis. Effendina, der Häuptling und – — ich. In dieser Ordnung sollten wir stetig vorrücken und soviel schießen und Lärm machen wie nur irgend möglich. Das übrige hatten wir den Gohk zu überlassen.
Glücklicherweise war das Terrain einer solchen Aufstellung günstig, denn gerade zwischen uns und dem Berge lag ein freier Plan, welcher, wie wir später hörten, nach Art unserer Vogelwiesen der Belustigungsort der Bevölkerung von Wagunda war. Wir fanden Zeit, uns da in der beschriebenen Weise aufzustellen, voran der Reis Effendina, links von ihm der Häuptling und rechts ich. Neben dem Reis hielt der Dolmetscher Agadi, um nötigenfalls sofort bei der Hand zu sein. Ich bekam auch einen Adjutanten, denn der Brillenjüngling trieb seinen Ochsen an die Seite des meinigen und nickte mir so verheißungsvoll zu, daß ich überzeugt war, er