Soll und Haben. Gustav Freytag
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Читать онлайн книгу Soll und Haben - Gustav Freytag страница 30
»Ich sage Euch aber, ich habe einen Freund, einen guten Freund, auf den ich mich in einer Krisis gern verlasse, dem ist so etwas begegnet. Der Mann schlendert am Strande der See an einem glorreichen Abend, er beschließt zu baden, wirft seine Kleider ab und geht ins Wasser. Lustig schwimmt er in die See hinein. Die Wellen heben ihn und werfen ihn zu Tal, das Wasser ist wohlig warm, um ihn glitzert in der Abendsonne die Flut von zehntausend bunten Farben, und über ihm lodert das goldene Licht des alten Himmels. Der Mann jauchzt vor Vergnügen.«
»Und Sie selbst waren der Mann?« fragte Anton.
»Meinetwegen ja. – So schwamm ich eine Weile fort, bis ich an dem matten Schein des Himmels merkte, daß es Zeit war, mich aus der Wasserschaukel ans Land zu versetzen. Ich wandte mich um und hielt auf das Land zu, und was meint Ihr, Master Wohlfart, was ich sah?«
»Ein Schiff«, rief Anton, »einen Fisch.«
»Nein«, sagte Fink, »nichts sah ich, das Land war verschwunden. Ich spähte nach allen Seiten in die Dämmerung hinein, ich hob mich aus den Wellen, so hoch ich konnte; nichts war zu erblicken als Wasser und Himmel. Die Strömung, die vom Lande abwärts zog, hatte mich heimtückisch fortgeführt, ich trieb in der hohen See. Ich lag im Atlantischen Ozean zwischen Amerika und England. Insofern wußte ich, wo ich war, aber diese geographische Kunde erwies sich in meiner Lage als unbefriedigend. Es wurde dunkler am Himmel, die Täler der Wellen füllten sich mit schwarzen ungemütlichen Schatten, die Wasserberge hoben sich höher, ein kalter Luftzug fuhr über mein Haupt. Und nichts war zu sehen als das rötliche Grau des Himmels und die wilde rollende Flut.«
»Das war schrecklich!« rief Anton.
»Es war ein Augenblick, wo kein Pfaff’ einer armen Seel verwehren kann, den Teufel um Hilfe zu bitten. Wo das Land zu lag, erkannte ich natürlich am Himmel. Jetzt entstand die Frage, wer stärker war, die Strömung des Meeres oder mein Arm. Ein mörderisches Ringen mit dem perfiden Schurken von Wassergott begann. Durch die Stöße eurer Schwimmschule wäre ich nicht weit gekommen; ich rollte wie die Seekälber und die Wilden und griff Hand um Hand vorwärts. So konnte ich’s im Notfall ein paar Stunden aushalten. Und jetzt arbeitete ich. Es war ein harter Kampf, der mächtigste meines Lebens. Unterdes wurde es finster, die smaragdgrünen Wellen verwandelten sich in eine Flut von schwarzem flüssigem Pech, nur ihre Häupter schimmerten noch von weißem Gischt; wie Totenschädel stiegen sie um mich auf und spukten mich an. Der Himmel hing bleigrau über mir, zuweilen blinzte ein einzelner Stern hinter dem Wolkenrauch, das war mein einziger Trost. So schwamm ich zwischen Schwarz und Grau ins Endlose hinein, noch immer kein Land zu sehen. Ich wurde matt, und die teuflische Schwärze um mich herum gab mir zuweilen den Gedanken ein, die unnütze Arbeit aufzugeben. Die Wolkenbank stieg höher, die Sterne verschwanden, die Richtung wurde zweifelhaft und meine Lage durchaus unhaltbar. Ich merkte, daß die Sache zum Ende kam; meine Brust keuchte, vor den Augen tanzten unzählige Funken wie Leuchtkäfer auf dem Wege zur Hölle. Da, mein Junge, als ich halb besinnungslos mit einer Welle hinabgeglitten war, da fühlte ich mit dem Fuße etwas, was nicht mehr Wasser war.«
»Es war Grund«, rief Anton.
»Ja«, nickte Fink, »es war fester Sand. Ich kam eine Meile nördlich von meinen Kleidern ans Ufer und fiel dort hin wie eine erschlagene Robbe. –« Er brach ab und sah prüfend auf Anton. »Und jetzt macht Ihr Euch fertig, Maat«, rief er, »nehmt Eure Beine unter der Bank hervor, ich werde einen Schlag machen und zum Ufer wenden. Nur ruhig!«
In diesem Augenblick fuhr ein starker Windstoß über die Wasserfläche, der Mast knarrte, das Boot neigte sich auf die Seite und hörte mit der Schwankung nicht eher auf, bis sein Kiel in die Höhe stand wie die Rückenflosse eines Fisches. Anton sank, seinem Versprechen getreu, ohne weitere Bemerkungen in die Tiefe. Blitzschnell tauchte Fink in die Strömung, stieß ebenfalls, wie er versprochen hatte, seinen Gefährten über sich nach der Oberfläche des Wassers und schob ihn mit großer Anstrengung auf eine seichte Stelle, wo es möglich war, watend das Ufer zu erreichen. »Zum Henker, fassen Sie doch meinen Arm!« rief Fink keuchend.
Anton aber, der gegen die Abrede eine ziemliche Menge Wasser verschluckt hatte, besaß nicht mehr allzuviel Besinnung und machte nur eine abwehrende Bewegung mit der Hand.
»Ich glaube, er will noch einmal hinunter«, rief Fink ärgerlich, faßte den Kraftlosen um den Leib und schleppte ihn ans Ufer.
Eine Menge Menschen hatte sich hier versammelt und stürzte jetzt an den Rand des Wassers, wo Fink den jungen Matrosen im Arme hielt und ihm lebhaft zuredete, doch wieder zu sich zu kommen. Endlich öffnete Anton die Augen und bezeugte dadurch und durch einige andere Bewegungen die Absicht, seine Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft noch nicht aufzugeben. »Wie geht’s, Wohlfart?« fragte Fink und sah ihm besorgt in das bleiche Antlitz. »Sie haben sich die Sache sehr zu Herzen genommen! Poncho y Ponche!« rief er heftig den Leuten zu. »Einen Mantel und ein Glas Rum für den Herrn. Das wird Sie am schnellsten kurieren.«
Ein Leiermann zog bereitwillig seinen alten Soldatenmantel vom Leibe, unser Held wurde hineingewickelt und wie ein verwundeter Krieger nach dem Hause des Zimmermanns geführt. Dort setzte man ihn in einen Lehnstuhl.
»Da geht der Kürbis hin, Segel, Streichruder und alles«, sagte Fink im Abgehen strafend zum Schiffszimmermann, »und unsere Röcke obendrein. Habe ich’s Euch nicht gesagt, daß das Ding nichts taugt?«
Eine Stunde lang pflegte Fink sein Opfer mit der größten Zärtlichkeit, er rührte ihm eigenhändig den Zucker in einem Glas Grog und drückte ihm zuweilen die kalte Hand. Es war bereits dunkel, als Anton so weit hergestellt war, daß er nach Hause gehen konnte. Sie vervollständigten ihre Toilette durch Kleider und Schuhe des Kahnbauers und lachten auf dem Rückwege über ihre Ausrüstung. Fink hatte wieder sein gewöhnliches kühles Wesen angenommen, und unser Held stolperte bleich, aber lustig in hohen Transtiefeln neben ihm her. »Hören Sie, Fink«, sagte er ermahnend, »wenn Sie mich das nächste Mal zu einer Partie auffordern, so möchte ich Ihnen andeuten, daß ich manches andere lieber trinke als dies lehmige Wasser. Ich bin noch voll davon.«
»Wie konnte ich denken«, antwortete Fink, »daß Sie mit solcher Vehemenz den halben Fluß einschlucken würden, Sie Unschuld! Ich habe in meinem Leben noch keinen Menschen mit solcher Kindlichkeit auf den Grund gehen sehen. Sie sind ein märchenhafter Kerl!«
Der nächste Tag war ein Sonntag und der Geburtstag des Prinzipals. An diesem wichtigen Tage blieben die Herren nach dem Diner einige Stunden in den Zimmern des ersten Stockes, der Bediente präsentierte dann Kaffee und Zigarren. Als man sich zu Tische setzte, sagte die Tante zu Fink: »Die ganze Stadt ist voll davon, daß Sie und Herr Wohlfart gestern in einer schrecklichen Gefahr gewesen sind.«
»Es war nicht der Rede wert, gnädige Frau«, antwortete Fink leichtsinnig, »ich wollte nur untersuchen, wie sich Master Wohlfart beim Ertrinken benehmen würde. Ich warf ihn ins Wasser, und er wäre um ein Haar auf dem Grunde liegengeblieben, weil er es für indiskret hielt, mich durch seine Rettung zu belästigen. Einer solchen höflichen Resignation ist nur ein Deutscher fähig.«
»Aber Herr Fink«, rief die Tante erschrocken, »das heißt ja das Schicksal herausfordern! Es ist schauderhaft, nur daran zu denken.«
»Schauderhaft war nur die Unsauberkeit dieser Lehmrinne, die man hier Fluß nennt. Es müssen sehr schmutzige Nixen sein, die auf dem Grunde dieses Wassers leben. Aber Wohlfart ließ sich durch ihren Lehm nicht stören. Er fiel ihnen begeistert in die Arme, gerade wie es in dem berühmten Liede Sr. Exzellenz heißt: ›Halb zogen sie ihn, halb sank er hin.‹ Er warf beide Beine über den Rand des Kahns, noch bevor es nötig war.«
»Sie hatten mich’s so gelehrt, Sir!« rief Anton zu seiner Entschuldigung von unten dazwischen.
»Ja«,