Soll und Haben. Gustav Freytag

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Soll und Haben - Gustav Freytag

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heut unerhört niedrig ist und die Zinkkähne der Handlung oben im Flusse auf einer Sandbank liegenbleiben. Ich habe ihm vorher noch jede Art von gutem Rat gegeben. Ich habe ihm eine lange Geschichte erzählt, wie man sich im Wasser zu benehmen hat, ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, welche Toilette man braucht, um mit Anstand ins Wasser zu fallen. Man kann gegen einen Bruder nicht sorgsamer sein. Aber es half alles nichts. Er fuhr wie aus einer Pistole geschossen auf den Grund und bohrte sich dort mit der Behendigkeit eines Karpfens ein. Ich versichere Sie, es war eine mühsame Arbeit, ihn im Schlamm wieder aufzufinden. Ich glaube, er war bereits in zärtlicher Unterhaltung mit einigen Wassergeschöpfen, als ich ihn auffand, denn er winkte mir unwillig mit der Hand, als wollte er sagen: Störe mich nicht, ich gehe hier meinem stillen Vergnügen nach.«

      »Der arme Herr Wohlfart«, rief die Tante verwundert. »Aber Ihre Röcke! Heute früh begegnete ich im Hause einem Polizeidiener, der das nasse Bündel auf dem Arm trug, von dem erfuhr ich zuerst das Unglück.«

      »Die Röcke sind heute früh unterhalb der Stadt aufgefischt worden«, sagte Fink, »Karl zweifelt daran, sie je wieder zu trocknen. Unterdes machen Wohlfarts Stiefel eine Vergnügungsreise nach dem Weltmeer.«

      Anton errötete vor Ärger über die Weise seines Freundes und sah verstohlen nach dem oberen Ende des Tisches. Der Kaufmann blickte finster auf den gemütlichen Fink, und Sabine saß bleich mit gesenkten Augen, nur die Tante war wortreich in aufrichtigem Bedauern der durchnäßten Röcke.

      Das Mittagessen war noch feierlicher als gewöhnlich. Nach dem Braten erhob sich Herr Liebold und verrichtete das schwere Stück Arbeit, wozu er durch seine hohe Stellung verpflichtet war, er brachte die Gesundheit des Prinzipals aus. Er gab sich redlich Mühe, die entschiedenen Wünsche des Vordersatzes nicht durch einen schüchternen Nachsatz zurückzunehmen. Aber selbst sein Toast vermochte nicht, eine gewisse Spannung in den oberen Regionen des Tisches zu beseitigen.

      Nach aufgehobener Tafel standen die Herren Kaffee trinkend in Gruppen um den Prinzipal herum, wobei kühne Naturen wie Herr Pix auch eine Zigarre anzubrennen wagten. Unterdes trieb Anton in größter Muße durch die geöffnete Zimmerreihe, bewunderte die Bilder an der Wand, blätterte in einem Album und hielt sich durch solche Tätigkeit die drohende Langeweile tapfer vom Halse. Er beobachtete gerade das Muster eines Teppichs und hoffte im stillen, daß sich hier oder da ein keckes Fünfeck von dem Zwange des Musters losmachen und eigenwillig an einer unpassenden Stelle erscheinen könnte. So war er an den Eingang des letzten Zimmers gelangt und blieb betroffen stehen. Wenige Schritte vor ihm stand Sabine an einem Blumentisch und hielt sie mit beiden Händen an der Tischplatte fest, während große Tränentropfen aus ihren Augen auf die Blumen herunterfielen. Es war ein lautloses Schluchzen; wie von innerem Krampfe wurde die schlanke Gestalt erschüttert; sie bekämpfte den Ausbruch eines tiefen, lange unterdrückten Schmerzes mit einer Energie, welche ihn doppelt rührend machte. Anton war bestürzt über den Zufall, der ihm einen solchen Anblick gestattete, und fühlte doch wieder eine so warme Teilnahme, daß er darüber vergaß, sich zurückzuziehen. Als er sich umwandte, blickte Sabine nach dem Geräusch hin. Sich schnell fassend, drückte sie das Tuch an die Augen und kehrte sich sogleich zu Anton. »Hüten Sie sich, Herr Wohlfart«, sagte sie herzlich, »daß die Tollkühnheiten Ihres Freundes Sie nicht in neue Gefahren bringen; meinem Bruder würde es sehr leid tun, wenn der Verkehr mit Herrn von Fink Ihnen Nachteil brächte.«

      »Fräulein Sabine«, erwiderte Anton und sah der Dame mit inniger Hochachtung in die feuchten Augen, »Fink ist ebenso edel wie rücksichtslos. Er hat mich mit eigener Gefahr aus dem Wasser herausgeholt.«

      »O ja«, rief Sabine mit einem Ausdruck, den Anton nicht ganz verstand, »Herr von Fink liebt es, mit allem zu spielen, was anderen Menschen heilig ist.«

      In diesem Augenblick eilte Herr Jordan herzu und bat das Fräulein, an den Flügel zu kommen. So rauschte sie an Anton vorüber.

      Anton war in mächtiger Aufregung. Sabine Schröter stand bei den Herren des Kontors in einem Ansehen, welches sie über den Bereich der gewöhnlichen Diskussion stellte und in die glückliche Lage brachte, daß im Hinterhaus nur selten von ihr gesprochen ward. Die meisten der jüngeren waren, wie sich aus den Neckereien ihrer Kollegen und gelegentlichen Geständnissen merken ließ, während der ersten Monate ihres Aufenthaltes leidenschaftlich in das Fräulein des Hauses verliebt gewesen. Und als die Flamme aus Mangel an Nahrung nach und nach heruntergebrannt war, hatte jeder ein Häuflein glühender Kohlen vor den Spöttereien der Kollegen in den geheimsten Winkel seines Herzens geschoben, wo die Kohlen noch lagen und fortglimmten. Sämtliche Herren waren bereit, für die Tochter ihres Hauses gegen jeden Feind loszurennen. Allen galt sie für eine kalte Heilige, deren Herz einer leidenschaftlichen Schwäche unzugänglich war. Aber ihre ruhige Haltung tat allen sehr wohl, und wenn Herr Pix sie stolz nannte, so verfehlte er nie, dazuzusetzen: »Aber sie hat ein gutes Herz, sie ist eine tüchtige Wirtin.«

      Ob Sabine ganz so war, wie das Kontor einstimmig annahm, darüber hatte auch Anton kein Urteil. Auch ihm war die junge Herrin bekannt und doch fern wie der Mond, den wir immer nur von einer Seite sehen. Alle Tage saß er ihr gegenüber und sah aus der Ferne auf das feine Oval ihres Gesichts, auf das dunkle Haar und den tiefen Glanz ihrer schönen Augen, täglich hörte er ihre Stimme in dem gleichförmigen Tischgespräch, weiter kannte er nichts von ihr. Jetzt merkte er plötzlich, daß die Heilige nicht so ruhig und so gefühllos lebte, als das Hinterhaus annahm; durch einen Zufall war er Vertrauter eines stillen Wehes geworden. Ihr Schmerz, so lautlos und so schön getragen, steigerte seine Teilnahme zu leidenschaftlicher Höhe. Er hatte nie eine Schwester gehabt und sich wohl zuweilen danach gesehnt; heut empfand er eine wahrhaft brüderliche Zärtlichkeit für die Trauernde; er hätte sein Leben hingeben können, um sie von diesem Schmerz zu befreien; er hätte es für das höchste Glück gehalten, ihre Hand zu ergreifen, ihren Kopf an seine Brust zu legen und ihr die weinenden Augen zu küssen. Es wurde ihm auf einmal deutlich, daß ihr Kummer mit Fink in irgendeiner Verbindung stand, es war ihm schon lange unzweifelhaft gewesen, daß diese beiden Gestalten zueinander in einer geheimnisvollen Beziehung stehen mußten, und oft hatte er prüfend nach Sabinens Gesicht hingesehen, wenn Fink bei Tisch etwas Liebenswürdiges erzählte. Er hatte nie etwas anderes entdeckt, als daß ihr Auge den Platz vermied, an welchem Fink saß, und daß sie den Jockei vielleicht noch seltener anredete als einen anderen Herrn. Jetzt ahnte er allerlei Schmerzliches für die Gebieterin des ersten Stocks, er sah im Geist wilde Leidenschaften über den ruhigen Glanz des Hauses T. O. Schröter heraufstürmen. Wohl empfand er für Fink die hingebende Neigung, welche eine unverdorbene Jugend so gern dem kühnen und erfahrenen Genossen weiht; aber in diesem Falle nahm seine Seele entschieden Partei gegen den Freund, er beschloß, Fink genau zu beobachten und dem Fräulein irgend etwas zu werden, ein brüderlicher Schutz, ein Vertrauter, alles, was dazu helfen konnte, sie von einem Schmerz zu befreien, der ihn mit Rührung und heißem Mitgefühl erfüllte.

      Einige Stunden darauf saß Sabine in der Fensternische. Die Hände über das Knie gefaltet, sah sie still vor sich hin. Das rötliche Abendrot goß über ihr Antlitz einen Schimmer von froher Laune, die in ihrem Herzen nicht war. Der Bruder hatte die Zeitung weggelegt und blickte von seinem Armstuhl sorgenvoll auf die Regungslose, endlich trat er leise zu ihr und legte seine Hand auf ihr Haupt. Sabine erhob sich und umschlang den Bruder fest mit beiden Armen. So standen die Geschwister, eines an das andere gelehnt, zwei Freunde, welche sich so ineinander eingelebt haben, daß jeder ohne Worte versteht, was den andern bewegt. Der Kaufmann strich zärtlich die Locken seiner Schwester zurecht und sagte bekümmert: »Du weißt, wie groß die geschäftlichen Verpflichtungen sind, welche wir gegen den Vater Finks haben.«

      »Ich weiß«, erwiderte Sabine aufblitzend, »daß du mit dem Sohne nicht zufrieden bist.«

      »Ich konnte nicht vermeiden, die fremdartige Gestalt in unsern Kreis aufzunehmen, aber ich bereue die Stunde, wo dies geschah.«

      »Sei nicht hart gegen ihn«, bat die Schwester und küßte die Hand des Kaufmanns. »Denke auch daran, wieviel Edles in seinem Wesen liegt.«

      »Ich

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