Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1. Karl May

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Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1 - Karl May

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verloren sei. Die Damen aber waren hingerissen von Bewunderung über die Verwegenheit eines Mannes, der in Fesseln und mitten unter seinen Feinden in dieser Weise aufzutreten wagte.

      Die Offiziere ließen grimmige Worte hören, und der Leutnant wollte sich auf Gerard werfen, aber der Kommandant gebot Ruhe.

      »Übergehen wir diesen Akt der Roheit«, sagte er, »die Strafe wird nicht lange auf sich warten lassen; ich verspreche, daß er dafür blutig gepeitscht werden soll!« Und sich an Gerard wendend, fragte en »Ich gebot dir näher zutreten. Warum gehorchst du nicht?«

      Der Gefragte blickte ihn finster und furchtlos an und antwortete:

      »Ich bin kein Söldling in Ihren Diensten, sondern ein Savannenmann, dem Achtung gebührt. Man pflegt mich ›Sie‹ zu nennen, und ich werde nicht eher eine Antwort geben, als bis Sie diese Höflichkeit befolgen.«

      Der Kommandant lächelte überlegen und antwortete höhnisch:

      »Ich pflege Menschen, die Fußtritte austeilen, nur ›du‹ zu nennen.« – »Das ist mir gleichgültig, Monsieur. Man hat die Gepflogenheiten desjenigen Landes zu befolgen, in dem man sich befindet. Die anwesenden Señores und Señoritas werden mir zugeben, daß die Nation der Mexikaner eine höfliche und ritterliche ist. Ein tüchtiger Präriemann steht an Erfahrung, Fertigkeit und Gewandtheit jedenfalls nicht tiefer als ein Offizier; ich habe das bewiesen. Man hat mich bereits vorher mit dem Kolben bedroht, und jetzt geht man zu wirklichen Stößen über; es war meine Pflicht, Ihren Leutnant zu belehren, daß man sich in Gegenwart mexikanischer Damen besser zu benehmen hat.«

      Die Blicke dieser Damen richteten sich voll Bewunderung auf den kühnen Sprecher. Die Offiziere aber ließen ein zorniges Gemurmel hören, bis der Kommandant ihnen Schweigen winkte und zu dem Gefangenen sagte:

      »Ich könnte mit meinem ›du‹ ruhig fortfahren und das Schweigen auf meine Fragen als Eingeständnis nehmen; aber unsere Damen werden neugierig sein, Sie weiter sprechen zu hören, und darum werde ich Ihnen das ›Sie‹ geben, wonach Sie ein so sehnliches Verlangen tragen. Sie sind der Schwarze Gerard?« – »Ja.« – »Was hatten Sie in der Stadt zu tun?« – »Einen Besuch.« – »Bei wem?« – »Das ist mein Geheimnis.« – »Zu welchem Zweck?« – »Zum Zwecke der Verjagung unserer Feinde.« – »Ah! Wen verstehen Sie unter diesen Feinden?« – »Die Franzosen.« – »Man muß sagen, daß Sie sehr aufrichtig sind; fast möchte ich es frech nennen. Sie nennen die Franzosen Feinde und sind doch selbst Franzose.« – »Ich bin Franzose, aber doch kein Werkzeug des kaiserlichen Blutdurstes. Ich liebe Mexiko und seine Bewohner und wage gern mein Leben, um sie von der gegenwärtigen unrechtmäßigen Regierung zu befreien.«

      Der Kommandant war ganz starr über diese Todesverachtung. Endlich sagte er:

      »Ich teile Ihnen mit, daß ich Sie für verrückt halte. Sie werden zu dieser sogenannten Befreiung nichts mehr tun können, denn das, was Sie jetzt gesprochen haben, reicht vollständig hin, Ihr Urteil zu fällen. Sie werden diesen Saal nur verlassen, um sofort erschossen zu werden. Vorher aber sollen Sie für den Fußtritt so gepeitscht werden, daß Ihnen das Fleisch von den Knochen fliegt. Haben Sie etwas in betreff Ihres letzten Willens zu sagen?« – »Jetzt nicht. Ich bitte überhaupt, es mir ganz allein zu überlassen, welcher Wille mein letzter sein soll. Ein Präriemann pflegt in dieser Beziehung selbständig zu sein.« – »Sie sind wirklich wahnsinnig! Woher stammen Sie?« – »Aus Paris, woher ja so vieles Verrückte kommt.« – »Höhnen Sie nicht, sonst könnte das Urteil noch schwerer ausfallen! Haben Sie wirklich Verbindungen in dieser Stadt?« – »So viele, daß Ihnen Angst würde, wenn Sie es wüßten.« – »Man sagt, daß Sie mit Juarez befreundet seien?« – »Sehr!« – »Kennen Sie seine Pläne?« – »Seine und die Ihrigen.« – »Schneiden Sie nicht auf! Was wollen Sie von unseren Plänen wissen!« – »Alles; die Folge wird es zeigen!« – »Ich bin es satt, Ihre Großsprechereien anzuhören. Darum zu etwas anderem. Jene Waffen sind die Ihrigen?« – »Ja.« – »Zeigen Sie dieselben her, Leutnant!«

      Der Genannte legte das Verlangte vor dem Kommandanten auf die Tafel. Dieser ergriff die Büchse und untersuchte den Kolben.

      »Hier ist Gold. Woher haben Sie dasselbe?« – »Ich habe eine Goldader im Gebirge entdeckt.« – »Ah! Wollen Sie die Kenntnis derselben verkaufen?« – »Wozu? Ich denke Sie haben die Absicht, allerdings nur die Absicht, mich erschießen zu lassen?« – »Gewiß! Aber man könnte den Preis an Ihre etwaigen Verwandten zahlen.« – »Ich würde Ihnen den Ort nicht nennen, selbst wenn Sie mir den zehnfachen Wert der Ader böten. Kein braver Mexikaner würde dies tun.« – »Sie sind ein fürchterlicher Kerl! Haben Sie mit diesem Gewehr bereits Menschen getötet?« – »Ja. Jeder Präriemann muß dies tun, um sich der Feinde zu erwehren.« – »Sie nannten vorher auch uns Ihre Feinde. Haben Sie auch Franzosen getötet?« – »Ja.« – »Wie viele?« – »Ich zähle nur Hochwild, Franzosen niemals.« – »Sie antworten wirklich nicht wie ein Sterbender. Bedenken Sie, daß Sie am Rand des Grabes stehen! Wann haben Sie den letzten Franzosen getötet?« – »Gestern früh.« – »Ah! Alle Teufel!« brauste der Kommandant auf. »Sie sind nicht ein- oder zweimal, sondern zehnmal wahnsinnig. Bewiese mir diese Büchse nicht, wer Sie sind, so glaubte ich wirklich, in Ihnen einen unzurechnungsfähigen Menschen zu sehen, dem es eingefallen ist, mit uns ein wenig Komödie zu spielen, ohne zu bedenken, daß er dabei auch mit dem Tode spielt Wer war der Franzose?« – »Das werden Sie bald erfahren.« – »Wo töteten Sie ihn?« – »Das ist ihm nun gleichgültig, wie ich glaube.« – »Donnerwetter! Bedenken Sie, vor wem Sie stehen!« – »Vor einem Mann, den ich nicht fürchte!« – »Gut, ich sehe, Sie suchen aus irgendeinem Grund den Tod. Der soll Ihnen werden, aber anders als Sie denken, und nicht so bald, wie ich vorhin sagte. Es scheint, man kann von Ihnen viel erfahren, aber da ich nach Ihrem gegenwärtigen Verhalten voraussetze, daß Sie nicht gutwillig antworten werden, so werde ich Sie einer kleinen Tortur unterwerfen.« – »Was wollen Sie wissen?« – »Zunächst, wer Ihre hiesigen Bekannten sind.« – »Das werden Sie allerdings nichts erfahren.« – »Wir werden ja sehen!« lachte der Offizier grimmig. »Sodann werden Sie die Güte haben, mich über die Pläne Ihres Freundes Juarez zu unterrichten.« – »Pah, das ist überflüssig!« – »Wieso?« – »Weil Sie die Pläne ganz von selbst erfahren, sobald er sie ausgeführt hat«

      Es war unmöglich zu beschreiben, welchen Eindruck das Verhalten des Jägers machte. Die Mexikaner lauschten fast atemlos auf jedes seiner Worte. Die Franzosen knirschten vor Grimm und schämten sich, daß ihr Kommandant sich in ein so unerhörtes Gespräch einließ. Dieser selbst aber fühlte bei der letzten Antwort einen solchen Zorn, daß er aufsprang und ausrief:

      »Jetzt ist meine Geduld zu Ende! Ich habe hier mit Ihnen gesprochen, um Sie den anwesenden Herrschaften zu zeigen; nun aber werde ich auch zu zeigen haben, wie man einen solchen Burschen zähmt. Sie werden fünfzig Hiebe erhalten, fünfzig Hiebe bis auf die Knochen, und dann wieder vorgeführt werden!«

      Gerard schüttelte verächtlich den Kopf und seine Augen funkelten.

      »Ich habe Ihnen bereits vorhin bewiesen«, entgegnete er, »daß ich keine Hiebe oder Stöße dulde, weil ich dadurch entehrt würde!« – »Was geht mich Ihre Ehre an! Führt ihn ab!« – »Und was mich die Ihrige!« rief Gerard. »Ich werde Ihnen zeigen, wer Schläge bekommt und seine Ehre verliert!«

      Im nächsten Augenblick fuhren seine Arme aus dem Gürtel, riß er dem Kommandanten die Epauletten von der Schulter und versetzte ihm einen Faustschlag, daß der Getroffene wie ein Klotz zu Boden stürzte. In demselben Moment hatte er aber auch, nach seinen Waffen greifend, bereits das Messer zwischen den Zähnen, die beiden Revolver in der Tasche und seine Büchse mit umgedrehtem Kolben in der Faust. Das alles geschah, ehe man ihn ergreifen konnte.

      »Hier, schmeckt einmal mein Gold!«

      Mit diesem Ruf stürzte er sich auf das Piquet,

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