Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1. Karl May
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Die Tochter antwortete nicht. Das, was sie gehört hatte, widerstrebte ihrem Gemüt.
»Nun?« fragte er ärgerlich. – »Ja.« – »Na endlich! Du hast wohl erst darüber nachdenken müssen, ob ein Schornsteinfeger in der Esse sterben darf? Und was den Großvater betrifft, so ist auch dieser in der Ausübung seines Berufes gestorben. Du weißt doch noch, was er war?« – »Gewiß.« – »Nun, was denn?« – »Er handelte mit Meerrettich.« – »Gut, er war also Meerrettichhändler. Das ist nicht etwa was Gewöhnliches! Bei uns in Pirna ist nämlich der Meerrettich der Anfang zu einem Besitztum in Mexiko; das hat meine Familie bewiesen. Hörst du mich?« – Ja.« – »Das will ich wissen! Also mein Großvater baute Meerrettich im Garten, und dabei hatte er ein tiefes Loch in die Erde gegraben. Der Meerrettich schmeckt zu Fleisch und Wurst, gekocht und gerieben, auf alle mögliche Weise; darum gibt es Leute, die ihn gern essen, auch wenn sie ihn nicht zu bezahlen brauchen. So war es auch bei uns. Oft stiegen des Nachts solche Kerle über den Zaun, um sich eine Portion zu holen; darum wachte mein Großvater zuweilen. Das Wachen aber strengt an, und nichts stärkt den Körper wieder, als das, was man hier Julep nennt. Darum trank mein Großvater gern ein Glas oder zwanzig, wenn Kirchweih war. Ich war damals noch ein kleiner Junge und lag noch nicht im Bett, sondern auf dem Kanapee, denn die Eltern waren auf den Kirchweihball gegangen und der Großvater mit. Da kommt am späten Abend der Großvater nach Hause und will wegen des Julep den Stiefelknecht anbrennen, statt der Lampe. Endlich bringt er Licht. Er schießt ein wenig hin und her, denn er hatte das europäische Gleichgewicht verloren; aber plötzlich bleibt er stehen und horcht. Draußen im Garten hatte es nämlich einen Krach gegeben. ›Hast du es gehört, Junge?‹ fragte er mich. – ›Ja‹, sage ich. – ›Das sind meine Meerrettichspitzbuben. Komm mit; die fangen wir!‹ Er zieht mich also vom Kanapee herunter, und ich muß mit. Er hält den Brotschrank draußen für die Hintertür und will hinein; ich bringe ihn aber doch noch auf den richtigen Weg. So kommen wir hinaus in den Garten. Jetzt horcht er, aber es ist niemand zu sehen. ›Warte nur, die kommen wieder‹, sagt er, ›du bist klein, dich sehen sie nicht; ich muß mich verstecken. Wohin denn aber? Oh, da hinein in das Wasserfaß. Paß auf, Junge, wenn sie kommen, rufst du mich!‹ Ich setze mich also neben das Faß, das voll Wasser war, und er steigt hinein. Er hat kaum die Beine dring, so ist er ganz hinunter. Ich habe ganz gewaltige Freude darüber, daß er sich so gut versteckt hat, denn nicht einmal der Kopf war zu sehen, und nun warte ich. Hörst du mich?« – »Ja, leider!« antwortete Resedilla unter einem leichten Husten. – »Gut! Nach längerer Zeit höre ich Leute, die vom Zaun her kommen; ich rufe den Großvater, so laut ich kann. Wer aber ist‘s? Der Vater und die Mutter. Sie hören mich rufen und kommen zur Pforte herein. ›Was machst du denn im Garten da?‹ fragte der Vater. – ›Wir fangen Spitzbuben‹, sagte ich. – ›Wo ist denn der Großvater?‹ – ›Er hat sich versteckt.‹ – ›Wohin denn?‹ – ›Hier ins Wasserfaß.‹ Ich konnte gar nicht begreifen, warum die Eltern so jammerten; als sie ihn aber herausbrachten, habe ich selbst mit geweint, denn er war mitten in seinem Beruf gestorben, und das – ah, wer kommt da?«
Draußen ließ sich der Hufschlag eines Pferdes vernehmen, ein Reiter kam durch den Regen herangesprengt und hielt vor der Tür.
»Ah!« sagte der Alte. »Der Zerlumpte, der Spion. Heute gehe ich seinetwegen nicht hinaus, und wenn er mir zehnmal meine Diplomatie anmerkt. Bei solchem Wetter bleibt man in der Stube.«
Der Neuangekommene war wirklich Gerard. Resedilla war errötet, sobald sie seiner ansichtig geworden. Er schaffte, da es regnete, das Pferd erst in den Stall und trat dann ein. Der alte Pirnero erwiderte kaum seinen Gruß, aber die Tochter nickte ihm freundlich zu. Er bestellte sich ein Glas Julep, das Resedilla ihm holte, und setzte sich nieder.
Längere Zeit blieb es still in der Stube, und nur der Alte trommelte an der Fensterscheibe, denn der Gast war ihm unangenehm, weil er ihn für einen Spion hielt. Endlich trieb ihn die Lust zum Sprechen doch zu einem Anfang, und er begann:
»Fürchterlicher Regen!« – »Allerdings«, antwortete Gerard. – »Ganz zum Ertrinken!« – »So schlimm ist es doch nicht!« – »Was, nicht zum Ertrinken? Ihr seid anderer Meinung als ich?« Pirnero wandte sich, um den Gast zornig anzusehen, denn er dachte heute schon nicht mehr an das diplomatische Lächeln. So sah er, daß das Wasser aus den durchnäßten Kleidern des Jägers auf den Boden lief. »Nicht zum Ertrinken, sagt Ihr? Seht nur! Wenn noch zwei solche Gäste kommen, ertrinken wir!«
Gerard bemerkte jetzt die Wasserlache und entschuldigte sich.
»Verzeiht, Señor Pirnero! Ich konnte doch nicht draußen bleiben!« – »Wer verlangt das? Aber Ihr konntet in trockenen Kleidern kommen. Habt Ihr denn keine Frau, die Euch darauf aufmerksam macht?« – »Nein.« – »Nicht? Ja, das habt Ihr nun davon. Anderen Leuten macht Ihr die Stube naß! Der Mensch muß heiraten! Habe ich recht oder nicht?« – »Ich stimme Euch sehr gern bei.« – »Sehr gern? Da sehe ich, daß Ihr Verstand habt, obgleich Ihr kein so berühmter Jäger seid, wie der Schwarze Gerard. Möchte ihn einmal sehen!«
Der Jäger lächelte leise vor sich hin und sagte:
»Da hättet Ihr kürzlich in Chihuahua sein sollen.« – »Warum?« – »Dort ist er gewesen.« – »Das macht Ihr mich nicht weis.« – »Ihr glaubt es nicht?« – »Nein, denn dort sind jetzt die Franzosen.« – »Gerade wegen der Franzosen ist er dort gewesen, ich habe es gehört.« – »Was wollte er bei ihnen, he?« – »Ihre Pläne entdecken.« – »Also sie ausspionieren? Unsinn! Da glaube ich eher, daß die Franzosen zu uns kommen, um die Spione zu machen; das sieht ihnen ähnlich.«
Pirnero warf dabei einen grimmen Blick auf den Gast; dieser jedoch ließ sich nicht irremachen und fuhr fort:
»Und dennoch war er dort, aber sie haben ihn gefangengenommen.« – »Donnerwetter! Ist‘s wahr?« – »Ja«, antwortete Gerard mit einem leichten, zufriedenen Lächeln.
Es freute ihn ja herzlich, daß der Alte so gut auf den Schwarzen Gerard zu sprechen war. Dieser aber