Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1. Karl May
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Читать онлайн книгу Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1 - Karl May страница 12
Er schob den leeren Teller von sich, um sie genau zu betrachten. Da flog sie von ihrem Sitz auf ihn zu und sagte:
»Gerard, dies alles nützt mir nichts. Nur dich allein möchte ich erobern und berauschen, dein Weib möchte ich sein, wenn auch nur für ein kurzes Jahr, und dann glücklich sterben. O Gott, warum kann dies nicht sein?«
Sie hielt ihn fest an sich gepreßt und weinte. Er schob sie langsam von sich und erwiderte:
»Wir passen nicht zueinander. Wir beide sind leidenschaftlich, wir beide haben zu viel gelebt, wir können uns nicht ergänzen. Siehst du das nicht ein?«
Sie nahm ihre Arme von seinem Hals und antwortete:
»Leider sehe ich es ein, mein guter Gerard. Wer von uns beiden sich verheiratet, der darf sich nur mit einem ruhigen, versöhnlichen Charakter verbinden. Wir aber würden einander nur unglücklich machen. Aber … aber …!«
Emilia schritt hastig einige Male im Zimmer auf und ab, dann blieb sie vor ihm stehen, zeigte mit den Armen rund umher und fuhr fort:
»Das alles danke ich dir. Blicke mich selbst an! Denkst du, ich wisse nicht, wie schön ich bin? Denkst du, ich wisse nicht, welchen Eindruck ich mache und welche Macht ich ausübe? Oh, ich analysiere mich täglich selbst.«
Sie zog die goldene Nadel heraus, und nun wallte die dunkle, verführerische Flut fast bis zum Boden hinab.
»Sieh mein Auge, meine Nase, meinen Mund, mein Kinn, mein Profil, meinen Kopf! Hast du jemals einen Kopf gesehen, der schöner war als der meinige, und wäre es auch ein Gemäldekopf? Wer will mir widerstehen? Kein anderer als nur du! Und doch möchte ich, daß ich nur dir allein gehörte! Oh, dann wollte ich in Seligkeit und Wonne schwelgen. Und dennoch darf dies nicht sein. Du willst mir nicht gehören. Meine Schönheit war zu schwach, dich zu besiegen. Ist das nicht schrecklich?«
Sie hatte sich in eine Aufregung hineingesprochen, die ihre Schönheit zur verdoppelten Geltung brachte. Ihre Augen leuchteten, ihre Wangen glühten. Gerard wandte sich ab, er fühlte, daß er nahe am Erliegen war. Es trieb ihn mit aller Gewalt, die Arme nach ihr auszustrecken und sie zu sich niederzuziehen.
Sie merkte dies an der Glut seiner Augen, sie fühlte sich dem langersehnten Sieg nahe, und ihr Herz bebte vor Entzücken – aber da wandte er sich ab.
Jetzt wußte sie, daß sie niemals seine Liebe erlangen würde. Sie drehte sich mit einem Ruck von ihm ab, trat an das Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Ihre Arme erhoben sich, ihre Finger erfaßten die Fransen der kostbaren Gardinen und rissen sie herab, ohne daß sie es beachtete. Es dauerte lange, bis sie sich beruhigte.
Endlich kehrte sie wieder zu ihm zurück und nahm auf einem Stuhl Platz. Ihr Gesicht war bleich, ihre Züge kalt, und ihre Stimme hatte einen heiseren Klang, als sie sagte:
»Das wunderbarste ist, daß ich dich fortliebe, daß keine Spur von Haß, kein Gedanke an Rache in meinem Herzen Platz nimmt. Aber laß uns nicht weiter davon sprechen, reden wir von unseren Geschäften!« – »Ja, das wird besser sein, liebe Emilia«, antwortete er. – »Daß es einen neuen Prätendenten gibt, weißt du?« – »Einen, der Präsident werden will? Ich hörte noch nichts davon. Wer ist es?« – »Ein gewisser Cortejo aus Mexiko. Ich glaube, er heißt Pablo Cortejo.«
Gerard horchte auf. Er kannte den Namen Cortejo nur zu gut. Er hatte ihn in dem Buch gefunden, das er Don Alfonzo abgenommen hatte, nachdem er ihn vorher garottiert hatte, in demselben Buch, das ihm später in Rheinswalden von dem Waldhüter abgenommen worden war.
»Cortejo? Was ist er?« fragte er gespannt – »Er war Verwalter des Grafen Ferdinando de Rodriganda.« – »Ah!« – »Kennst du den Grafen, oder vielmehr, kanntest du ihn?« – »Ich habe von ihm gehört.« – »Er ist gestorben, schon vor langen Jahren. Kennst du diesen Cortejo auch?« – »Nur dem Namen nach. Aber wenn er in Mexiko ist, wie kann er da prätendieren? Die Hauptstadt befindet sich ja in den Händen der Franzosen!« – »Ich habe gesagt, daß er aus Mexiko sei, nicht aber in Mexiko. Er befindet sich gegenwärtig droben in der Provinz Chiapa.« – »Hat er Anhang?« – »Er war einer der ersten, die sich für die Franzosen erklärten, er und der Panther des Südens. So lange Juarez noch mächtig war, trat dieser Cortejo mit seinen Absichten nicht hervor, jetzt aber scheint er zu denken, daß ihm sowohl die Zeit, als auch die Verhältnisse günstig seien. Er agitiert in den südlichen Provinzen, in denen die Franzosen doch nie große Fortschritte gemacht haben.« – »Ist er denn der Mann dazu?« – »Ich weiß es nicht.« – »Und stehen ihm die nötigen Mittel zu Gebote?« – »Wahrscheinlich.« – »Und die Erfolge, die er bereits erzielt hat?« – »Sie scheinen nicht zu groß zu sein. Aber der Panther des Südens hat sich für ihn erklärt, und du wirst wissen, daß dieser einen großen Anhang besitzt.« – »Dieser Cortejo scheint uns nicht sehr gefährlich werden zu können.« – »Wer weiß es! Vielleicht hat er Geld, und für dieses ist der Mexikaner außerordentlich empfänglich. Das sonderbarste aber ist, daß er selbst weniger agitiert als seine Tochter.« – »Er hat eine Tochter?« – »Ja.« – »So ist sie jung und schön?« – »Warum jung und schön?« – »Weil dies zwei Eigenschaften sind, denen es selten schwerfällt, Propaganda zu machen, sobald sie nämlich geschickt in die Waagschale geworfen werden. Du zum Beispiel wärst ganz wie geschaffen dazu, einen Agitator zu unterstützen.« – »Ich tue dies ja bereits, indem ich für Juarez wirke. Was aber diese Tochter Cortejos betrifft, so ist sie weder jung noch schön. Diese Señorita Josefa …« – »Josefa heißt sie?« fragte er, sie unterbrechend. – »Ja. Sie ist geradezu eine Vogelscheuche.« – »Kennst du sie? Hast du sie gesehen? – »Nein. Ich kenne sie nur im Bild.« – »So hast du ihre Fotografie?« – »Ja. Dieses Weib läßt nämlich Fotografien von sich verteilen.« – »Und ist weder jung noch schön? Welch eine Dummheit!« – »Ah, welches Weib, und wäre es eine Megäre, ist so objektiv, sich aufrichtig für häßlich zu halten? Man sagt, daß Señorita Josefa sich im Gegenteil für schön hält. Und diese Ansicht muß sie auch wirklich von sich haben, sonst würde sie nicht ihre Fotografien zu Tausenden anfertigen lassen und verteilen.« – »Hast du das Bild da?« – »Ja, hier im Album.« – »Bitte, zeige es mir!«
Emilia öffnete das Album, schlug es auf und legte es Gerard vor.
»Da ist es, diese hagere Person!«
Er warf einen neugierigen Blick darauf und lachte laut auf.
»Wie findest du sie?« fragte Emilia, in sein Lachen einstimmend. – »Außerordentlich interessant, aber nur zum Zweck eines Studiums der Häßlichkeit, oder nur um dir als das gerade Gegenstück zu dienen. Ich begreife einfach dieses Frauenzimmer nicht.« – »Gut, lassen wir ihr das Glück, von Tausenden gesehen und ausgelacht zu werden. Welche Neuigkeiten hast du noch?« – »Daß Napoleon endlich beginnt, mit den Vereinigten Staaten über das Schicksal Mexikos zu unterhandeln.« – »So ist der Erzherzog Max am Ende seiner Kaiserlaufbahn.« – »Meinst du?« – »Ja. Die Vereinigten Staaten werden keinen Kaiser von Mexiko dulden.« – »Das ist denn doch die Frage.« – »Nein, es ist gewiß. Das geht ja sehr deutlich aus der Note hervor, die Seward, der Sekretär der Vereinigten Staaten, bereits im Jahre 1864 an Dayton, seinen Gesandten in Paris, übermittelte.« – »Wie lautete sie?« – »Ich sende Ihnen eine Abschrift der Resolution, die am vierten dieses Monats im Repräsentantenhaus einstimmig