Soll und Haben. Gustav Freytag

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Soll und Haben - Gustav Freytag

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waren glückliche Abende für beide, wenn sie im Schatten der großen Kondorflügel oder in dem bescheidenen Quartier der gelblackierten Katze zusammen saßen in seligem Geplauder über die Eindrücke des Tages, über den Weltlauf oder über nichts; dann erzählte Fink oder trieb Possen, übermütig wie ein kleiner Knabe, und Anton folgte mit Entzücken den kräftigen Gedanken und dem kühnen Ausdruck des vielerfahrenen Gefährten; dann klang bei offenem Fenster ihr Lachen bis tief hinab in das Dunkel des Hofes, so daß der alte zottige Pluto, der sich als Vogt des Hauses betrachtete und von jedermann als ein angesehener Associé der Firma betrachtet wurde, aus seinem leisen Schlummer aufwachte und durch ermunterndes Bellen seine Billigung ihrer guten Laune ausdrückte. Es war eine glückliche Zeit für beide; aus ihrer Vertraulichkeit blühte, zum erstenmal für beide, eine herzliche Jugendfreundschaft auf.

      Und doch hörte Anton nicht auf, Fink und das Fräulein mit einer leisen Unruhe zu beobachten; nie sprach er mit seinem Freunde über das, was er ahnend voraussetzte, immer aber erwartete er, daß sich im Vorderhause etwas ereignen würde, eine Verlobung oder ein Bruch zwischen Fink und dem Kaufmann oder etwas anderes Außerordentliches. Aber es kam nichts dergleichen, unverändert verliefen die feierlichen Mahlzeiten an der langen Tafel, unverändert blieben das Antlitz und das Benehmen Sabinens gegen den Freund und gegen ihn. Es schien, als wenn die ernste und emsige Tätigkeit des Geschäftes jedes ungewöhnliche Familienereignis, jede Leidenschaft, jede schnelle Veränderung fernhielte von dem Leben der Hausgenossen. Verstimmung und Hader, Genuß und Schwärmerei, alles wurde niedergehalten durch den unablässigen, gleichmäßigen Fluß der Arbeit.

      10

      Wieder war ein Jahr vergangen, das zweite seit dem Eintritt des Lehrlings; und wieder blühten die Rosen. Anton hatte beim Schluß des Kontors einen großen Strauß roter Zentifolien gekauft und klopfte an die Tür von Herrn Jordan, um diesem, der ein Gefühl für Blumen hatte, den Salon zu schmücken. Mit Überraschung sah er, gerade wie am ersten Tage seiner Lehrzeit, alle Kollegen in dem Zimmer versammelt und erkannte auf den ersten Blick, daß bei seinem Eintreten eine exklusive Feierlichkeit, welche ihn zurückwies, in den Mienen aller sichtbar wurde. Jordan eilte ihm mit einer leisen Verlegenheit entgegen und bat, er möge auf eine Stunde die Versammlung sich selbst überlassen, es sei etwas Wichtiges zu besprechen, was er als Lehrling nicht hören dürfe. Die gutherzigen Männer hatten ihn bis dahin nur selten empfinden lassen, daß er ihnen an Würden nicht gleichstand, deshalb demütigte ihn die Verbannung doch ein wenig. Er trug den Strauß in das eigene Zimmer und stellte ihn resigniert auf den Tisch, ergriff ein Buch und sah zuweilen darüber hinweg auf das Büschel Rosen, welches sogleich eifrig bemüht war, seinen rosigen Schein bis in die Winkel der kleinen Stube auszubreiten.

      Unterdes wurde im Salon feierlich Sitzung gehalten. Der Herr des Salons pochte mit einem Lineal auf den Tisch und eröffnete die Verhandlung: »Wie Sie alle wissen, hat einer der Kollegen das Geschäft verlassen. Herr Schröter hat mir deshalb heut eröffnet, daß er nicht abgeneigt ist, an dessen Stelle unsern Wohlfart als Korrespondenten in das Provinzialgeschäft aufzunehmen. Da aber die herkömmliche Lehrzeit Wohlfarts erst in einem oder nach dem Uso unserer Handlung sogar erst in zwei Jahren zu Ende geht, so will er eine solche außerordentliche Abweichung von der Ordnung nicht eintreten lassen ohne die Beistimmung des Kontors. Deshalb frage ich Sie, wollen Sie die Rechte, welche Sie an Wohlfart als unsern Lehrling haben, zu seinen Gunsten schon jetzt aufgeben und wollen Sie ihn als Kollegen in unser Geschäft aufnehmen? Ich ersuche Sie sämtlich, mir Ihre Meinung mitzuteilen. Ferner fühle ich mich verpflichtet zu bemerken, daß Herr Schröter selbst unsern Wohlfart für vollkommen geeignet hält, die neue Stellung auszufüllen; auch halte ich es für sehr gentil vom Prinzipal, daß er uns die letzte Entscheidung überläßt.«

      Nach diesen Worten des Herrn Jordan entstand die imposante Stille, welche jeder Debatte vorhergeht. Nur Herr Pix erhob sich von der Sofalehne, an welcher er gehangen hatte, und sprach: »Vor allem stimme ich dafür, daß wir ein Glas Grog machen, hole ein anderer für die Teetrinker den Kessel her, den Grog braue ich.« Nach dieser Erklärung zog sich der Sprecher wieder in seine reitende Stellung zurück und brannte eine Manila an, eine Art von Zigarren, welche er in stetem Kampf gegen seine Kollegen begünstigte.

      Die anderen Herren verharrten in genußreichem Schweigen und sahen feierlich der Bereitung des Tees zu, jeder fühlte die Wichtigkeit seiner bürgerlichen Stellung und seine Würde als Mensch und Kollege.

      Als die Spiritusflamme um den Kessel leckte und noch niemand das Wort ergriff, erkannte der Vorsitzende die Notwendigkeit, die Debatte auf irgendeine Weise zu fördern, und fragte: »Wie wollen wir abstimmen? Wünschen Sie von unten nach oben oder von oben herab?«

      »Bei der englischen Marine wird, soviel ich weiß, der Jüngste zuerst gehört«, bemerkte Herr Baumann.

      »Wie bei der englischen Marine!« entschied Herr Pix.

      Specht war der jüngste der anwesenden Kollegen. »Ich muß vor allem bemerken, daß Herr von Fink nicht anwesend ist«, sprach er und sah sich aufgeregt um.

      Ein allgemeines Gemurmel entstand: »Er ist nicht zu Hause. Er ist Volontär.«

      »Er gehört nicht zu uns«, sagte Herr Pix.

      »Er selbst wird es ablehnen, mitzustimmen«, sagte Herr Jordan, »da er keiner von den Engagierten der Handlung ist.«

      »In diesem Falle bin ich der Meinung«, fuhr Herr Specht fort, etwas herabgestimmt durch die allgemeine Opposition, welche seine erste Bemerkung erfahren hatte, »daß Wohlfart die Verpflichtung hat, vier Jahre Lehrling zu bleiben, wie ich selbst, oder doch drei Jahre, wie unser Baumann bei C. W. Strumpf und Kniesohl. Da er aber ein guter Kerl und nach aller Ansicht im Geschäft brauchbar ist, so bin ich auch der Meinung, daß wir einmal eine Ausnahme machen und ihn schon jetzt als Kollegen anerkennen. Doch bitte ich Sie, dabei vorsichtig zu sein und ihm bemerklich zu machen, daß er eigentlich noch Lehrling sein sollte. Deshalb schlage ich vor, daß er verpflichtet wird, uns noch ein Jahr hindurch den Tee zu machen, wie er es jetzt als Lehrling getan. Außerdem halte ich für schicklich, daß er zur Erinnerung an seinen früheren Stand jedem Kollegen alle Quartale eine Feder schneidet.«

      »Narrheiten«, brummte Herr Pix, »Sie haben immer überspannte Einfälle.«

      »Wie können Sie meine Einfälle überspannt nennen!« rief Herr Specht entrüstet, »Sie wissen, daß ich mir von Ihnen nichts gefallen lasse.«

      »Ich muß um Ruhe bitten«, sagte Herr Jordan.

      Die nächsten Kollegen gaben in runder Weise ihre Einwilligung, Herr Baumann mit viel Wärme. Endlich griff Herr Pix nach dem Hahn des Teekessels und sprach: »Meine Herren, was soll das lange Reden; seine Warenkenntnis ist nicht schlecht, wenn man berücksichtigt, daß er noch ein junger Kauz ist, sein Benehmen ist kulant, die Hausknechte haben Respekt vor ihm, gegen meine Kunden ist er noch zu zartfühlend und umständlich, aber es ist nicht allen Leuten gegeben, andere Leute zu behandeln. Solo spielt er schlecht, und sein Punschtrinken ist unbedeutend. So steht es mit ihm. Da diese letzteren Qualitäten aber nicht den Ausschlag geben dürfen, so sehe ich nicht ein, weshalb er nicht vom heutigen Dato ab Kollege werden soll.«

      Der Kassierer sprach: »Es ist nicht in Ordnung, daß einer mit zwei Jahren seine Lehrzeit abmacht; da es aber der Prinzipal wünscht, so werde ich nicht widersprechen, denn sein Wille muß zuletzt doch respektiert werden.«

      Alle sahen auf Herrn Liebold, den diese allgemeine Aufmerksamkeit sehr beunruhigte, weil sie ihn an die Verantwortlichkeit seines Votums erinnerte. Natürlich wollte er beistimmen, aber wenn er nicht beistimmte? Wenn er jetzt widerspräche, welcher Skandal würde daraus entstehen? Wie würde ihn Wohlfart ansehen, und die Kollegen und der Prinzipal selbst? So zog er an seinem Halskragen, lächelte verbindlich nach allen Seiten und räusperte sich wie vor dem Ausbruch einer kräftigen Rede, worauf er, verwirrt durch den Gedanken an die möglichen Folgen seines Vetos, zurücksank und sich mit allem

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