Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1. Karl May
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Emilia setzte sich neben ihn auf den Diwan und blickte ihn erwartungsvoll an.
»Zunächst mußt du wissen, daß die Kompanie bereits nach Fort Guadeloupe abgegangen ist«, sagte er. – »Davon weiß ich kein Wort. Wann?« – »Heute beim Morgengrauen.« – »So ist das tiefste Geheimnis dabei bewahrt worden. Aber ich denke, daß der Kapitän gesagt hat, der Major soll nichts davon erfahren?« – »Er kennt auch wirklich den Ort nicht, wohin die Leute marschieren sollen.« – »Woraus schließt du das?« – »Ich habe nur eine kurze Bemerkung darüber vorgefunden. Sie lautet: Zweite Kompanie heute früh vor Tag abmarschiert auf Rekognoszierung.« – »Das ist bedenklich. Das ist sogar schlimm!« – »Warum?« – »Die Leute haben nun einen Vorsprung von einem vollen Tag vor dir.« – »Das ficht mich wenig an. Ich werde sie sicher einholen. Sie können die Pferde nicht so wechseln wie ich, und sie können ebensowenig so galoppieren wie ich. Eine Kompanie braucht Platz, sie kann nicht jede beliebige Richtung und jeden beliebigen Weg wählen, ich aber reite geradeaus durch dick und dünn.« – »Wer hätte dies früher in dem schwerfälligen Schmied gesucht!« – »Hm! Man muß etwas lernen, und das Schicksal nimmt den Menschen in die Schule!« – »Aber dennoch kann die Kompanie nur zur Rekognoszierung ausgeritten sein.« – »Inwiefern?« – »Du hättest ihnen begegnen müssen.« – »Dies ist nicht der Fall. Ich hörte von dem Kapitän, daß sie am linken Ufer des Rio Conchas hinabreiten würde; ich bin daher am rechten Ufer heraufgekommen, um nicht von diesen Leuten bemerkt zu werden. Diese Angelegenheit befindet sich ganz in Ordnung.« – »Was hast du noch erfahren?« – »Daß der Kommandant bereits von den dreißig Millionen weiß, die der Präsident der Union unserem Juarez zugesagt hat.« – »Das bringt uns fürs erste doch in keine naheliegende Gefahr!« – »O doch, denn er weiß, daß ein Teil dieses Geldes unterwegs ist. Morgen gehen zwei Kompanien nach der Grenze des Llano estacado ab, um diesen Transport aufzufangen.« – »O weh! Werden sie ihn bekommen?« – »Nein. Ich werde dafür sorgen, daß wir sie bekommen.« – »Wenn ihr sie findet!« – »Keine Sorge! Ich kenne die Marschroute; ich habe sogar Einsicht in ihre Karten und Pläne genommen. Es würde auch gelingen, wenn ich es nicht erfahren hätte.« – »Diese Franzosen vergessen, daß Juarez sich noch lange nicht am Ende seiner Macht befindet, halb Mexiko wartet nur auf seinen Ruf, um aufzustehen.« – »Und das soll in kurzer Zeit geschehen, darauf kannst du dich verlassen. Aber nun bin ich hier fertig, ich muß aufbrechen.« – »Schon?« fragte Emilia erschrocken. Und ihn an sich pressend, fügte sie hinzu. »Warte nur noch eine Stunde. Ich bekomme dich ja so selten zu sehen.« – »Unmöglich, die Pflicht ruft, und du sagst ja selbst, daß der Feind einen Vorsprung von einer Tagereise hat. Ich darf keine Minute versäumen.« – »Gut, ich sehe es ein. Wenn wir die Feinde baldigst vertreiben, wird auch die Zeit kommen, in der ich dich öfter sehe. Aber wenigstens so lange kannst du noch warten, bis ich dir einen Vorrat von Proviant eingepackt habe.« – »Ich danke dir; ich brauche nichts. Ich muß so leicht wie möglich sein und bekomme auf jeder Hazienda, was ich brauche. Ich kann nicht warten.«
Gerard erhob sich und stand auf. Sie standen einander gegenüber, eins so hoch und stolz wie das andere, er ein Bild männlicher Kraft und sie ein Beispiel weiblicher Schönheit.
»O Gerard, warum haben wir uns nicht in Paris geliebt?« klagte sie. – »Es wäre unser Unglück gewesen«, antwortete er, »wir wären elend geworden. Aber meine Zeit ist da. Lebe wohl, Emilia!« – »Lebe wohl!«
Sie umschlang ihn und drückte ihn an sich. Ihre Lippen legten sich so fest auf seinen Mund, als ob sie nicht wieder von ihm lassen könnte. Dann bat sie:
»Denke an mich, Gerard!« – »Gewiß, Emilia.« – »Sehr oft?« – »Sehr!« – »Und schone dich! Ich würde vor Gram sterben, wenn ich erführe, daß du deinen schweren Aufgaben erlegen bist. Wann kommst du wieder?« – »Das weiß ich nicht, denke aber, so bald wie möglich. Also gute Nacht!«
Er verließ das Zimmer auf demselben Weg, den er gekommen war, um sich von der alten Gärtnerin, die ihn zu empfangen pflegte, gegen die Mönchskutte sein Gewehr wieder einzutauschen. Er ahnte nicht, daß er einer schweren Gefahr geradezu in die Hände lief.
7. Kapitel
Vorhin, als Gerard sich durch die Vorpostenkette geschlichen hatte, war er sehr nahe an einem der Posten vorübergekommen. Dieser hatte ein leises Geräusch gehört und dann gelauscht, ohne etwas Weiteres zu vernehmen.
»Fast war es, als ob jemand hier vorübergegangen wäre«, sagte der Posten zu sich. »Es wird wohl irgendein Tier gewesen sein.«
Er schritt leise auf und ab, und nach einiger Zeit kam ihm die Lust, eine Zigarette zu rauchen. Die Franzosen befanden sich ja im Land der Zigaretten; sie selbst sind zudem große Liebhaber dieses Genusses und gaben sich demselben ohne Ausnahme hin. Selbst wenn ein Posten einmal rauchte, wurde gern ein Auge zugedrückt. Der Mann zog also eine Zigarette und Feuerzeug hervor. Da, beim Schein des Hölzchens war es ihm, als ob in dem zu einem Graben aufgeworfenen Land einige tiefe Fußspuren seien. Er bückte sich und leuchtete hin.
»Ah, richtig«, murmelte er. »Diese Spuren sind noch ganz frisch. Der Kerl ist hier vorübergekommen. Wer mag es gewesen sein?«
Er brannte nacheinander mehrere Zündhölzer an und sah nun ganz deutlich die Richtung, die der Mann genommen hatte.
»Dieser Kerl hat sich zwischen uns hindurch und in die Stadt geschlichen«, brummte er. »Er hat also etwas Gefährliches vorgehabt, und ich muß diese Geschichte sogleich melden.«
Er rief den nächsten Posten an und teilte ihm mit, was er bemerkt hatte. Diese Meldung ging von Mann zu Mann bis zu dem Offizier, der sie sofort dem Kommandanten übermittelte. Dieser nahm die Sache ernst, er kommandierte hier auf dem äußersten Posten der französischen Machtentfaltung und begab sich daher sofort unter gehöriger Bedeckung an Ort und Stelle, um seine Maßregeln zu treffen.
»Erzähle!« gebot er dem Soldaten. – »Ich hörte ein Geräusch —« begann dieser. – »Und riefst nicht an?« unterbrach ihn der Kommandant – »Es war nur so leise wie von einer Maus, ich konnte nicht denken, daß es von einem Menschen hergerührt habe«, entschuldigte sich der Mann. – »Und dann?« – »Dann kam mir doch der Gedanke, einmal nachzusehen. Der Boden ist hier weich. War es ein Mensch gewesen, so hatte er sicherlich Spuren hinterlassen. Ich zündete ein Hölzchen an und fand die Fährte!« – »Gut! Deine anfängliche Nachlässigkeit soll dir verziehen sein, weil du sie wiedergutgemacht hast. Brenne die Laternen an.«
Dies geschah, und nun konnte man die ganze Fährte bis dahin verfolgen, wo sie auf festem Boden verlief.
»Der Kerl ist in der Stadt, aber noch nicht wieder heraus«, sagte der Kommandant. »Wo es ihm gelungen ist, hineinzukommen, wird er auch wieder herauszukommen versuchen. Ihr bleibt alle hier. Sobald er kommt, ergreift ihr ihn, ohne ihn vorher anzurufen. Aber legt euch auf die Erde nieder, die Leute dieser Gegend sind erfahrene Kerle. Wenn er kommt und ihr steht, könnte er euch sehen. Ich werde unterdessen den übrigen Außenposten die größte Vorsicht anbefehlen.«