Der kleine Ritter. Генрик Сенкевич
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Hier blickte er Frau Olenka an; sie aber erriet, daß er in ihrer Gegenwart nicht sprechen wolle, und sagte zu ihrem Manne:
»Ich will den Herren Met herausschicken; jetzt lasse ich euch allein.« Kmiziz zog Herrn Charlamp in die Laube, bot ihm auf der Bank einen Platz und rief:
»Was ist dir? Brauchst du Hilfe? Auf mich kannst du zählen wie auf einen Bruder.«
»Mir fehlt nichts,« antwortete der alte Soldat, »ich brauche auch keine Hilfe, solange ich mit dieser Hand und mit diesem Degen schaffen kann; aber unser Freund, der würdigste Ritter der Republik, ist in schwerer Not, und ich weiß nicht, ob er noch atmet.«
»Bei allen Wunden Christi! Wolodyjowski ist ein Unglück widerfahren?«
»So ist's,« antwortete Charlamp, und seine Tränen flossen in neuen Strömen. »Wisse, Freund, Fräulein Anna Borschobohata hat dieses Jammertal verlassen.«
»Sie ist gestorben!« schrie Kmiziz auf und faßte sich mit beiden Händen an den Kopf.
»Wie ein Vogel vom Pfeil getroffen.«
Es trat eine Pause des Schweigens ein. Nur die herabfallenden Äpfel schlugen hier und da schwer auf den Boden, und Charlamp stöhnte immer vernehmlicher, da er seine Tränen hemmen wollte. Kmiziz aber rang die Hände und wiederholte, beständig mit dem Kopfe schüttelnd:
»Du lieber Gott, du lieber Gott, du lieber Gott!«
»Wundere dich nicht über meine Tränenströme!« begann endlich Charlamp; »denn wenn dir auf die bloße Nachricht von dem Ereignis der Schmerz unerträglich die Brust zusammenschnürt, was soll ich erst, der ich ihr Hinscheiden und ihr Leiden gesehen habe, das alles Maß überstieg.«
Jetzt trat der Diener ein, der eine Kanne und ein zweites Glas brachte; ihm folgte Frau Olenka, die ihre Neugier doch nicht hatte überwinden können. Da sie jetzt dem Manne ins Antlitz sah und darin einen tiefen Schmerz wahrnahm, sagte sie sogleich:
»Was für Nachrichten habt Ihr gebracht? Schickt mich nicht fort, ich will Euch trösten, wenn ich es vermag, oder ich will mit Euch weinen oder Euch mit einem Rate dienen.«
»Auch in deinem Kopfe wird es wohl keinen Rat dafür geben,« antwortete Herr Andreas; »aber ich fürchte, du könntest durch den Schmerz deine Gesundheit schädigen.«
Sie aber antwortete: »Ich kann viel ertragen. Schlimmer ist's, in Ungewißheit zu leben.«
»Ännchen ist gestorben,« sagte Kmiziz.
Frau Kmiziz wurde bleich und sank schwer auf die Bank nieder. Kmiziz glaubte, die Kräfte verließen sie, aber der Schmerz gewann in ihr die Oberhand über die überraschende Nachricht, und sie begann zu weinen, und beide Ritter weinten mit ihr.
»Olenka,« sagte endlich Kmiziz, um den Gedanken seiner Gattin eine andere Richtung zu geben; »glaubst du denn nicht, daß sie im Paradiese ist?«
»Ich beweine sie nicht, ich weine ihr nur nach, und ich weine über das Schicksal des Herrn Michael. Denn was die ewige Glückseligkeit betrifft, so wollte ich, ich hätte so sichere Hoffnung der Erlösung für mich, wie ich sie für sie habe. Es gab kein braveres Mädchen als sie, kein besseres Herz. O mein Ännchen, mein geliebtes Ännchen.«
»Ich habe sie sterben sehen,« sagte Charlamp; »gebe Gott niemand einen minder frommen Tod!«
Dann schwiegen sie alle drei, bis endlich Kmiziz, nachdem sein Leid sich in Tränen gelöst hatte, wieder begann, von Zeit zu Zeit bei den traurigsten Stellen zutrinkend:
»Erzählt uns doch, wie es kam.«
»Ich danke,« antwortete Charlamp; »von Zeit zu Zeit will ich dir Bescheid tun, wenn du mir zutrinkst, denn der Schmerz greift nicht bloß ans Herz, sondern auch an die Gurgel, wie der Wolf, und wen er greift, kann er ohne Rettung erwürgen. Es war so: Ich fuhr von Tschenstochau in die Heimat, um meine alten Tage in Frieden hinzuleben und auf meinem Gute zu sitzen. Ich habe genug vom Krieg, denn ich begann als junger Bursche und habe jetzt einen grauen Schädel. Wenn ich's gar nicht ausgehalten hätte, so wäre ich noch einmal mitgezogen; aber jene Kriegszüge zum Schaden des Vaterlandes und zur Freude der Feinde, und jene Bürgerkriege haben mir die Bellona ganz und gar verleidet … Du lieber Himmel, der Pelikan nährt seine Kinder mit dem eigenen Blute, es ist wohl wahr, aber dieses Vaterland hat gar kein Blut mehr in seiner Brust. Swiderski war ein großer Krieger … mag ihn der Himmel richten.«
»Mein liebes Ännchen,« unterbrach Frau Kmiziz weinend, »wenn du nicht gewesen wärest, was wäre aus uns allen geworden? Du warst mir Zuflucht und Schutz! Mein liebes, gutes Ännchen!«
Als Charlamp dies hörte, weinte er wieder laut auf, aber Kmiziz unterbrach ihn mit der Frage:
»Und wo seid Ihr denn Wolodyjowski begegnet?«
»Wolodyjowski traf ich ebenfalls in Tschenstochau, wo sie beide zu rasten gedachten, denn sie hatten dort beide unterwegs Gelübde getan. Er sagte mir, er zöge mit der Verlobten aus eurer Gegend nach Krakau zur Fürstin Griseldis Wischniowiezka, ohne deren Zustimmung und Segen das Fräulein keineswegs getraut sein wollte. Das Mädchen war damals noch gesund und er fröhlich wie ein Vogel. »Siehst du,« sagte er, »so hat mir Gott für meine Arbeit meinen Lohn gegeben.« Wolodyjowski rühmte sich auch, Gott verzeih's ihm, und neckte mich, weil wir, ihr wißt's ja, um das Fräulein seinerzeit gestritten hatten; wir sollten uns sogar schlagen… Wo ist sie jetzt, die Arme?«
Und wieder weinte Herr Charlamp laut auf, aber wieder nur kurz, denn Kmiziz unterbrach ihn wieder:
»Sie war also gesund? Wie kam es denn so plötzlich?«
»Ja plötzlich, ganz plötzlich. Sie wohnte bei der Frau Martin Samojska, die damals mit ihrem Manne in Tschenstochau war. Wolodyjowski steckte den ganzen Tag bei ihr, klagte ein wenig über den Aufenthalt und meinte, sie würden wohl gar erst über ein Jahr nach Krakau gelangen, da alle Menschen unterwegs sie aufhielten. Kein Wunder auch! Einen solchen Kriegshelden wie Wolodyjowski bewirtet jeder gern, und wer ihn einmal hat, der hält ihn fest. Auch mich brachte er zu dem Fräulein und drohte mir lachend mich niederzuschlagen, wenn ich mich um ihre Liebe bemühte. Aber sie sah in der Welt nichts außer ihm. Mir ist wohl manchmal traurig geworden, wenn ich daran dachte, daß der Mensch im Alter wie der Nagel an der Wand vereinsamt ist. Nun, es kann nicht anders sein! Plötzlich in der Nacht stürzt Wolodyjowski in fürchterlicher Erregung zu mir herein:«
»Um Gottes willen, weißt du nicht einen Arzt?«
»Was ist geschehen?«
»Sie ist krank, sie weiß nicht, was vorgeht!«
»Ich frage, wann sie krank geworden. Soeben, sagt er, habe man's ihm von Frau Samojska gemeldet, mitten in der Nacht. Wo einen Arzt hernehmen! In der ganzen Stadt war nur das Kloster unversehrt, überall mehr Trümmerhaufen als Menschen. Endlich fand ich einen Feldscher, und der wollte nicht einmal mitgehen. Ich mußte ihn zwingen, mit an den Ort zu kommen. Aber da war der Priester schon notwendiger als der Arzt; wir trafen einen würdigen Pauliner Mönch, der sie durch sein Gebet wieder zum Bewußtsein zurückrief, so daß sie das heilige Abendmahl empfangen und von Herrn Michael herzlichen Abschied nehmen konnte. Am anderen Tag um Mittag war's schon um sie geschehen. Der Feldscher behauptete, es müsse ihr jemand etwas angetan haben, was doch nicht möglich ist, denn in Tschenstochau hat der Zauber keine Macht. Aber was nun mit Herrn Wolodyjowski vorging, was der angab … ich