Soll und Haben. Gustav Freytag
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Dieser bemerkte nach und nach, daß Veitel weniger grotesk aussah, daß er richtiger sprach und schrieb, und vor allem, daß er in Geschäften unwillkürlich eine Sicherheit und juristische Kenntnis entwickelte, die an einem Lehrling seiner Art sehr ungewöhnlich waren. Herr Ehrenthal besprach diese Veränderung in seiner Familie ungefähr so, wie ein Landwirt das vielversprechende Aussehen eines Zuchtstiers lobt, und kündigte am Ende des Vierteljahrs dem Burschen freiwillig an, daß das Stiefelputzen und das Essen vor der Tür aufhören solle und daß er bereit sei, ihm einen Platz im Geschäftslokal und außer dem Kostgelde ein kleines Gehalt zu bewilligen.
Veitel empfing die Ankündigung, auf die er so lange gewartet hatte, mit großer Selbstbeherrschung, er dankte demütig und versprach alles mögliche für die Gegenwart und Zukunft. »Noch eine Bitte habe ich an den Herrn, eine große Bitte, die Sie nicht ungünstig aufnehmen möchten. Wenn ich die Ehre haben könnte, einmal in der Woche am Tisch des Herrn Ehrenthal zu essen. Da Sie mir so viele Güte erweisen, so haben Sie auch diese Rücksicht auf mich, damit ich kann sehen in guter Gesellschaft, wie man sich benimmt, wenn man ißt mit vornehmen Leuten. Sie können mir’s abrechnen von meinem Kostgeld, das Sie mir geben wollen.«
Ehrenthal schüttelte den Kopf und sagte erstaunt über dies Verlangen: »Zuerst muß ich sprechen mit meiner Frau, ob’s ihr wird recht sein, daß du dich bildest in meinem Hause. Du kannst warten, bis ich gesprochen habe.« Er ging zu seiner Frau und trug ihr Veitels Wunsch vor, mit einem kühlen Wesen, welches andeuten sollte, daß ihm als einem Mann von Welt die Forderung ungehörig erscheine. Im Innern freilich meinte er, daß Itzigs Wunsch zu gewähren sei, denn er hielt es für wichtig, den anstelligen Mann seinem Geschäft zu erhalten. Aber er wagte nicht, seiner Hausfrau gegenüber diesen Wunsch zu äußern, denn Madame Ehrenthal hatte noch viel mehr Welt und Bildung als er selbst und war ihm in allen Dingen, welche vornehmes Wesen betrafen, eine große Autorität. Sie war die Tochter eines großen Schnittwarengeschäftes aus der Residenz und hatte Geschmack für das Neueste und einen sehr energischen Willen in Teetrinken, Stutzuhren, Möbelstoffen und anderen Eigenschaften, durch welche sich ein gebildeter Mensch von einem ungebildeten unterscheidet. Wider Erwarten nahm Madame Ehrenthal Veitels Wunsch ohne Überraschung auf. Diese Überraschung wäre auch unnatürlich gewesen, da Veitel durch wahrhaft übermäßigen Diensteifer, durch Verschwiegenheit in einzelnen kleinen Fällen und durch die größte Höflichkeit das Wohlwollen der vornehmen Dame zu erwerben gewußt hatte. »Wenn der junge Mann sich bilden will in unserer Familie, so kann er keinen besseren Ort finden. Da er brauchbar ist im Geschäft, wie du sagst, so wird es dir von Nutzen sein, wenn er auch zu essen und zu reden weiß mit den Leuten.«
Nach dieser Entscheidung wurde Veitel am nächsten Sonntage, dem Tage einer gebratenen Gans, aufgefordert, in der Familie zu erscheinen. Und als er zu dem gedeckten Tische trat, angetan mit dem besten unter den sechs Leibröcken, welche er auf seinem Lager hatte, einen neuen weißen Hut in der Hand und ein baumwollenes Hemd mit stehendem Kragen unter der ausgeschnittenen Weste, da wurde er von Ehrenthal mit den würdigen Worten eingeführt: »Der junge Itzig ist aufgenommen in mein Geschäft als Buchhalter. Es ist nicht mehr anständig für ihn, in der Wirtschaft zu helfen, und es wird jetzt anständig sein, daß wir ihn als einen gebildeten Menschen behandeln. Sie können Platz nehmen dort unten am Tisch, lieber Itzig.«
9
An einem warmen Sommerabend sprach Fink nach dem Schluß des Kontors zu Anton: »Wollen Sie mich heut begleiten? Ich will auf dem Fluß ein Boot probieren, das ich hier habe bauen lassen.« Anton war bereit. Die Jünglinge sprangen in einen Wagen und fuhren an den Fluß oberhalb der Stadt, wo eine Kolonie von Schiffern und Fischern in ärmlichen Hütten wohnte. Fink wies auf ein rundes Fahrzeug, welches auf dem Wasser schwamm wie eine große Kürbisschale, und er sagte melancholisch: »Da liegt das Gefäß, es ist ein Scheusal! Ich selbst habe dem Kahnbauer das Modell geschnitzt, denn ein Kielboot bauen ist hierzulande etwas Unerhörtes; ich habe dem Strohkopf alle Verhältnisse angegeben, und er hat ein solches Möwenei zur Welt gebracht.«
»Es ist sehr klein«, erwiderte Anton mit trüben Ahnungen.
»Ich sage Euch«, rief Fink strafend dem Kahnbauer zu, welcher herantrat und respektvoll die Mütze abnahm, »daß unsere Seelen auf Euer Gewissen kommen, wir werden in dem Dinge da unfehlbar ertrinken, und Euer Mangel an Witz wird schuld sein.«
»Herr«, sagte der Kahnbauer kopfschüttelnd, »ich habe das Boot ganz nach Ihrer Anweisung gemacht.«
»Den Teufel habt Ihr«, schalt Fink, »zur Strafe sollt Ihr mitfahren. Ihr werdet einsehen, daß es billig ist, wenn Ihr mit uns ertrinkt.«
»Nein, das tue ich nicht, lieber Herr«, antwortete der Mann entschieden, »bei dem Winde will ich’s nicht wagen.«
»So bleibt am Lande und kocht Euren Kindern Brei von Hobelspänen. Gebt Mast und Segel her.« Fink setzte den kleinen Mast ein, sah nach, ob die Schoten der Segel glatt durch die Löcher liefen und ob das Geitau anzog. Sämtliche nautische Erfindungen erwiesen sich als befriedigend. Dann hob er Mast und Segel wieder aus, legte sie der Länge nach in das Boot, warf einige Eisenstücke Ballast auf den Boden, hakte das Steuer ein, ergriff zwei lange Streichruder und wies unserm Helden seinen Platz an. Darauf legte er die Ruder aus und fuhr mit der Kraft eines Matrosen im Doppelschlag vom Ufer ab. Er ließ den Kürbis auf der Wasserfläche tanzen zur großen Belustigung des Zimmermanns und sämtlicher Nachbarn am Ufer und äußerte seine Zufriedenheit, daß Anton ihm so zuversichtlich gegenübersaß. »Es ist möglich, in einem Kielboot gegen den Strom zu kommen«, sagte er, »das war’s, was ich diesen Nachtmützen beweisen wollte.« Darauf setzte er den Mast wieder ein, löste die Segel, gab seinem Schüler die Schote des Klüvers in die Hand und unterrichtete ihn, wie er anziehen und loslassen sollte. Der Wind blies in unregelmäßigen Stößen, bald blähten sich die kleinen Segel und neigten den Rand des Bootes dem Wasser zu, bald schlugen sie untätig und ratlos an den Mast. »Es ist ein elender Seelenverkäufer«, rief Fink ärgerlich, »wir treiben unvermeidlich ab und werden nächstens umwerfen«.
»Wenn das so ist, so schlage ich vor umzukehren«, sagte Anton mit erheuchelter Leichtigkeit.
»Es tut nichts«, versetzte Fink kaltblütig, »ich werde uns schon wieder an Land bringen, so oder so. Sie können doch schwimmen?«
»Wie Blei«, antwortete Anton, »wenn wir umwerfen, gehe ich sicher auf den Grund. Sie werden Mühe haben, mich herauszuziehen.«
»Fassen Sie nur in keinem Falle nach meinem Körper, wenn Sie im Wasser liegen«, belehrte ihn Fink, »das wäre das beste Mittel, uns beide unten festzuhalten; warten Sie ruhig ab, bis ich Sie in die Höhe hebe. Übrigens wird es nicht schaden, wenn Sie sich Rock und Stiefel ausziehen, es ist gemütlicher im Wasser, wenn man im Negligé ist.« Anton tat willig, wie ihm befohlen war.
»So ist’s recht«, sprach Fink. »Im Grunde ist’s ein erbärmliches Vergnügen, hier herumzufahren. Keine Wellen, kein Wind und zuletzt auch kein Wasser. – Da sitzen wir wieder auf dem Grund. Stoßen Sie ab. – He, Bootsmaat, was werden Sie sagen, wenn dies garstige Ufer plötzlich versinkt und wir auf einem anständigen Meere schaukeln, Wasser bis an den Horizont, Wellen wie der Baum dort und ein herzhafter Wind, der die Ohren abbläst und die Nase schräg an die Backen legt?«
»Ich kann nicht sagen, daß ich es angenehm fände«, erwiderte Anton besorgt.
»Je nachdem«, sagte Fink, »es gibt wenig Lagen, die nicht noch viel schlechter sein könnten. Bedenken Sie, es wäre auch in diesem Fall immer noch ein glückliches Los, daß wir diese nichtsnutzigen Faßdauben