Der Zauberberg. Volume 2. Томас Манн

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Der Zauberberg. Volume 2 - Томас Манн

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style="font-size:15px;">      Ein Schweigen folgte. Die jungen Leute blickten betroffen vor sich hin. Nach einigen Schritten sagte Settembrini, der Kopf und Hals wieder in natürliche Stellung gebracht hatte:

      "Sie dürfen sich nicht wundern, dieser Herr und ich, wir zan-ken uns oft, aber es geschieht in aller Freundschaft und auf Grund manchen Einverständnisses."

      Das tat wohl. Es war ritterlich und human von Herrn Settembrini. Aber Joachim, der es ebenfalls gut meinte und das Gespräch harmlos fortzuführen gedachte, sagte trotzdem, als stünde er unter irgendeinem Druck und Zwang, und gleichsam gegen seinen Willen: "Zufällig sprachen wir vom Kriege, mein Vetter und ich, vorhin, als wir hinter Ihnen gingen."

      "Das hörte ich", antwortete Naphta. "Ich fing das Wort auf und sah mich um. Politisieren Sie? Erörterten Sie die Weltlage?"

      "Oh, nein", lachte Hans Castorp. "Wie sollten wir dazu wohl kommen! Für meinen Vetter hier wäre es von Berufs wegen ge-radezu unpassend, sich um Politik zu kümmern, und ich ver-zichte freiwillig darauf, verstehe gar nichts davon. Seit ich hier bin, habe ich noch nicht einmal eine Zeitung in der Hand ge-habt …"

      Settembrini fand das, wie früher schon einmal, tadelnswert. Er zeigte sich sofort aufs beste unterrichtet über die großen Ver-hältnisse und beurteilte sie beifällig insofern, als die Dinge einen der Zivilisation günstigen Verlauf nähmen. Die europäische Gesamtatmosphäre sei von Friedensgedanken, von Abrüstungs-plänen erfüllt. Die demokratische Idee marschiere. Er erklärte, vertrauliche Informationen zu besitzen, dahingehend, das Jung-türkentum beende soeben seine Vorbereitungen zu grundstür-zenden Unternehmungen. Die Türkei als National – und Verfas-sungsstaat, – welch ein Triumph der Menschlichkeit!

      "Liberalisierung des Islam", spottete Naphta. "Vorzüglich. Der aufgeklärte Fanatismus, – sehr gut. Übrigens geht das Sie an", wandte er sich an Joachim. "Wenn Abdul Hamid fällt, ist es mit Ihrem Einfluß in der Türkei zu Ende, und England wirft sich zum Protektor auf… Sie müssen die Verbindungen und Informationen unseres Settembrini durchaus ernst nehmen", sagte er zu beiden Vettern, und auch dies klang impertinent, da er sie für geneigt zu halten schien, Herrn Settembrini nicht ernst zu nehmen. "In national-revolutionären Dingen weiß er Bescheid. Bei ihm zu Hause unterhält man gute Beziehungen zum englischen Balkankomitee. Was wird aber aus den Abma-chungen von Reval, Lodovico, wenn Ihre Fortschrittstürken Glück haben? Eduard der Siebente wird den Russen die Öff-nung der Dardanellen nicht mehr zugestehen können, und wenn Österreich sich trotzdem zu einer aktiven Balkanpolitik aufrafft, so …"

      "Mit Ihrer Katastrophenprophetie!" wehrte Settembrini ab. "Nikolaus liebt den Frieden. Man verdankt ihm die Konferenzen im Haag, die moralische Tatsachen ersten Ranges bleiben."

      "Ei, Rußland mußte sich nach seinem kleinen Mißgeschick im Osten noch etwas Erholung gönnen!"

      "Pfui, mein Herr. Sie sollten die Sehnsucht der Menschheit nach ihrer gesellschaftlichen Vervollkommnung nicht verhöh-nen. Das Volk, das solche Bestrebungen durchkreuzt, wird sich unzweifelhaft der moralischen Achtung aussetzen."

      "Wozu wäre die Politik auch da, als einander Gelegenheit zu geben, sich moralisch zu kompromittieren!"

      "Sie huldigen dem Pangermanismus?"

      Naphta zuckte die Schultern, die nicht ganz gleichmäßig standen. Er war wohl eigentlich etwas schief, zu seiner sonstigen Häßlichkeit. Er verschmähte es, zu antworten. Settembrini urteilte:

      "Jedenfalls ist es zynisch, was Sie da sagen. In den hochherzigen Anstrengungen der Demokratie, sich international durchzu-setzen, wollen Sie nichts erblicken, als politische List…"

      "Sie verlangen wohl, daß ich Idealismus oder gar Religiosität darin erblicke? Es handelt sich um letzte, schwächliche Regun-gen des Restes von Selbsterhaltungsinstinkt, über den ein verur-teiltes Weltsystem noch verfügt. Die Katastrophe soll und muß kommen, sie kommt auf allen Wegen und auf alle Weise. Neh-men Sie die britische Staatskunst. Englands Bedürfnis, das indi-sche Glacis zu sichern, ist legitim. Aber die Folgen? Eduard weiß so gut wie Sie und ich, daß die Machthaber von Petersburg die mandschurische Scharte auswetzen müssen und die Ableitung der Revolution so notwendig brauchen wie das liebe Brot. Trotzdem lenkt er – er muß es wohl! – den russischen Ausdehnungsdrang nach Europa, weckt eingeschlummerte Riva-litäten zwischen Petersburg und Wien –"

      "Ach, Wien! Sie sorgen sich um dieses Welthindernis, ver-mutlich, weil Sie in dem morschen Imperium, dessen Haupt es ist, die Mumie des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation erkennen!"

      "Und Sie finde ich russophil, vermutlich aus humanistischer Sympathie mit dem Cäsaro-Papismus."

      "Mein Herr, die Demokratie hat selbst vom Kreml mehr zu hoffen, als von der Hofburg, und es ist eine Schande für das Land Luthers und Gutenbergs –"

      "Es ist außerdem wahrscheinlich eine Dummheit. Aber auch diese Dummheit ist ein Werkzeug der Fatalität –"

      "Ach, gehen Sie mir mit der Fatalität! Die menschliche Ver-nunft braucht sich nur stärker zu wollen als die Fatalität, und sie ist es?"

      "Gewollt wird immer nur das Schicksal. Das kapitalistische Europa will das seine."

      "Man glaubt an das Kommen des Krieges, wenn man ihn nicht hinlänglich verabscheut!"

      "Ihre Abscheu ist logisch abrupt, solange Sie ihn nicht beim Staate selbst beginnen lassen."

      "Der nationale Staat ist das Prinzip des Diesseits, das Sie dem Teufel zuschreiben möchten. Machen Sie aber die Nationen frei und gleich, schützen Sie die – kleinen und schwachen vor Unter-drückung, schaffen Sie Gerechtigkeit, schaffen Sie nationale Grenzen …"

      "Die Brennergrenze, ich weiß. Die Liquidation Österreichs. Wenn ich nur wüßte, wie Sie sie ohne Krieg zu bewerkstelligen gedenken!"

      "Und ich wüßte wahrhaftig gern, wann jemals ich den nationalen Krieg verdammt haben soll."

      "Ich höre doch wohl –"

      "Nein, das muß ich Herrn Settembrini bestätigen", mischte sich Hans Castorp in den Disput, dem er im Gehen gefolgt war, indem er den jeweils Sprechenden mit schrägem Kopfe auf-merksam von der Seite betrachtet hatte. "Mein Vetter und ich haben ja schon manchmal den Vorzug gehabt, uns mit ihm über diese und ähnliche Dinge zu unterhalten, das heißt, natürlich lief es darauf hinaus, daß wir ihm zuhörten, wie er seine Mei-nungen entwickelte und alles klarstellte. Und da kann ich denn bestätigen, und auch mein Vetter hier wird sich daran erinnern, daß Herr Settembrini mehr als einmal mit großer Begeisterung von dem Prinzip der Bewegung und der Rebellion und der Weltverbesserung sprach, das ja an sich kein so ganz friedliches Prinzip ist, sollte ich meinen, und daß diesem Prinzip noch gro-ße Anstrengungen bevorständen, ehe es überall gesiegt haben werde und die allgemeine glückliche Weltrepublik stattfinden könne. Das waren seine Worte, wenn sie auch natürlich viel pla-stischer und schriftstellerischer waren als meine, das versteht sich von selbst. Was ich aber ganz genau weiß und wörtlich be-halten habe, weil ich als ausgepichter Zivilist direkt etwas dar-über erschrak, das war, daß er sagte, dieser Tag werde, wenn nicht auf Taubenfüßen, so auf Adlerschwingen kommen (über die Adlerschwingen erschrak ich, wie ich mich erinnere), und Wien müsse aufs Haupt geschlagen sein, wenn man das Glück in die Wege leiten wolle. Man kann also nicht sagen, daß Herr Settembrini den Krieg überhaupt verworfen hat. Habe ich recht, Herr Settembrini?"

      "Ungefähr", sagte der Italiener kurz, indem er abgewandten Kopfes seinen Stock schwenkte.

      "Schlimm", lächelte Naphta häßlich. "Da sind Sie von Ihrem eigenen Schüler kriegerischer Neigungen überführt. Assument pennas ut aquilae …"

      "Voltaire

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