Der Zauberberg. Volume 2. Томас Манн

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Der Zauberberg. Volume 2 - Томас Манн

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an der Gesetzgebung und seine ganze Gewalt dem Staate, dem Fürsten übertrug, folgert Ihre Schule vor allem das revolutionäre Recht des Volkes vor dem König-tum. Wir dagegen –"

      "Wir?" dachte Hans Castorp gespannt … Wer sind "wir"? Ich muß unbedingt nachher Settembrini danach fragen, wen er mit "wir" meint.

      "Wir unsererseits", sprach Naphta, "vielleicht nicht weniger revolutionär als Sie, haben daraus von jeher in erster Linie den Vorrang der Kirche vor dem weltlichen Staat gefolgert. Denn wenn die Ungöttlichkeit des Staates ihm nicht an der Stirn ge-schrieben stände, würde ein Hinweis auf eben dieses historische Faktum, daß er auf den Willen des Volkes und nicht, wie die Kirche, auf göttliche Stiftung zurückzuführen ist, genügen, um ihn, wenn nicht geradezu als eine Veranstaltung der Bosheit, so doch jedenfalls als eine solche der Notdurft und der sündhaften Unzulänglichkeit zu erweisen."

      "Der Staat, mein Herr –"

      "Ich weiß, wie Sie über den nationalen Staat denken. 'Über alles geht die Vaterlandsliebe und grenzenlose Ruhmesbegier.' Das ist Virgil. Sie korrigieren ihn durch etwas liberalen Indivi-dualismus, und das ist die Demokratie; aber Ihr grundsätzliches Verhältnis zum Staat bleibt dadurch völlig unberührt. Daß seine Seele das Geld ist, ficht Sie offenbar nicht an. Oder wollen Sie es bestreiten? Die Antike war kapitalistisch, weil sie staats-fromm war. Das christliche Mittelalter hat den immanenten Ka-pitalismus des weltlichen Staates klar erkannt. 'Das Geld wird Kaiser sein', – das ist eine Prophezeiung aus dem elften Jahr-hundert. Leugnen Sie, daß das wörtlich eingetroffen, und daß die Verteufelung des Lebens damit restlos erreicht ist?"

      "Lieber Freund, Sie haben das Wort. Ich bin ungeduldig, mit dem großen Unbekannten, dem Träger des Schreckens, bekannt gemacht zu werden."

      "Eine gewagte Neugier bei dem Sprecher einer Gesellschaftsklasse, welche Träger der Freiheit ist, die die Welt zugrunde ge-richtet hat. Ich' kann auf Ihre Widerrede zur Not verzichten, denn die politische Ideologie der Bürgerlichkeit ist mir bekannt. Ihr Ziel ist das demokratische Imperium, die Selbstübersteige-rung des nationalen Staatsprinzips ins Universelle, der Weltstaat. Der Kaiser dieses Imperiums? Wir kennen ihn. Ihre Utopie ist gräßlich, und doch, – wir finden uns an diesem Punkt gewisser-maßen wieder zusammen. Denn Ihre kapitalistische Weltrepu-blik hat etwas Transzendentes, tatsächlich, der Weltstaat ist die Transzendenz des weltlichen Staates, und wir stimmen überein in dem Glauben, daß einem vollkommenen Anfangszustande der Menschheit ein in Horizontferne liegender vollkommener Endzustand entsprechen soll. Seit den Tagen Gregors des Großen, Gründers des Gottesstaates, hat die Kirche es als ihre Auf-gabe betrachtet, den Menschen unter die Leitung Gottes zurück-zuführen. Der Herrschaftsanspruch des Papstes wurde nicht um seiner selbst willen erhoben, sondern seine stellvertretende Diktatur war Mittel und Weg zum Erlösungsziel, Übergangs-form vom heidnischen Staat zum himmlischen Reich. Sie haben diesen Lernenden hier von Bluttaten der Kirche, ihrer strafen-den Unduldsamkeit gesprochen, – höchst törichterweise, denn Gotteseifer kann selbstverständlich nicht pazifistisch sein, und Gregor hat das Wort gesprochen: "Verflucht sei der Mensch, der sein Schwert zurückhält vom Blute!' Daß die Macht böse ist, wissen wir. Aber der Dualismus von Gut und Böse, von Jenseits und Diesseits, Geist und Macht muß, wenn das Reich kommen soll, vorübergehend aufgehoben werden in einem Prinzip, das Askese und Herrschaft vereinigt. Das ist es, was ich die Not-wendigkeit des Terrors nenne."

      "Der Träger! Der Träger!"

      "Sie fragen? Sollte Ihrem Manchestertum die Existenz einer Gesellschaftslehre entgangen sein, die die. menschliche Über-windung des Ökonomismus bedeutet, und deren Grundsätze und Ziele mit denen des christlichen Gottesstaates genau zu-sammenfallen? Die Väter der Kirche haben Mein und Dein ver-derbliche Worte und das Privateigentum Usurpation und Dieb-stahl genannt. Sie haben den Güterbesitz verworfen, weil nach dem göttlichen Naturrecht die Erde allen Menschen gemeinsam sei und daher auch ihre Früchte für den gemeinschaftlichen Ge-brauch aller hervorbringe. Sie lehrten, daß nur die Habgier, eine Folge des Sündenfalls, die Besitzrechte vertritt und das Sonder-eigentum geschaffen habe. Sie waren human genug, antihändle-risch genug, wirtschaftliche Tätigkeit überhaupt eine Gefahr für das Seelenheil, das heißt: für die Menschlichkeit zu nennen. Sie haben das Geld und die Geldgeschäfte gehaßt und den kapitali-stischen Reichtum den Brennstoff des höllischen Feuers genannt. Das ökonomische Grundgesetz, daß der Preis das Ergeb-nis des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage ist, haben sie von ganzem Herzen verachtet und das Ausnutzen der Konjunk-tur als zynische Ausbeutung einer Notlage des Nächsten ver-dammt. Es gab eine noch frevelhaftere Ausbeutung in ihren Au-gen: die der Zeit, das Unwesen, sich für den bloßen Zeitverlauf eine Prämie zahlen zu lassen, nämlich den Zins, und auf diese Weise eine allgemein göttliche Einrichtung, die Zeit, zum Vor-teil des einen und Schaden des anderen zu mißbrauchen."

      "Benissimo!" rief Hans Castorp, indem er sich vor Eifer der Zustimmungsformel Herrn Settembrinis bediente. "Die Zeit … Eine allgemein göttliche Einrichtung … Das ist hochwich-tig …!"

      "Allerdings", fuhr Naphta fort. "Diese menschlichen Geister haben den Gedanken einer selbsttätigen Vermehrung des Gel-des als ekelhaft empfunden, alle Zins – und Spekulationsgeschäfte unter den Begriff des Wuchers fallen lassen und erklärt, daß jeder Reiche entweder ein Dieb oder eines Diebes Erbe sei. Sie sind weiter gegangen. Sie betrachteten, wie Thomas von Aquino, den Handel überhaupt, das reine Handelsgeschäft, das Kau-fen und Verkaufen unter Einziehung eines Nutzens, aber ohne Bearbeitung, Verbesserung des wirtschaftlichen Gutes, als ein schimpfliches Gewerbe. Sie waren nicht geneigt, die Arbeit an und für sich sehr hoch zu schätzen, denn sie ist nur eine ethische Angelegenheit, keine religiöse, sie geschieht im Dienste des Le-bens, nicht Gottes. Und wenn es sich denn bloß um das Leben handeln sollte und um Wirtschaft, so verlangten sie, daß pro-duktive Werktätigkeit als Bedingung wirtschaftlichen Vorteils und als Maßstab der Achtbarkeit gelte. Ehrenwert war ihnen der Ackerbauer, der Handwerker, nicht der Händler, nicht der Indu-strielle. Denn sie wollten, daß die Produktion sich nach dem Bedürfnis richte, und verabscheuten die Massengütererzeugung. Nun denn, – alle diese wirtschaftlichen Grundsätze und Maß-stäbe halten nach jahrhundertelanger Verschüttung ihre Aufer-stehung in der modernen Bewegung des Kommunismus. Die Übereinstimmung ist vollkommen bis hinein in den Sinn des Herrschaftsanspruchs, den die internationale Arbeit gegen das internationale Händler – und Spekulantentum erhebt, das Welt-proletariat, das heute die Humanität und die Kriterien des Gottesstaates der bürgerlich-kapitalistischen Verrottung entgegen-stellt. Die Diktatur des Proletariats, diese politisch-wirtschaftliche Heilsforderung der Zeit, hat nicht den Sinn der Herrschaft um ihrer selbst willen und in Ewigkeit, sondern den einer zeit-weiligen Aufhebung des Gegensatzes von Geist und Macht im Zeichen des Kreuzes, den Sinn der Weltüberwindung durch das Mittel der Weltherrschaft, den Sinn des Überganges, der Trans-zendenz, den Sinn des Reiches. Das Proletariat hat das Werk Gregors aufgenommen, sein Gotteseifer ist in ihm, und so we-nig wie er wird es seine Hand zurückhalten dürfen vom Blute. Seine Aufgabe ist der Schrecken zum Heile der Welt und zur Gewinnung des Erlösungsziels, der Staats – und klassenlosen Gotteskindscha ft."

      So Naphtas scharfe Rede. Die kleine Versammlung schwieg. Die jungen Leute blickten Herrn Settembrini an. An ihm war es, sich irgendwie zu verhalten. Er sagte:

      "Erstaunlich. Gewiß, ich gestehe meine Erschütterung, ich hätte das nicht erwartet. Roma locuta. Und wie, – und wie hat es gesprochen! Vor unseren Augen hat er ein hieratisches Salto-mortale vollführt, – wenn das ein Widerspruch im Beiwort ist, so hat er ihn zeitweilig aufgehoben', ah, ja! Ich wiederhole: es ist erstaunlich. Halten Sie Einwendungen für denkbar, Professor, – Einwendungen lediglich vom Standpunkt der Konse-quenz? Sie bemühten sich vorhin, uns einen christlichen, auf der Zweiheit von Gott und Welt beruhenden Individualismus begreiflich zu machen und uns seinen Vorrang vor aller poli-tisch bestimmten Sittlichkeit zu beweisen. Wenige Minuten später treiben Sie den Sozialismus bis zur Diktatur und zum Schrecken. Wie reimt sich das?"

      "Gegensätze", sagte Naphta, "mögen sich reimen. Ungereimt ist nur das Halbe und Mediokre. Ihr Individualismus, wie ich mir schon anzumerken erlaubte, ist eine Halbheit, ein Zuge-ständnis.

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