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»Nicole, bedenken Sie, daß man Sie wegschickt, wenn man bemerkt . . .«
»Und Sie, man wird Sie nicht wegschicken, Sie, der Sie in das Fräulein verliebt sind! nein, der Herr Baron wird sich wohl Zwang anthun!«
»Bei mir,« sprach Gilbert, der sich nun zu vertheidigen suchte, »bei mir ist kein Grund vorhanden, mich wegzuschicken.«
»Wirklich! sollte er Sie bevollmächtigt haben, seiner Tochter den Hof zu machen?«
Gilbert konnte mit einem Worte Nicole beweisen, daß, wenn er auch schuldig war, wenigstens keine Mitschuld auf der Seite von Andrée obwaltete. Er durfte ihr nur erzählen, was er gesehen, und so unglaublich die Sache auch sein mochte, so hätte doch Nicole in Folge der guten Meinung, welche die Frauen von einander haben, ohne allen Zweifel geglaubt. Doch ein tieferer Gedanke hielt den jungen Mann im Augenblick der Offenbarung zurück. Das Geheimniß von Andrée gehörte zu denjenigen, welche einen Menschen bereichern, mag dieser Mensch nun ein Verlangen nach Schätzen der Liebe, oder nach materielleren und. positiveren Schätzen tragen.
Die Schätze, nach welchen Gilbert verlangte, waren Schätze der Liebe. Er berechnete, daß der Zorn von Nicole minder gefährlich, als der Besitz von Andrée wünschenswerth war, traf sogleich seine Wahl und schwieg über das seltsame Abenteuer der Nacht.
»Gut, erklären wir uns, da Sie es durchaus wollen,« sagte er.
»Oh! das wird schnell geschehen sein,« rief Nicole, deren Charakter, dem von Gilbert geradezu entgegengesetzt, sie keine von ihren Empfindungen beherrschen ließ; »doch Du hast Recht, wir sind schlecht in diesem Blumengarten; gehen wir in mein Zimmer.«
»In Ihr Zimmer!« rief Gilbert erschrocken; »unmöglich.«
»Warum?«
»Wir setzen uns der Gefahr aus, überrascht zu werden.«
»Stille doch!« versetzte Nicole mit einem verächtlichen Lächeln, »wer sollte uns überraschen? Fräulein Andrée? In der That, sie muß eifersüchtig auf diesen schönen Herrn sein! Zu ihrem Unglück sind die Leute, deren Geheimniß man weiß, nicht zu fürchten. Ah! Fräulein Andrée eifersüchtig auf Nicole; ich hätte nie an eine solche Ehre geglaubt.«
Und ein gezwungenes Gelächter, furchtbar wie das Brüllen des Sturmes, erschreckte Gilbert viel mehr, als es eine Beleidigung oder eine Drohung gethan hätte.
»Ich fürchte mich nicht vor dem Fräulein, Nicole, sondern ich habe bange für Sie.«
»Ah! ja, das ist wahr, Sie haben mir immer gesagt, wo es keinen Scandal gebe, gebe es auch kein Uebel. Die Philosophen sind zuweilen Jesuiten; übrigens sagte mir das der Gewissensrath der Annonciaden ebenfalls, und zwar vor Ihnen: deshalb geben Sie Ihre Rendezvous dem Fräulein in der Nacht. Vorwärts, vorwärts, keine so schlechten Gründe . . . kommen Sie in mein Zimmer, ich will es haben.«
»Nicole!« sprach Gilbert, mit den Zähnen knirschend.
»Nun!« rief das Mädchen, »was weiter?«
»Nehmen Sie sich in Acht!«
Und er machte eine drohende Geberde.
»O! ich fürchte mich nicht, Sie haben mich schon einmal geschlagen, doch weil Sie eifersüchtig waren. Sie liebten mich zu jener Zeit. Es war eine Woche nach unserem schönen Honigtage, und ich ließ mich schlagen. Aber heute soll es nicht wieder geschehen. Nein! nein! nein! denn Sie lieben mich nicht mehr und ich bin nun eifersüchtig.«
»Und was wirst Du thun?« sagte Gilbert, das Mädchen am Faustgelenke fassend.
»Oh! ich schreie so sehr, daß Fräulein Andrée Sie fragen wird, mit welchem Rechte Sie Nicole das geben, was Sie in diesem Augenblick nur ihr schuldig sind. Lassen Sie mich los, ich rathe es Ihnen.«
Gilbert ließ die Hand von Nicole los.
Dann nahm er seine Leiter, schleppte sie vorsichtig weiter und legte sie außen am Pavillon so an, daß sie beinahe das Fenster von Nicole Legay erreichte.
»Sieh da, das ist Verhängniß,« sprach diese, »die Leiter, welche wahrscheinlich dazu dienen sollte, das Fenster des Fräuleins zu erklettern, wird ganz einfach dazu dienen, von der Mansarde von Nicole Legay herabzusteigen. Sehr schmeichelhaft für mich!«
Nicole betrachtete sich als die Stärkere und beeilte sich dem zu Folge mit der Hast der Frauen zu triumphiren, die, wenn sie nicht wirklich im Guten oder Bösen überlegen sind, stets diesen ersten zu schnell verkündigten Sieg theuer bezahlen.
Gilbert fühlte das Falsche seiner Stellung, er folgte deshalb dem Mädchen, indem er alle seine Fähigkeiten zu dem Kampf, den er ahnte, zusammenzuraffen bemüht war.
Als ein vorsichtiger Mensch, versicherte er sich vor Allem zweier Dinge.
Einmal an dem Fenster vorübergehend, daß Fräulein von Taverney immer noch im Salon war.
Zweitens, daß man, ohne sich der Gefahr, den Hals zu brechen, bloszustellen, die erste Sprosse erreichen und sich von da auf den Boden hinabgleiten lassen konnte.
In Betreff der Einfachheit wich das Zimmer von Nicole nicht von den übrigen des Wohngebäudes ab.
Es war eine Art von Speicher, dessen Wand unter einer grauen Tapete mit grünen Zeichnungen verschwand. Ein Gurtbett und ein großes Geranium, das in der Nahe des Dachfensters stand, schmückten die Stube. Andrée hatte überdies Nicole eine ungeheure Schachtel von Pappendeckel geliehen, die zugleich als Commode und als Tisch diente.
Nicole setzte sich auf den Rand des Bettes, Gilbert auf die Ecke der Schachtel.
Nicole hatte, während sie die Treppe heraufstieg, Ruhe gewonnen. Herrin ihrer selbst, fühlte sie sich stark. Noch ganz zitternd von den vorhergehenden Erschütterungen, vermochte Gilbert seine Kaltblütigkeit nicht wieder zu erlangen, und der Zorn stieg bei ihm immer mehr, je mehr er durch die Kraft des Willens bei dem Mädchen zu erlöschen schien.
Es trat ein kurzes Stillschweigen ein, während dessen Nicole Gilbert mit einem glühenden Auge betrachtete.
»Sie lieben also das Fräulein und Sie hintergehen mich?« sprach sie.
»Wer sagt Ihnen, daß ich das Fräulein liebe?« entgegnete Gilbert.
»Sie haben Rendezvous mit ihr.«
»Wer sagt Ihnen, daß ich mit ihr ein Rendezvous gehabt habe?«
»Mit wem hatten Sie denn in dem Pavillon zu thun? Mit dem Zauberer?«
»Vielleicht, Sie wissen, daß ich Ehrgeiz besitze.«
»Sagen Sie Neid.«
»Das ist dasselbe Wort nach der guten und schlimmen Bedeutung erklärt.«
»Machen wir nicht aus einem Streite über Dinge einen Streit über Worte. Nicht wahr, Sie lieben mich nicht