Hamburgische Dramaturgie. Gotthold Ephraim Lessing

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Hamburgische Dramaturgie - Gotthold Ephraim Lessing

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kann nicht laenger schweigen;

          Verstellung oder Stolz sei niedern Seelen eigen.

          Olint ist in Gefahr, und ich bin ausser mir—

          Bewundernd sah ich oft im Krieg und Schlacht nach dir;

          Mein Herz, das vor sich selbst sich zu entdecken scheute,

          War wider meinen Ruhm und meinen Stolz im Streite.

          Dein Unglueck aber reisst die ganze Seele hin,

          Und itzt erkenn' ich erst, wie klein, wie schwach ich bin.

          Itzt, da dich alle die, die dich verehrten, hassen,

          Da du zur Pein bestimmt, von jedermann verlassen,

          Verbrechern gleichgestellt, ungluecklich und ein Christ,

          Dem furchtbarn Tode nah, im Tod noch elend bist:

          Itzt wag' ich's zu gestehn: itzt kenne meine Triebe!"

      Wie frei, wie edel war dieser Ausbruch! Welches Feuer, welche Inbrunst beseelten jeden Ton! Mit welcher Zudringlichkeit, mit welcher Ueberstroemung des Herzens sprach ihr Mitleid! Mit welcher Entschlossenheit ging sie auf das Bekenntnis ihrer Liebe los! Aber wie unerwartet, wie ueberraschend brach sie auf einmal ab und veraenderte auf einmal Stimme und Blick und die ganze Haltung des Koerpers, da es nun darauf ankam, die duerren Worte ihres Bekenntnisses zu sprechen. Die Augen zur Erde geschlagen, nach einem langsamen Seufzer, in dem furchtsamen gezogenen Tone der Verwirrung, kam endlich

      "Ich liebe dich, Olint,—"

      heraus, und mit einer Wahrheit! Auch der, der nicht weiss, ob die Liebe sich so erklaert, empfand, dass sie sich so erklaeren sollte. Sie entschloss sich als Heldin, ihre Liebe zu gestehen, und gestand sie als ein zaertliches, schamhaftes Weib. So Kriegerin als sie war, so gewoehnt sonst in allem zu maennlichen Sitten: behielt das Weibliche doch hier die Oberhand. Kaum aber waren sie hervor, diese der Sittsamkeit so schwere Worte, und mit eins war auch jener Ton der Freimuetigkeit wieder da. Sie fuhr mit der sorglosesten Lebhaftigkeit, in aller der unbekuemmerten Hitze des Affekts fort:

          "—Und stolz auf meine Liebe,

          Stolz, dass dir meine Macht dein Leben retten kann,

          Biet' ich dir Hand und Herz, und Kron' und Purpur an."

      Denn die Liebe aeussert sich nun als grossmuetige Freundschaft: und die Freundschaft spricht ebenso dreist, als schuechtern die Liebe.

      Fuenftes Stueck Den 15. Mai 1767

      Es ist unstreitig, dass die Schauspielerin durch diese meisterhafte Absetzung der Worte

      "Ich liebe dich, Olint,—"

      der Stelle eine Schoenheit gab, von der sich der Dichter, bei dem alles in dem naemlichen Flusse von Worten daherrauscht, nicht das geringste Verdienst beimessen kann. Aber wenn es ihr doch gefallen haette, in diesen Verfeinerungen ihrer Rolle fortzufahren! Vielleicht besorgte sie, den Geist des Dichters ganz zu verfehlen; oder vielleicht scheute sie den Vorwurf, nicht das, was der Dichter sagt, sondern was er haette sagen sollen, gespielt zu haben. Aber welches Lob koennte groesser sein, als so ein Vorwurf? Freilich muss sich nicht jeder Schauspieler einbilden, dieses Lob verdienen zu koennen. Denn sonst moechte es mit den armen Dichtern uebel aussehen.

      Cronegk hat wahrlich aus seiner Clorinde ein sehr abgeschmacktes, widerwaertiges, haessliches Ding gemacht. Und demohngeachtet ist sie noch der einzige Charakter, der uns bei ihm interessierst. So sehr er die schoene Natur in ihr verfehlt, so tut doch noch die plumpe, ungeschlachte Natur einige Wirkung. Das macht, weil die uebrigen Charaktere ganz ausser aller Natur sind, und wir doch noch leichter mit einem Dragoner von Weibe, als mit himmelbruetenden Schwaermern sympathisieren. Nur gegen das Ende, wo sie mit in den begeisterten Ton faellt, wird sie uns ebenso gleichgueltig und ekel. Alles ist Widerspruch in ihr, und immer springt sie von einem Aeussersten auf das andere. Kaum hat sie ihre Liebe erklaert, so fuegt sie hinzu:

      "Wirst du mein Herz verschmaehn? Du schweigst?—Entschliesse dich; Und wenn du zweifeln kannst—so zittre!—

      So zittre? Olint soll zittern? er, den sie oft in dem Tumulte der Schlacht unerschrocken unter den Streichen des Todes gesehen? Und soll vor ihr zittern? Was will sie denn? Will sie ihm die Augen auskratzen? —O wenn es der Schauspielerin eingefallen waere, fuer diese ungezogene weibliche Gasconade "so zittre!" zu sagen: "ich zittre!" Sie konnte zittern, soviel sie wollte, ihre Liebe verschmaeht, ihren Stolz beleidiget zu finden. Das waere sehr natuerlich gewesen. Aber es von dem Olint verlangen, Gegenliebe von ihm, mit dem Messer an der Gurgel, fordern, das ist so unartig als laecherlich.

      Doch was haette es geholfen, den Dichter einen Augenblick laenger in den Schranken des Woh1standes und der Maessigung zu erhalten? Er faehrt fort, Clorinden in dem wahren Tone einer besoffenen Marketenderin rasen zu lassen; und da findet keine Linderung, keine Bemaentelung mehr statt.

      Das einzige, was die Schauspielerin zu seinem Besten noch tun koennte, waere vielleicht dieses, wenn sie sich von seinem wilden Feuer nicht so ganz hinreissen liesse, wenn sie ein wenig an sich hielte, wenn sie die aeusserste Wut nicht mit der aeussersten Anstrengung der Stimme, nicht mit den gewaltsamsten Gebaerden ausdrueckte.

      Wenn Shakespeare nicht ein ebenso grosser Schauspieler in der Ausuebung gewesen ist, als er ein dramatischer Dichter war, so hat er doch wenigstens ebenso gut gewusst, was zu der Kunst des einen, als was zu der Kunst des andern gehoeret. Ja vielleicht hatte er ueber die Kunst des erstern um so viel tiefer nachgedacht, weil er so viel weniger Genie dazu hatte. Wenigstens ist jedes Wort, das er dem Hamlet, wenn er die Komoedianten abrichtet, in den Mund legt, eine goldene Regel fuer alle Schauspieler, denen an einem vernuenftigen Beifalle gelegen ist. "Ich bitte euch", laesst er ihn unter andern zu den Komoedianten sagen, "sprecht die Rede so, wie ich sie euch vorsagte; die Zunge muss nur eben darueber hinlaufen. Aber wenn ihr mir sie so heraushalset, wie es manche von unsern Schauspielern tun: seht, so waere mir es ebenso lieb gewesen, wenn der Stadtschreier meine Verse gesagt haette. Auch durchsaegt mir mit eurer Hand nicht so sehr die Luft, sondern macht alles huebsch artig; denn mitten in dem Strome, mitten in dem Sturme, mitten, so zu reden, in dem Wirbelwinde der Leidenschaften, muesst ihr noch einen Grad von Maessigung beobachten, der ihnen das Glatte und Geschmeidige gibt."

      Man spricht so viel von dem Feuer des Schauspielers; man zerstreitet sich so sehr, ob ein Schauspieler zu viel Feuer haben koenne. Wenn die, welche es behaupten, zum Beweise anfuehren, dass ein Schauspieler ja wohl am unrechten Orte heftig, oder wenigstens heftiger sein koenne, als es die Umstaende erfodern: so haben die, welche es leugnen, recht zu sagen, dass in solchem Falle der Schauspieler nicht zu viel Feuer, sondern zu wenig Verstand zeige. Ueberhaupt koemmt es aber wohl darauf an, was wir unter dem Worte Feuer verstehen. Wenn Geschrei und Kontorsionen Feuer sind, so ist es wohl unstreitig, dass der Akteur darin zu weit gehen kann. Besteht aber das Feuer in der Geschwindigkeit und Lebhaftigkeit, mit welcher alle Stuecke, die den Akteur ausmachen, das ihrige dazu beitragen, um seinem Spiele den Schein der Wahrheit zu geben: so muessten wir diesen Schein der Wahrheit nicht bis zur aeussersten Illusion getrieben zu sehen wuenschen, wenn es moeglich waere, dass der Schauspieler allzuviel Feuer in diesem Verstande anwenden koennte. Es kann also auch nicht dieses Feuer sein, dessen Maessigung Shakespeare selbst in dem Strome, in dem Sturme, in dem Wirbelwinde der Leidenschaft verlangt: er muss bloss jene Heftigkeit der Stimme und der Bewegungen meinen; und der Grund ist leicht zu finden, warum auch da, wo der Dichter nicht die geringste Maessigung beobachtet hat, dennoch der Schauspieler sich in beiden Stuecken maessigen muesse. Es gibt wenig Stimmen, die in ihrer aeussersten Anstrengung nicht widerwaertig wuerden; und allzu schnelle, allzu stuermische Bewegungen werden selten edel sein. Gleichwohl sollen weder unsere Augen noch unsere Ohren beleidiget werden; und nur alsdenn, wenn man bei Aeusserung der heftigen Leidenschaften alles vermeidet, was diesen oder jenen unangenehm sein koennte, haben sie das Glatte und Geschmeidige, welches

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