Denkwürdigkeiten eines Fechtmeisters. Александр Дюма
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Die französische Armee bedurfte dreier ganzer Tage, um den Fluß zu passiren.
In zwei Tagen erreichte Napoleon die Engpässe, welche Wilna beschirmen; er hofft, daß der Kaiser Alexander ihn in dieser schönen Stellung erwartet haben wird, um die Hauptstadt Litthauens zu beschützen; die Engpässe sind verlassen, er kann seinen Augen nicht glauben; die Avant-Garden haben sie schon ohne Hinderniß passirt; er wird zornig, er flucht, er drohet; der Feind ist nicht allein unerreichbar, sondern auch noch unsichtbar. Das ist ein gefaßter Plan, das ist ein berechneter Rückzug, denn er kennt die Russen, weil er mit ihnen zu thun gehabt hat, und er weiß, daß wenn sie den Befehl zum Schlagen erhalten haben, es lebendige Mauern sind, die man zurückwirft, die aber nicht, zurückweichen.
Inzwischen, welche Gefahr er auch verbirgt, man muß wohl den Rückzug des Feindes benutzen. Napoleon begibt sich in die Mitte der Polen, und hält mit ihnen seinen Einzug in Wilna. Bei dem Anblicke derjenigen, welche sie als ihre Landsleute betrachten, und desjenigen, auf den sie wie auf einen Erlöser hoffen, strömen die Litthauer unter freudigem Jubel und voll Begeisterung herbei; aber Napoleon geht ohne etwas zu sehen, ohne etwas zu hören, sorgenvoll durch Wilna, und eilt nach den Vorposten, welche schon die Stadt überschritten haben; dort endlich hat er Nachrichten von den Russen: das 8. Regiment Husaren, das sich unvorsichtiger Weise, und ohne unterstützt zu seyn, in einen Wald vertieft hat, ist daselbst in Stücken gehauen worden. Napoleon athmet wieder auf, er hat es also mit keiner Armee von Gespenstern zu thun; der Feind hat sich in der Richtung von Drissa zurückgezogen; Napoleon schickt Murat und seine Cavalerie ihm nach, dann kehrt er nach Wilna zurück, um Besitz von dem Palaste zu nehmen, den Alexander am Tage zuvor verlassen hat.
Napoleon verweilt daselbst, um seine rückständigen Arbeiten nachzuholen. Was seine Armee anbelangt, so soll sie fortfahren, unter der Anführung ihrer Heerführer vorzurücken, da es eine russische Armee gibt; so ist es an ihnen, sie einzuholen. Unsere Zufuhren, unsere Packwägen, unsere siegenden Lazarethe sind noch nicht angelangt, was liegt daran? was vor allem Noth thut, ist eine Schlacht, denn eine Schlacht wird ein Sieg seyn, und Napoleon treibt viermal Hundert Tausend Mann in ein Land, das weder Karl XII. noch seine zwanzig Tausend Schweden hat ernähren können.
Die traurigsten Nachrichten gelangen demnach auch von allen Seiten zu ihm. Die Armee, der die Lebensmittel fehlen, kann sich nur durch die Plünderung erhalten, und auch die Plünderung ist noch unzureichend; nun, obgleich in Freundes Land, drohet, sengt und brennt man; ohne Zweifel ist es durch Zufall, daß sich dieses letztere Unglück ereignet, aber ganze Dörfer sind das Opfer dieser Zufälle. Und trotz alle dem leidet das Heer; schon zeigt sich die Entmuthigung: man spricht von jungen Conscribierten, minder an Entbehrungen gewöhnt, als ihre alten Kameraden, welche, indem sie vor ihren Blicken sich lange Tage des Leidens, ähnlich denen, welche sie verlebt, entfalten sehen, ihre Stirn auf ihre Gewehre gestützt, und sich den Kopf in Mitte des Weges gesprengt haben. Kurz, man sagt, daß man auf der Straße nichts, als verlassene Munitionswägen, geöffnete und geplünderte Packwägen, als ob sie vom Feinde genommen gewesen wären, erblicke, denn an zehn Tausend Pferde sind todt, getödtet durch das grüne Korn, welches sie gefressen haben.
Napoleon hört alle diese Berichte, indem er thut, als ob er nicht daran glaube. Zu welcher Stunde man zu ihm kommt, so findet man ihn über ungeheure Karten gebückt, indem er den Weg zu errathen sucht, welchen die russische Armee einschlagen wird; in Ermangelung bestimmter Nachrichten erleuchtet ihn fein Genie, und er glaubt den Plan Alexanders durchdrungen zu haben. Die Geduld des Czar hält sich daran, daß die Franzosen den Boden des alten Rußlands. noch nicht betreten haben, und nur noch auf den neuen Eroberungen marschiren; aber ohne Zweifel wird er seine ganze Macht vereinigen, um das Moskovitische Gebiet zu vertheidigen. Das Moskovitische Gebiet beginnt aber erst achtzig Stunden hinter Wilna. Zwei große Flüsse sind es, die seine Gränzen bezeichnen: der eine ist der Dnieper, und der andere die Dwina, der eine entspringt oberhalb von Viasma, und der andere bei Toropez; alle beide laufen nach einem Raume von ohngefähr sechzig Stunden von Osten nach Westen in paralleler Linie zu beiden Seiten dieser großen Gebirgskette, deren beide Abhänge sie benetzen, welche, von den Karpathen bis zu dem Uralgebirge sich erstreckend, das Rückgrath Rußlands bilden. Mit einem Male entfernen sie sich bei Polosk und bei Orkha plötzlich der eine nach der Rechten, und der andere nach der Linken, die Dwina, um sich bei Riga in das Baltische Meer zu ergießen, und der Dnieper, um bei Cherson in das schwarze Meer zu fallen; aber bevor sie sich auf diese Weise trennen, schließen sie sich ein letztes Mal enger zusammen, indem sie zwischen sich Smolensk und Witebsk, diese beiden Schlüssel von St. Petersburg und Moskau, einschließen.
Es ist nicht mehr daran zu zweifeln: dort ist es, wo Alexander Napoleon erwarten wird.
Von nun an ist dem Kaiser alles erklärt: Barclay de Tolly zieht sich über Drissa auf Witebsk zurück, und Bagration über Borisoff nach Smolensk, dort werden sie sich vereinigen, um Frankreich den Eintritt in Rußland zu versperren.
Sogleich sind dem zu Folge die Befehle ertheilt: Dovoust wird sich des Dnieper bemächtigen, und mit dem Könige von Westphalen, der unter seinen Befehl gestellt wird, versuchen Bagration den Weg abzuschneiden, indem er vor ihm nach Minsk gelangt; Murat, Qudinot und Ney werden Barclay de Tolly verfolgen, und er, Napoleon, mit dem Kern seiner Armee, mit der Armee von Italien, den Bayern, der kaiserlichen Garde, den Polen, kurz mit fünfmal Hundert Tausend Mann, wird zwischen den beiden Korps durchgehen, und eine scharfe Spitze bilden, bereit sich mit Davoust, oder mit Murat zu vereinigen, sey es nun, daß sie Hilfe nöthig hätten, um nicht besiegt zu werden, oder sey es, daß sie der Unterstützung bedürften, um den Sieg zu vollenden.
Ein Streit über das Vorrecht zwischen Davoust und dem Könige von Westphalen läßt Bagration einen Ausweg; Davoust holt ihn nichts desto weniger bei Mohilof ein, aber das, was eine Schlacht hätte sein sollen, ist nur ein Gefecht, inzwischen ist der Zweck zum Theil erreicht, Bagration ist von seinem Wege abgebracht und gezwungen, einen großen Umweg zu machen, um Smolensk zu erreichen.
Auf dem linken Flügel begegnet Murat dasselbe, es ist ihm endlich gelungen, Barclay de Tolly einzuholen, und jeden Tag finden zwischen der russischen Arrier-Garde und der französischen Avantgarde Gefechte statt. Subevic ist es und seine leichte Cavalerie, der die Russen an der Wisna niedermezelt, und ihnen zwei Hundert Gefangene nimmt. Montbrun und seine Artillerie ist es, der die Division des General Korf mit Kartätschen niederschmettert, als er vergeblich sucht, eine Brücke hinter sich abzuschneiden. Sebastiani ist es, der in Vidzi anlangt, von wo der Kaiser Alexander erst am Abende zuvor abgegangen ist.
Barclay de Tolly faßt nun den Entschluß, die Franzosen in dem verschanzten Lager von Drissa zu erwarten, wo er hofft, daß sich Bagration mit ihm vereinigen wird; aber nach Verlauf von drei oder vier Tagen erfährt er den Verlust des russischen Fürsten und das von Napoleon ausgeführte Manöver. Wenn er sich nicht eilt, werden die Franzosen vor ihm in Witebsk seyn; der Befehl zum Aufbruche wird demnach auch gegeben, und nach einem Halt von einem Augenblicke begibt sich die russische Armee wieder auf den Rückzug.
Was Napoleon anbelangt, so ist er von Wilna am 16. abgereist, am 17. ist er zu Swentrioni, am 18. zu Klupokoe. Dort erfährt er, daß Barclay sein Lager von Drissa verlassen hat, er glaubt ihn schon in Witebsk; vielleicht bleibt ihm noch die Zeit, vor ihm daselbst anzugelangen. Er bricht sogleich nach Kamen auf. Sechs Tage vergehen in Eilmärschen,