Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1. Karl May
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Sie öffnete ein Fach ihres Schreibtischs, nahm einen Schlüssel und ein elegantes Blendlaternchen hervor und reichte ihm beides. Er nahm es und fragte:
»Wie lange wird dieser Major bei dir sein?« – »Ich möchte ihn am liebsten abweisen, da du hier bist. Es fragt sich, welcher Zeit du bedarfst, um mit seinen Papieren fertig zu werden.« – »Das kann ich vorher nicht wissen. Gib mir eine Stunde.« – »Gut, in einer Stunde, von jetzt an gerechnet, wird mich der Major verlassen. Laß dich nicht von ihm ertappen. Ich werde Migräne vorschützen.«
6. Kapitel
Gerard verließ das Zimmer durch eine Seitentür und befand sich in einem kleinen Raum, der zur Aufbewahrung überflüssiger Gerätschaften diente. Es war kein Licht da; er brannte sich daher die Laterne an, und als er beim Schein derselben die Kleidung eines Dieners auf einem Stuhl liegen sah, zog er die seinige aus und legte diese an. Dann horchte er.
Bald vernahm er Stimmen. Der Major war gekommen. Er hatte ihn von diesem Stübchen aus bereits einige Male belauscht und kannte seine Stimme.
»O Dios, wie schön sind Sie heute, Señorita!« hörte er ihn sagen. – »Sie schmeicheln«, antwortete Emilia, »ich muß im Gegenteil ein recht müdes und angegriffenes Aussehen haben.« – »Inwiefern, meine Gnädige?« – »Ich leide bereits den ganzen Tag an den allerheftigsten Kopfschmerzen.« – »Ah, Migräne!« – »Ja. Ich würde gar nicht zu sprechen sein, wenn ich Ihnen die Erlaubnis, mich zu besuchen, nicht so bestimmt gegeben hätte.« – »Welch ein Unglück! Sie werden mich fortschicken?« – »Nicht sogleich. Ich will sehen, wie lange meine Nerven gutwillig sind. Nehmen Sie Platz!«
Gerard war mit dieser Einleitung sehr zufrieden. Er schob das Laternchen zu und steckte es in die Tasche. Dann verließ er das Stäbchen, trat auf einen erleuchteten Korridor und forschte, ob sich jemand da befinde. Als er niemanden bemerkte, huschte er denselben hinab, zog einen Schlüssel hervor, den er erhalten hatte, steckte ihn in das Schloß einer Tür und öffnete dieselbe. Der Schlüssel war der Hauptschlüssel, er öffnete alle Türen. Rasch trat Gerard ein, und er befand sich nun in den Räumen, die der Major bewohnte und die er kannte, da er bereits heimlich hier gewesen war.
Emilia hatte das ganze Haus gemietet und dem Major diese Wohnung abgetreten.
Gerard zog die Laterne wieder hervor und öffnete sie, nachdem er die Tür von innen verschlossen hatte. Er befand sich in einer Art von Vorzimmer, in dem er sich nicht aufhielt.
Neben demselben lag das Arbeitszimmer des Majors, wenn in Mexiko bei einem französischen Major von Arbeit überhaupt die Rede sein konnte. Es hatte zwei Fenster, deren Läden geschlossen waren, so daß kein Lichtschein hindurchdrang. Gerard brauchte also keine Sorge zu haben, von draußen entdeckt zu werden.
Es standen drei Tische da, auf denen Karten, Pläne, Bücher und Notizen lagen. Mit diesen Dingen begann der Präriejäger sich eingehend zu beschäftigen.
Er durchsuchte alles, er mußte Wichtiges gefunden haben, denn er zog Papier aus einem Schubfach und fing an, sich schriftliche Notizen zu machen und von verschiedenen Skripturen Abschriften zu nehmen.
Dies ging alles in fliegender Eile, denn die Zeit von einer Stunde schien ihm kurz bemessen zu sein für das wichtige Material, das er vorfand. Sie war beinahe verflossen, als er endlich fertig war.
Nun brachte er alles ganz genau in dieselbe Lage, wie er es vorgefunden hatte, und steckte seine Notizen und Abschriften zu sich. Die leeren Bogen, die er dazu verwandt hatte, würde der Major ja wohl schwerlich vermissen, da deren eine ganze Menge vorhanden war.
Nun löschte er die Laterne aus und steckte sie ein, denn er brauchte sie nicht mehr, begab sich im Dunkeln zur Vorzimmertür zurück und öffnete sie leise. Ein Diener kam den Korridor herabgeschritten. Den ließ er erst vorüber, trat dann hinaus, verschloß eilig und huschte nach der Tür des Kämmerchens, von dem seine Rekognoszierung ausgegangen war.
Er kam dort pünktlich an und wechselte die Kleidung. Er pflegte ja, wenn er sich hier befand und nach der Wohnung des Majors ging, stets andere Kleidung anzulegen, um im Fall, daß er gesehen würde, für einen Bediensteten gehalten zu werden.
Erfreut, daß sein Streich gelungen war, trat er endlich an die andere Tür und horchte. Der Major schien aufbrechen zu wollen, denn er hörte ihn sagen:
»Ich bin wirklich ganz unglücklich, nicht länger verweilen zu dürfen.« – »Und ich fühle mich ebenso unglücklich, Sie wegen meines Leidens verabschieden zu müssen«, antwortete Emilia. – »Sie haben mir heute nicht die mindeste Gunst erwiesen, Señorita.« – »Sie wissen, daß Patienten nicht liebenswürdig zu sein pflegen.« – »Ich gebe das zu; eine Bitte aber werden Sie mir doch erfüllen. Sie ist nicht groß, sondern sehr bescheiden.« – »Keine Einleitung. Ich bin zu nervös, um viel sprechen oder viel anhören zu können. Ich bedarf dringend der Stille und Ruhe.« – »Einen Kuß, ein einziges, kleines Küßchen, Señorita.« – »Ich muß verzichten!« – »O bitte, bitte!« – »Es geht nicht. Ich muß es Ihnen versagen. Gute Nacht.« – »Sie sind wirklich grausam. Wann darf ich wiederkommen?« – »In vier Wochen.« – »In vier Wochen?« fragte er erstaunt. »Warum erst nach so langer Zeit?« – »Weil ich hoffe, mich dann erholt zu haben.« – »Ah, sie läßt ihn an der Angelschnur zappeln!« dachte der Lauscher. – »Eher nicht?« fragte der Major. – »Die Migräne ist ein hartnäckiges Übel.« – »Nun, so bestimmen wir lieber gar keine Zeit. Ich komme, sobald Sie genesen sind.« – »Ich stimme gern bei.« – »Sie werden die Güte haben, es mich wissen zu lassen, Señorita?« – »Gewiß.« – »Ich danke! Dann komme ich auf den Flügeln der Liebe herbeigeeilt, um Ihnen