Old Surehand III. Karl May
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»Habe ich das Wara-tu gefunden, so finde ich Euch auch. Ihr seid ja dick genug!«
»Jetzt macht Ihr die schlechten Witze, Mr. Shatterhand. Nun habt Ihr das schöne Wara-tu vor Euch. Stoßt mit der Nase an!«
Ich gab meinem Pferde mit der Hand das Zeichen, sich zu legen; es gehorchte, ebenso die Stute Hammerdulls. Dann schritt ich vorsichtig auf die Büsche zu.
Man denke sich eine schüsselförmige, mit Wasser ziemlich gefüllte Vertiefung von vielleicht fünfzig Meter Durchmesser, rings von teils dicht, teils einzeln stehenden Sträuchern umgeben, aber zwischen dem Wasser und dem Gesträuch einen ziemlich breiten, buschfreien Ring, der sich aus lauter muschelartigen Eindrücken zusammensetzte, welche durch das Wälzen wilder Büffel entstanden waren. Diese Tiere pflegen sich instinktmäßig im weichen Boden zu wälzen, um sich mit einer schlammigen Kruste zu bedecken, die ihnen Schutz vor mancherlei Insekten bietet. Das war das Wara-tu, welches ich jetzt zu umschleichen hatte. Umschleichen? Nein; dazu sollte es gar nicht kommen.
Ich erreichte die ersten Büsche mit Leichtigkeit und – —roch und hörte zugleich links von mir Pferde. Mich niederduckend, wandte ich mich nach dieser Richtung, denn es ist in solchen Fällen stets geraten, sich auch um die Pferde der Feinde zu bekümmern. Sie waren alle angehobbelt, außer einem, welches an zwei in die Erde getriebenen Pflöcken hing. Hinter den Büschen brannten mehrere Feuer, deren Schein in der Weise durch eine Strauchöffnung drang, daß er dieses Pferd traf. Dies genügte, mir seinen Bau zu zeigen. Es war ein edler, sehr dunkler Rotschimmel, dessen prächtige Mähne so in Knoten und immer kleiner werdende Knötchen geknüpft war, wie ich es bei den Naiini-Komantschen gesehen hatte. Wie kamen die Osagen zu dieser Art und Weise einer Mähnenzierde? Doch war das jetzt Nebensache; wichtiger fand ich den Umstand, daß keine einzige Wache bei den Pferden war. Diese Indsmen mußten sich ungeheuer sicher fühlen! Ich kehrte, um dem Feuerscheine auszuweichen, einige Schritte zurück, legte mich auf die Erde nieder und schob mich dann in das Gebüsch hinein.
Es kommt zuweilen vor, daß einem etwas, was man für sehr schwierig gehalten hat und was auch wirklich schwierig ist, durch das Zusammentreffen günstiger Umstände sehr leicht gemacht wird. So war es heut hier am Wara-tu. Kaum in das Buschwerk eingedrungen, sah ich die ganze Scene bis auf das Kleinste deutlich vor mir liegen.
Von vier großen Feuern hell beleuchtet, hatten sich wohl über zweihundert Osagen auf dem erwähnten, freien Ring rund um das Wasser gelagert und sahen mit großer Spannung sechs Kriegern zu, welche soeben begonnen hatten, den Büffeltanz aufzuführen. Indem ich meine Augen rundum gleiten ließ, blieb es an einem der wenigen hier stehenden Bäume haften, an welchem ein nicht im Gesicht bemalter Indianer lehnte. Er war angebunden, also Gefangener. Sein Gesicht war hell beleuchtet; ich erschrak, als ich es sah, aber mehr in freudiger als in entgegengesetzter Weise. Dieses Gesicht kannte ich genau, sogar sehr genau; es war ein mir sehr lieb gewordenes. Und nun konnte ich mir auch die Anwesenheit des Pferdes mit der fremdgeknüpften Mähne erklären: der Rotschimmel gehörte dem Gefangenen. Diese hohe, breite, volle Gestalt, dieser markige und doch so leichtbewegliche Gliederbau, dieses kaukasisch gemeißelte Gesicht mit der stolzen, selbstbewußten Ruhe in den Zügen, das konnte nur einer sein, den ich lange nicht gesehen, an den ich aber umso öfter gedacht hatte, nämlich Apanatschka, der junge, edle Häuptling der Naiini-Komantschen!
Was hatte ihn nach Kansas heraufgeführt? Wie war er in die Hände der Osagen gefallen? Osagen und Komantschen! Ich wußte, welche unerbittliche Feindschaft zwischen diesen beiden Völkern herrschte; er war verloren, wenn es mir nicht gelang, ihn zu retten! Retten? Pshaw, kinderleicht! Kein Mensch achtete jetzt auf ihn, denn aller Augen waren auf die Tänzer gerichtet. Zwei Büsche standen hinter dem Baum, an den er gebunden war, Deckung genug für mich, von hinten nahe an ihn zu kommen!
So schnell mir diese Gedanken kamen, so schnell wurden sie ausgeführt. Ich schob mich aus dem Gesträuch zurück, stand auf und eilte zu Hammerdull.
»Auf mit den Pferden!« gebot ich ihm. »Setzt Euch auf Eure Stute! Kommt!«
»Was ist los?« fragte er. »Müssen wir fort?«
»Die Osagen haben einen Gefangenen, den ich kenne und den ich befreien muß.«
»Heavens! Wer ist‘s, Mr. Shatterhand?«
»Das später; kommt nur, kommt!«
Mein Rappe sprang auf mein Zeichen auf, ich nahm ihn beim Zügel und zog ihn fort. Hammerdull hatte sich trotz seiner Dickheit schnell in den Sattel geschwungen und folgte mir. Ich führte ihn nicht dorthin, wo ich gewesen war, sondern genau nach dem Außenpunkte des Gebüsches, welcher hinter Apanatschkas Rücken lag.
»Wartet hier! Ich bringe noch ein Pferd.«
Mit diesen Worten schnellte ich mich wieder fort. Ich mußte mich beeilen, denn die Befreiung des Gefangenen hatte zu geschehen, noch ehe der Büffeltanz, welcher die ganze Aufmerksamkeit der Osagen in Anspruch nahm, zu Ende war. Ich lief nach der andern Seite zu dem Rotschimmel, löste ihn von den Pflöcken und wollte mit ihm fort. Er weigerte sich, blieb stehen und schnaubte laut. Das konnte mir und meinem Vorhaben gefährlich werden. Glücklicherweise wußte ich, was ich zu thun hatte, ihn mir willig zu machen.
»Eta, kavah, eta eta!« schmeichelte ich ihm, indem ich ihm den fischglatten Hals streichelte.
Als er die bekannten Laute hörte, gab er sofort den Widerstand auf und ging mit mir. Als ich mit ihm bei Hammerdull ankam, zuckte der erste Blitz über den Himmel und krachte der erste Donnerschlag. Nun aber schnell, sehr schnell, sonst wird der Tanz wegen des Gewitters eher beendet!
»Haltet auch dieses Pferd, welches der befreite Gefangene besteigen wird,« forderte ich den Dicken auf, »sobald ich komme, gebt Ihr mir meine Gewehre!«
»Well! Bringt ihn nur erst, und bleibt nicht selber stekken!« antwortete er.
Wieder leuchtete der Blitz, und wieder krachte der Donner. Ich drang so rasch und doch so leise wie möglich in das Gebüsch, warf mich zu Boden und schob mich unten an der Erde fort. Noch währte der Tanz, den jetzt alle Osagen mit einem lauten, in der Fistel gebildeten »Pe-teh, Pe-teh, Peteh!«[5] begleiteten, wobei sie taktmäßig in die Hände klatschten. Da konnten sie das Rauschen der Zweige nicht hören; ich kam also sehr rasch vorwärts und viel schneller hinter den Gefangenen, als ich es für möglich gehalten hatte. Ich sah kein einziges Auge auf ihn gerichtet; auch er sah wahrscheinlich dem Tanze zu. Um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, berührte ich zunächst seinen Unterschenkel. Er zuckte leicht zusammen, doch nur für einen Augenblick.
»Go-oksch!«[6] sagte ich so laut, daß er es trotz des Gesanges, sonst aber weiter niemand, hören konnte.
Er senkte den Kopf – ein nur mir bemerkbares Nicken, zum Zeichen, daß er meine Hand gefühlt und mein Wort verstanden habe. Er war mit drei Riemen an den Baum gefesselt; einer war um seine Fußgelenke und den Stamm, ein zweiter um seinen Hals und den Stamm geschlungen, während man ihm mit dem dritten die nach rückwärts um den Baum gezogenen Hände zusammengebunden hatte. Grad so wie jetzt hinter Apanatschka, hatte ich einst hinter Winnetou und seinem Vater Intschu tschuna gesteckt, um sie von den Bäumen loszuschneiden, an die sie von den Kiowas gebunden worden waren[7]. Ich war überzeugt, daß Apanatschka sich nicht weniger klug verhalten werde wie damals die beiden Apatschen, und zog das Messer. Zwei Schnitte gnügten, den untern Riemen und dann auch die Handfessel zu durchschneiden; aber um an den Halsriemen zu kommen, mußte ich aufstehen, und das war gefährlich, weil ich da gesehen werden mußte, wenn in diesem Augenblicke auch nur ein einziger Osage nach dem Gefangenen
5
»Büffel, Büffel, Büffel!«
6
»Paß auf!«
7
Siehe »Winnetou« Band I pag. 248 etc.