Der kleine Fürst Staffel 8 – Adelsroman. Viola Maybach
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Wie soll ich damit leben, fragte er sich einmal mehr voller Verzweiflung. Sie taumelt von Verliebtheit zu Verliebtheit, von einem Mann zum anderen, und sie ist so wenig glücklich wie ich. Aber
wenn ich ihr das sagen würde,
wüsste sie nicht einmal, wovon ich spreche.
»Mach nicht so ein Gesicht!«, sagte jemand leise zu ihm.
Es war Sabrina. Ihre Augen strahlten ihn an, ihr Lächeln war weich. »Hör auf, an Stefanie zu denken«, fuhr sie fort. »Tanz lieber noch einmal mit mir, damit die Klatschtanten etwas zum Reden haben.«
»Wo ist denn Ludwig?«, fragte er.
»Oh, keine Sorge, er ist noch da«, lächelte sie. »Komm schon, Flo!«
Er war froh, dass Sabrina ihn aus seinen Grübeleien gerissen hatte. Dankbar führte er sie zur Tanzfläche und verdrängte mit aller Gewalt jeden Gedanken an seine hoffnungslose Liebe zu ihrer Schwester.
*
Stefanie war der Schwarzhaarige sofort aufgefallen, als sie den Club betreten hatte, in dem sie sich an den Wochenenden häufig aufhielt. Er lehnte an der Bar, in lässiger Haltung, und betrachtete die Tanzenden mit leicht zerstreutem Blick. Wie ein Fremdkörper wirkte er, wie jemand, der sich aus Versehen an diesen Ort verirrt hatte. Als er zufällig in ihre Richtung sah, begegneten sich ihre Blicke, aber er reagierte anders, als sie es gewöhnt war: Zwei Sekunden lang sah er sie an, dann wandte er sich wieder der Tanzfläche zu, ohne beeindruckt zu wirken.
Das weckte ihren Ehrgeiz. Sie konnte es nicht ertragen, wenn ein Mann, den sie interessant fand, sie nicht beachtete, und sie hatte nicht die Absicht, es diesem Kerl durchgehen zu lassen. Sie würde den Club nicht verlassen, bevor er nicht völlig verrückt nach ihr war. Ulrich, von dem sie sich doch erst kurz zuvor getrennt und den sie damit zutiefst unglücklich gemacht hatte, war bereits Teil ihrer Vergangenheit geworden und damit fast vergessen. Sie war ein Mensch, der nicht gern zurückschaute, für sie musste es immer vorwärts gehen.
Sie ließ sich Zeit. Zuerst beobachtete sie den Schwarzhaarigen nur. Es dauerte nicht lange, bis sie feststellte, dass er sich offenbar für niemanden besonders interessierte. Konkurrentinnen brauchte sie also nicht zu fürchten. Er schien über etwas nachzudenken, jedenfalls wirkte er wie jemand, der nur körperlich anwesend, mit seinen Gedanken jedoch weit weg war. Als sie fand, dass sie lange genug gewartet hatte, stellte sie sich neben ihn. »Hallo«, sagte sie.
»Hallo«, erwiderte er. »Ich habe mich schon gefragt, wie lange Sie brauchen würden, um sich neben mich zu stellen.«
»Wie bitte?« Das war nicht die Reaktion, die sie erwartet hatte – im Gegenteil. Es behagte ihr ganz und gar nicht, dass er sie als leicht durchschaubar hinstellte.
»Sie haben mich schon richtig verstanden«, stellte er fest.
»Was soll das denn heißen?«, fragte sie kühl. Sie begann, sich über ihn zu ärgern.
»Dass Sie es nicht ertragen können, wenn man Sie nicht beachtet«, erwiderte er gelassen. »Natürlich gibt es Menschen, bei denen Ihnen das gleichgültig ist, aber wenn jemand Ihr Interesse weckt, dann wollen Sie, dass er dieses Interesse erwidert. Tut er es nicht, lässt Ihnen das keine Ruhe.«
Sie lachte, hörte aber selbst, dass es künstlich und wenig überzeugend klang. »Und Sie meinen, Sie hätten mein Interesse geweckt?«, fragte sie.
»Sie haben mich angesprochen«, erinnerte er sie.
Sie wusste genau, dass das Beste, was sie jetzt tun konnte, war, einfach zu gehen, doch sie brachte es nicht fertig. Das hätte ja wie eine Niederlage ausgesehen, wie eine Flucht …
»Sie sind ziemlich von sich eingenommen«, bemerkte sie.
»Genau wie Sie«, erwiderte er gelassen. »Und nun lassen Sie mich bitte in Ruhe, Prinzessin von Gagern. Ulrich von Hohenburg ist mein Cousin, wir stehen einander sehr nahe. Er hat mich vor einer halben Stunde angerufen, ich wollte gerade zu ihm fahren, als Sie aufgetaucht sind – ich bin nur geblieben, um Ihnen deutlich zu sagen, was ich von Ihnen halte: Ich verabscheue Leute wie Sie von ganzem Herzen! Ihnen ist nichts heilig, Sie trampeln auf den Gefühlen anderer Menschen herum, vielleicht macht es Ihnen ja sogar Spaß. Ich möchte mit Ihnen jedenfalls nichts zu tun haben.«
Das alles sagte er in ruhigem Tonfall, ohne auch nur einmal die Stimme zu heben. Als er geendet hatte, stand er auf, nickte ihr noch einmal gleichgültig zu, drehte sich um und ging.
Stefanie bebte vor Zorn, aber auch vor Entsetzen darüber, dass jemand es gewagt hatte, so mit ihr zu reden. Am liebsten wäre sie ihm gefolgt und hätte ihn mit wüsten Beschimpfungen überzogen, doch sie blieb wie gelähmt an ihrem Platz stehen. Dieser Mann hatte sie an einem ihrer empfindlichsten Punkte getroffen: Er hatte ihre Eitelkeit verletzt und ihr zugleich klar gemacht, dass er sie verachtete. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie eine schlimmere Niederlage hinnehmen müssen.
Als sie endlich wieder imstande war, sich zu bewegen, drehte sie sich um und verließ den Club, ohne jemanden anzusehen.
*
»Sie haben tatsächlich gewartet«, stellte Sabrina fest, als sie zu Ludwig zurückkehrte.
»Natürlich, das habe ich Ihnen doch gesagt. Haben Sie mit Ihrem Freund getanzt?«
»Ja, und mir schien, es wurde höchste Zeit, dass ihn jemand aus seinen traurigen Gedanken riss.«
»Sie hatten also Recht, sich Sorgen um ihn zu machen.«
Sie nickte. Einzelheiten wollte sie ihm nicht erzählen. Weder wollte sie über ihre Schwester Stefanie sprechen, noch wollte sie ihm Florians Geheimnis verraten, denn das stand ihr nicht zu.
Er schien zu begreifen, was in ihr vorging, denn er drang nicht weiter in sie. »Es war ein schöner Abend«, sagte er leise, »und zwar nur deshalb, weil ich Sie kennengelernt habe, Sabrina. Als ich die Einladung zu diesem Ball annahm, ging ich, wenn ich ehrlich sein soll, davon aus, dass ich mich nach kürzester Zeit langweilen würde.«
Statt einer Antwort streckte sie ihre rechte Hand aus und legte sie an seine linke Wange. Es war eine zugleich scheue und intime Geste, die mehr sagte als viele Worte es vermocht hätten. Er hielt ihre Hand fest, drehte sie um und drückte einen Kuss auf die Innenfläche.
Sie ließ es ruhig geschehen, und sie wehrte sich auch nicht, als er sie gleich darauf in die Arme schloss. Der gesamte Abend, das wurde ihnen beiden erst jetzt klar, war auf diesen Moment hinausgelaufen – praktisch von Anfang an hatte es festgestanden, dass sie einander näherkommen würden, und nun war es so weit: Ludwig küsste Sabrina. Es kümmerte weder sie noch ihn, dass sie vielleicht Zuschauer hatten hier draußen auf der Schlossterrasse – denn was konnten die schon sehen? Eine Frau und einen Mann, die sich