Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1. Karl May
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Gerard fuhr in den Schaft seines elenledernen Jagdstiefels und zog ein Paket hervor, das er ihr überreichte. Sie öffnete es, zählte nach und sagte:
»Richtig; es stimmt! Nun bin ich wieder reich! Aber, lieber Gerard, du mußt mir den Gefallen tun, eines dieser Papiere von mir anzunehmen.«
Sie hielt ihm mit aufrichtig bittender Miene eine Hundertpfundnote entgegen.
Er aber schüttelte den Kopf, schob ihre Hand zurück und erwiderte:
»Ich danke dir, Emilia; du meinst es herzlich gut mit mir, aber ich darf deine Güte nicht mißbrauchen. Ich hätte keine Verwendung dafür.« – »Aber Gerard, keine Verwendung!« schmollte sie. »Sieh dich nur an!«
Er warf einen belustigten Blick auf sich hinab, sah dann im Boudoir umher und fragte:
»Du meinst, daß ich nicht gut zu dir passe?« – »Ganz und gar nicht!« – »Ja, du hast recht. Aber wenn du zu mir in den Wald kämst, würdest auch du nicht zu mir passen. Ich gehe so, wie ich es nötig habe. Meine Kleidung ist gut genug für meine Zwecke. Und glaubst du, daß ich sie mit dieser Hundertpfundnote bezahlen könnte? Übrigens brauchst du dich nicht um mich zu sorgen, ich bin nicht so arm, wie du denkst« – »Ah, du bist reich!« – »Beinahe. Ich habe nämlich oben in den Bergen ganz zufällig eine Goldader entdeckt. Brauche ich Geld, so gehe ich hinauf und breche mir ein Stück heraus. Sei also bedankt für dein Geschenk! Willst du mich mit etwas erfreuen, so gib mir ein wenig zu essen, ich habe gewaltigen Hunger.«
Sie stieß ein wohltönendes Lachen aus. Er stimmte ein und fragte:
»Du lachst über meinen Hunger? Immerhin! Die Herren, die du kennst, schwärmen allerdings von Schönheit, Glück, Entzücken und Liebe, sie möchten aus den Spitzen deiner Finger Ambrosia saugen und von deinen schönen Lippen Nektar küssen, ich Bär aber mag von alledem nichts und verlange ein kräftiges Essen, weil ich fünfzig Meilen geritten bin und gewaltigen Hunger habe. Das ist natürlich ein Unterschied. Ich werde sofort in deinem Kredit sinken und für einen Barbaren gehalten werden.«
Sie verschloß ihm den Mund mit einem Kuß.
»Still, du Bär! Du weißt, daß du mir tausendmal lieber bist als alle anderen. Die kommen herein, geschniegelt bis zum Ekeln; sie duften, äugeln, sie säuseln und flattern – pah! Wenn du aber kommst, so sehe ich einen Mann. Ich sage dir, Gerard, ich würde sofort den ganzen Plunder vom Leib reißen und den ärmlichsten Rock anziehen, um dir hinaus in den Hinterwald zu folgen und Kartoffeln, Schoten und Mais zu bauen. Aber ich bin dir nicht gut genug, und du hast leider recht. Meine Liebe verschmähst du, aber meine Freundschaft sollst du doch annehmen müssen. Sag, was willst du essen? Auftragen kann ich nicht lassen, da niemand wissen darf, daß du bei mir bist.« – »Hole mir ein großes Stück trockenes Brot und etwas Fleisch dazu.« – »Weiter nichts?« – »Nein.« – »Ist das ein Mensch!« lachte sie. »Er kann alle Delikatessen haben und verlangt trockenes Brot. Doch du sollst deinen Willen haben.«
Sie erhob sich, um das Verlangte zu holen. Als sie durch das Boudoir schritt und zur Tür hinausging, so stolz, so schön wie eine Königin, blickte er ihr nach. Es war fast ein Ausdruck des Mitleids zu nennen, der dabei über seine Züge glitt, aber er schüttelte die Regung ab und murmelte:
»Pah! Sie ist trotz dieser wahrhaft treuen, untertänigen Liebe dennoch nicht unglücklich. Sie liebt den Glanz und den Genuß; beides ist ihr geboten, und so ist sie mit ihrer gegenwärtigen Lage ganz zufrieden. Aber, bei Gott, ich habe gar nicht gedacht, daß ein Kerl wie ich einem so schönen Weib solche Zuneigung einflößen könne! Die Liebe ist wirklich ein launenhaftes Ding!«
Sie kehrte zurück und setzte ihm einen Teller vor, von welchem er rüstig zulangte. Sie beobachtete ihn mit sichtlichem Interesse und sagte:
»So, mein guter Gerard, erscheinst du mir in meinen Träumen. Mitten im Urwald eine kleine Farm. Du der Mann, und ich die Frau.« – »O bitte!« – »Geduld! Es ist ja eben nur im Traum! Du kehrst von der Arbeit oder von der Jagd zurück, setzest dich an den Tisch …« – »Ohne vorherigen Kuß?« lachte er. – »Zehn Küsse vorher, Gerard! Dann setze ich dir eine rauchende Büffellende vor …« – »Nein, kalt muß sie sein! Büffellende darf nicht rauchen.« – »Gut, so bekommst du also kalte, und da beißt du so kräftig hinein, wie eben jetzt. Deine Zähne schimmern; du bist ganz bei der Arbeit und ißt so gut und behaglich, daß man selbst Appetit bekommt« – »Willst du?« fragte er, ihr das trockene Brot anbietend. – »Nein, brrr!« antwortete sie, sich schüttelnd. – »Schöne Farmersfrau, die kein Brot essen kann!« – »Ich würde es wieder lernen.« – »Aber schwer. Du kannst es besser, viel besser haben.« – »Wie?« – »Suche nach einer wirklichen, ernsten Verbindung. Bei deiner Schönheit und deinem Geist bist du imstande, den vornehmsten, den reichsten Mann zu fesseln! Dann hast du einen Halt für dein ganzes Leben.«
Sie blickte zu Boden nieder. Sie fühlte, daß er recht hatte, dennoch antwortete sie im Ton eines nicht zurückzudrängenden Vorwurfs:
»Und das sagst du mir, du, der einzige, den ich lieben kann?« – »Und der auch der einzige ist, der es wirklich aufrichtig gut mit dir meint.« – »Ja, ich glaube es dir, du bist stets gut zu mir gewesen, schon als Knabe.« – »Hm, warum sollte ich nicht? Deine und meine Eltern wohnten im Hinterhaus. Ich war ein starker Bube und du ein so kleines, allerliebstes Ding. Dann kam ich zum Schmied in die Lehre, und du warst reif zur Schule.« – »Und als ich die Schule verließ, warst du Garotteur.« – »Leider! Aber als ich die Garotte verließ,