Waldröschen V. Ein Gardeleutnant. Karl May
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Читать онлайн книгу Waldröschen V. Ein Gardeleutnant - Karl May страница 12
Es trat eine längere Stille ein, während welcher Kurt nichts vernahm, als nur das Rascheln von Papier. Dann sagte der Kapitän:
»Diese Paragraphen sind so deutlich, daß an eine Unklarheit gar nicht zu denken ist.« – »Gut. Rekapitulieren wir! Der Kaiser hat diesen Schwächling Max zum Herrscher von Mexiko gemacht, Nordamerika, eifersüchtig darüber, verlangt, daß Frankreich seine Truppen aus Mexiko ziehe und Max seinem Schicksal überlasse …« – »Spanien schließt sich dieser Forderung an …« – »Allerdings. Es betrachtet sich ja als den alleinigen, rechtmäßigen Besitzer dieses schönen, aber von ihm verwahrlosten Landes. Der Kaiser ist erbötig, auf die Forderung Spaniens einzugehen, wenn dieses zu dem Gegendienst bereit ist, den er erwartet.« – »Welcher ist es?« – »Preußen will sich zum Herrn von Deutschland, von Europa machen, es muß gedemütigt werden, man muß Rache für Sadowa nehmen. Der Kaiser bereitet sich vor, Preußen den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Im Fall dieses unabweisbaren Krieges müssen wir sicher sein, daß unser Rücken gedeckt ist. Dieser Herr von Bismarck aber ist schlau und gewaltig, er wird, um uns zu schwächen, Spanien auffordern, die Grenze zu besetzen. Wir jedoch dürfen unsere Heere nur dann mit Vertrauen marschieren lassen, wenn wir überzeugt sind, jenseits der Pyrenäen keine Feinde zu haben. Darum ist Napoleon nur dann bereit, seine Truppen aus Mexiko zurückzuziehen, wenn Spanien sich bei einem Krieg zwischen Frankreich und Deutschland neutral erklärt. Die diesbezüglichen Verhandlungen sind abgeschlossen, und der Vertrag ist unterzeichnet. Sie haben eine Abschrift desselben in den Händen. Die Lage der Sache ist nun folgende: Frankreich marschiert gegen Deutschland oder vielmehr Preußen, Spanien bleibt neutral, Rußland unterstützt uns, indem es die Grenze Preußens besetzt und einen Aufstand Polens initiiert, mit Österreich und Italien ist noch zu verhandeln. Ich reise von hier nach Petersburg, Sie aber sondieren die hiesigen Verhältnisse und geben Ihrem Minister genaue Nachricht. Jetzt gehe ich zum russischen Gesandten. Sie werden mich begleiten, um ihm zu beweisen, daß Frankreich von Spanien nichts zu fürchten hat.« – »Ich stehe sofort zur Disposition, da ich nur dieses Memorial zu verschließen habe.«
Kurt hörte einen Schlüssel klirren.
»Ist das Dokument in dem Handköfferchen auch wirklich sicher aufgehoben?« fragte Douay. – »Ganz gewiß«, antwortete der Kapitän. »Übrigens nehme ich ja den Schlüssel meines Zimmers mit.« – »So kommen Sie!«
Die beiden verließen darauf Nummer zwölf, und Kurt hörte, daß die Tür verschlossen wurde. Es war ihm ganz eigentümlich zumute. Er hatte jetzt Kenntnis von einer heimlichen Machination gegen Deutschland. Welch einen ungeheuren Wert hatte das Memorial! Er mußte versuchen, in seinen Besitz zu gelangen. Aber wie?
Indem er darüber nachdachte, wurde ein Schlüssel in das Schloß seines Zimmers gesteckt. Die Kellnerin kam, um ihn aus seiner freiwilligen Gefangenschaft zu befreien.
»Sie sind soeben fort«, sagte sie. »Haben Sie etwas gehört?« – »Ja. Ist es nicht möglich, einmal nach Nummer zwölf zu kommen?« – »O ja, ich müßte den Hauptschlüssel holen. Aber wenn Parkert uns überrascht!« – »Keine Sorge. Er kommt nicht sogleich zurück.« – »So warten Sie.«
Das Mädchen entfernte sich. Wie gut, daß Kurt sie getroffen hatte! Ohne ihre Hilfe wäre es ihm nicht möglich gewesen, das zu erfahren, was er jetzt wußte.
Sie kehrte in kürzester Zeit zurück und brachte ihm den Hauptschlüssel.
»Ich weiß nicht, was Sie da drüben wollen, Herr Leutnant«, sagte sie. »Aber ich habe auch keine Zeit, mitzugehen, denn es sind mehrere Gäste gekommen, die ich bedienen muß. Hier ist der Schlüssel.« – »Wie bekommen Sie ihn wieder? Ich kann doch unmöglich nochmals in die Gaststube kommen.« – »Legen Sie ihn hier neben der Tür unter den Teppich. Sobald ich kann, hole ich ihn mir.«
Als sie nach unten zurückgekehrt war, öffnete er das Zimmer des Kapitäns und verschloß die Tür wieder, nachdem er eingetreten war. Der Raum war ganz in derselben Weise möbliert wie der nebenan liegende. Ein größerer Reisekoffer stand an der Wand, und auf demselben lag ein kleines Handköfferchen. Wie war es zu öffnen? Das Dokument mußte heraus!
Kurt griff in die Tasche. Auch er besaß ein ähnliches Köfferchen und trug den Schlüssel zu demselben bei sich. Er probierte und – hätte vor Freude aufjauchzen mögen, denn sein Schlüssel paßte. Die Schlösser zu diesen Koffern sind meist Fabrikware, eins wie das andere, und daher kommt es, daß ein Schlüssel viele Schlösser öffnet. Dies war für Kurt ein höchst günstiger Umstand.
Das Köfferchen enthielt nichts als Papiere. Oben darauf lag ein langes, schmales Heft. Er öffnete es – es war das gesuchte Memorial in französischer Sprache geschrieben und mit dem Siegel des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten versehen.
Sollte er sich seiner bemächtigen oder nur eine Abschrift davon anfertigen?
Zu der letzteren stand ihm augenblicklich zwar kein Papier in Bogenform zur Verfügung, doch hatte er sein Notizbuch mit, und dies genügte, die Paragraphen wörtlich festzuhalten. Besser war es jedenfalls, wenn er sich in den Besitz des Originals setzte, aber dann mußte der Kapitän den Verlust desselben bemerken. Kurt ging einige Minuten lang mit sich zu Rate. Er war entschlossen, den Grafen von Bismarck schleunigst in den Besitz dieses heimlichen, hinterlistigen Vertrages zu setzen, und da das mit dem Ministerialsiegel versehene Original in den Händen des allmächtigen Mannes jedenfalls eine ganz andere Beweiskraft besaß, als eine doch immerhin noch der Bestätigung bedürfende Kopie, so entschloß er sich endlich, das Heft ganz ohne weiteres an sich zu nehmen.
Er tat dies, verschloß dann das Köfferchen wieder und verließ das Zimmer. Nachdem er den Hauptschlüssel unter den Teppich gelegt hatte, fügte er einige Banknoten zur Belohnung der gefälligen Kellnerin hinzu und verließ sodann das Haus, was er auch ungesehen bewerkstelligte.
6. Kapitel
Kurt nahm sofort eine Droschke und fuhr nach der Wohnung Bismarcks, indem er mit Freuden daran dachte, daß dieser ihm sicher behilflich sein werde, sich des Kapitäns zu bemächtigen. Sternau war mit seinen Gefährten ausgezogen, um diesen Bösewicht zu fangen, er war verschollen. Nun lieferte sich der Seeräuber selbst an das Messer. Er konnte gezwungen werden, alle Geheimnisse von Rodriganda zu enthüllen und auch über das Schicksal Sternaus Auskunft zu geben, falls ihm dasselbe vielleicht bekannt war.
Am Ziel seiner Droschkenfahrt angekommen, erfuhr Kurt, daß Bismarck nicht zu sprechen sei, da er sich gegenwärtig beim König befinde. Kurz entschlossen ließ er sich sofort nach dem königlichen Schloß fahren. Er wurde hier zunächst bedeutet, daß keine Zeit zur Audienz sei. Doch er zuckte die Achsel und erklärte dem diensttuenden Adjutanten:
»Ich muß dennoch auf meiner Bitte bestehen, Herr Oberst!« – »Aber Sie sind nicht in Uniform, Leutnant!« – »Ich hatte keine Zeit, sie anzulegen.« – »Dazu ist unter allen Umständen Zeit. Seine Majestät trägt stets und streng die Uniform. Ich würde einen fürchterlichen Verweis erhalten, wenn ich Sie so meldete, wie Sie dastehen. Übrigens ist seine Exzellenz von Bismarck bei der Majestät.« – »Eben Seine