Der Zauberberg. Volume 2. Томас Манн

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Der Zauberberg. Volume 2 - Томас Манн

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durch den Namen. – Wie hat er dir gefallen?"

      "Der Kleine? Nicht gut. Er sagte manches, was mir gefiel. Schiedsgerichte sind natürlich eine Duckmäuserei. Aber er selbst hat mir wenig gefallen, und da kann einer noch so viel Gutes sagen, was habe ich davon, wenn er selbst ein zweifelhafter Kerl ist. Und zweifelhaft ist er, das kannst du nicht leugnen. Allein schon die Geschichte mit dem 'Orte der Beiwohnung' war entschieden bedenklich. Und dabei hat er ja eine Judenna-se, sieh ihn dir doch an! So miekerig von Figur sind auch immer nur die Semiten. Hast du denn ernstlich vor, den Mann zu be-suchen?"

      "Selbstverständlich werden wir ihn besuchen!" erklärte Hans Castorp. "Die Miekerigkeit, – das ist nur das Militär, das da aus dir spricht. Aber die Chaldäer hatten auch solche Nasen und waren doch höllisch auf dem Posten, nicht bloß in den Ge-heimwissenschaften. Naphta hat auch was von Geheimwissenschaft, er interessiert mich nicht wenig. Ich will auch nicht be-haupten, daß ich heute schon klug aus ihm geworden bin, aber wenn wir öfter mit ihm zusammenkommen, so werden wir es vielleicht, und ich halte es gar nicht für ausgeschlossen, daß wir überhaupt klüger werden bei dieser Gelegenheit."

      "Ach, Mensch, du wirst ja immer klüger hier oben, mit dei-ner Biologie und Botanik und deinen unhaltbaren Wendepunkten. Und mit der 'Zeit' hattest du es gleich am ersten Tage zu tun. Und dabei sind wir doch hier, um gesünder, und nicht um gescheiter zu werden, – gesünder und ganz gesund, damit sie uns endlich in Freiheit setzen und als geheilt ins Flachland ent-lassen können!"

      "Auf den Bergen wohnt die Freiheit!" sang Hans Castorp leichtsinnig. "Sage mir erst mal, was Freiheit ist", fuhr er sprechend fort. "Naphta und Settembrini stritten vorhin ja auch dar-über und kamen zu keiner Einigung. "Freiheit ist das Gesetz der Menschenliebe!' sagt Settembrini, und das klingt nach seinem Vorfahren, dem Carbonaro. Aber so tapfer der Carbonaro war, und so tapfer unser Settembrini selber ist…"

      "Ja, er wurde ungemütlich, als auf persönlichen Mut die Rede kam."

      " … so glaube ich doch, daß er vor manchem Angst hat, wo-vor der kleine Naphta nicht Angst hat, verstehst du, und daß seine Freiheit und Tapferkeit ziemlich etepetete sind. Meinst du, daß er Mut genug hätte, de se perdre ou même de se laisser dé-périr?"

      "Was fängst du an, französisch zu sprechen?"

      "Nur so … Die Atmosphäre hier ist ja so international. Ich weiß nicht, wer mehr Gefallen daran finden müßte: Settembrini, von wegen der bürgerlichen Weltrepublik, oder Naphta mit seinem hierarchischen Kosmopolis. Ich habe scharf aufgepaßt, wie du siehst, aber klar ist die Sache mir nicht geworden, ich fand im Gegenteil, die Konfusion war groß, die herauskam bei ihren Reden."

      "Das ist immer so. Das wirst du immer so finden, daß bloß Konfusion herauskommt beim Reden und Meinungen haben, Ich sage dir ja, es kommt überhaupt nicht drauf an, was für Meinungen einer hat, sondern darauf, ob einer ein rechter Kerl ist. Am besten ist, man hat gleich gar keine Meinung, sondern tut seinen Dienst."

      "Ja, so kannst du sagen, als Landsknecht und rein formale Existenz, die du bist. Bei mir ist es was andres, ich bin Zivilist, ich bin gewissermaßen verantwortlich. Und mich regt es auf, solche Konfusion zu sehen, wie daß der eine die internationale Weltrepublik predigt und den Krieg grundsätzlich verabscheut, dabei aber so patriotisch ist, daß er partout die Brennergrenze verlangt und dafür einen Zivilisationskrieg führen will, – und daß der andere den Staat für Teufelswerk hält und von der all-gemeinen Vereinigung am Horizonte flötet, aber im nächsten Augenblick das Recht des natürlichen Instinktes verteidigt und sich über Friedenskonferenzen lustig macht. Unbedingt müssen wir hingehen, um klug daraus zu werden. Du sagst zwar, wir sollen hier nicht klüger werden, sondern gesünder. Aber das muß sich vereinigen lassen, Mann, und wenn du das nicht glaubst, dann treibst du Weltentzweiung, und so was zu treiben, ist immer ein großer Fehler, will ich dir mal bemerken."

      Vom Gottesstaat und von übler Erlosung

      Hans Castorp bestimmte in seiner Loge ein Pflanzengewächs, das jetzt, da der astronomische Sommer begonnen hatte und die Tage kürzer zu werden begannen, an vielen Stellen wucherte: die Akelei oder Aquilegia, eine Ranunkulazeenart, die stauden-artig wuchs, hochgestielt, mit blauen und veilchenfarbnen, auch rotbraunen Blüten und krautartigen Blättern von geräumiger Fläche. Die Pflanze wuchs da und dort, massenweis aber na-mentlich in dem stillen Grunde, wo er sie vor nun bald einem Jahre zuerst gesehen: der abgeschiedenen, wildwasserdurch-rauschten Waldschlucht mit Steg und Ruhebank, wo sein voreiligfreizügiger und unbekömmlicher Spaziergang von damals geendigt hatte, und die er nun manchmal wieder besuchte.

      Es war, wenn man es weniger unternehmend anfing, als er damals getan, nicht gar so weit dorthin. Stieg man vom Ziel der Schlittlrennen in "Dorf" ein wenig die Lehne hinauf, so war der malerische Ort auf dem Waldwege, dessen Holzbrücken die von der Schatzalp kommende Bobbahn überkreuzten, ohne Umwege, Operngesang und Erschöpfungspausen in zwanzig Minuten zu erreichen, und wenn Joachim durch dienstliche Pflichten, durch Untersuchung, Innenphotographie, Blutprobe, Injektion oder Gewichtsfeststellung ans Haus gefesselt war, so wanderte Hans Castorp wohl bei heiterer Witterung nach dem zweiten Frühstück, zuweilen auch schon nach dem ersten dort-hin, und auch die Stunden zwischen Tee und Abendessen be-nutzte er wohl zu einem Besuch seines Lieblingsortes, um auf der Hank zu sitzen, wo ihn einst das mächtige Nasenbluten überkommen, dem Geräusche des Gießbachs mit schrägem Kopfe zu lauschen und das geschlossene Landschaftsbild um sich her zu betrachten, sowie die Menge von blauer Akelei, die nun wieder in ihrem Grunde blühte.

      Kam er nur dazu? Nein, er saß dort, um allein zu sein, um sich zu erinnern, die Eindrücke und Abenteuer so vieler Monate zu überschlagen und alles zu bedenken. Es waren ihrer viele und mannigfaltige, – nicht leicht zu ordnen dabei, denn sie er-schienen ihm vielfach verschränkt und ineinanderfließend, so daß das Handgreifliche kaum vom bloß Gedachten, Geträumten und Vorgestellten, zu sondern war. Nur abenteuerlichen We-sens waren sie alle, in dem Grade, daß sein Herz, beweglich, wie es hier oben vom ersten Tage an gewesen und geblieben war, stockte und hämmerte, wenn er ihrer gedachte. Oder ge-nügte bereits die Vernunftüberlegung, daß die Aquilegia hier, wo ihm einst in einem Zustand herabgesetzter Lebenstätigkeit Pribislav Hippe leibhaftig erschienen war, nicht immer noch, sondern schon wieder blühte, und daß aus den "drei Wochen" demallemächst ein rundes Jahr geworden sein würde, um sein bewegliches Herz so abenteuerlich zu erschrecken?

      Übrigens bekam er kein Nasenbluten mehr auf seiner Bank am Wildwasser, das war vorbei. Seine Akklimatisation, die Joachim ihm sogleich als schwierig hingestellt und die ihre Schwierigkeit denn auch bewährt hatte, war vorgeschritten, sie mußte nach elf Monaten als vollendet gelten, und Weiterge-hendes in dieser Richtung war kaum zu gewärtigen. Der Che-mismus seines Magens hatte sich geregelt und angepaßt, Maria Mancini schmeckte, die Nerven seiner ausgetrockneten Schleimhäute kosteten längst wieder empfänglich die Blume dieses preiswerten Fabrikats, das er sich nach wie vor, wenn der Vorrat zur Neige ging, mit einer Art von Pietätsgefühl aus Bremen verschrieb, obgleich sehr einladende Ware sich in den Schaufenstern des internationalen Kurortes empfahl. Bildete Maria nicht eine Art von Verbindung zwischen ihm, dem Ent-rückten, und dem Flachlande, der alten Heimat? Unterhielt und bewahrte sie dergleichen Beziehungen nicht wirksamer, als etwa die Postkarten, die er dann und wann nach unten an die Onkel richtete, und deren Abstände voneinander in demselben Maße größer geworden waren, als er sich unter Annahme hiesiger Be-griffe eine großartigere Zeitbewirtschaftung zu eigen gemacht hatte? Es waren meistens Ansichtskarten, der größeren Gefällig-keit halber, mit hübschen Bildern des Tales im Schnee wie in sommerlicher Verfassung, und sie boten für Schriftliches nur eben soviel Raum, als nötig war, um die neueste ärztliche Ver-lautbarung zu überliefern, das Ergebnis einer Monats – oder General-untersuchung verwandtschaftlich zu melden, das heißt also: etwa mitzuteilen, daß akustisch wie optisch eine unverkennbare Besserung zu verzeichnen gewesen, daß er aber noch nicht ent-giftet sei, und daß die leichte Übertemperatur, in der er immer noch stehe, von den kleinen Stellen komme, die eben noch vorhanden seien, aber bestimmt ohne Rest

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