Kind in seinen Armen. Brennan Manning
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kind in seinen Armen - Brennan Manning страница 5

Christen, die ihre Schatten verstecken, leben weiter in der Lüge. Wir leugnen die Wirklichkeit unserer Sünde. Vergeblich versuchen wir, unsere Vergangenheit auszulöschen, und enthalten damit der Gemeinschaft unser eigenes Geschenk vor, mit dem wir anderen zur Heilung helfen könnten. Wenn wir aus Angst oder Scham unsere Wunden verbergen, kann unsere innere Finsternis weder erhellt noch zu einem Licht für andere werden. Wir klammern uns an unsere schlechten Gefühle und quälen uns selbst mit der Vergangenheit, wo wir sie einfach loslassen sollten. Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt, Schuld sei ein Götze. Wenn wir es dagegen wagen, als Menschen zu leben, denen vergeben wurde, dann gesellen wir uns zur Schar der verwundeten Helfer und kommen näher zu Jesus.
Henri Nouwen hat dieses Thema in seinem Klassiker Geheilt durch seine Wunden ausführlich und sehr einfühlsam behandelt. Er erzählt die Geschichte von dem Rabbi, der den Propheten Elia fragte, wann der Messias komme. Elia erwiderte, der Rabbi solle den Messias direkt fragen, er werde ihn im Stadttor sitzen finden. »Wie soll ich ihn erkennen?«, fragte der Rabbi. Elia erwiderte: »Er sitzt über und über mit Wunden bedeckt, unter den Armen. Die anderen legen all ihre Wunden auf einmal frei und verbinden sie wieder. Er aber nimmt immer nur einen Verband ab und legt ihn sofort wieder an, denn er sagt sich: Vielleicht braucht man mich; wenn ja, dann muss ich immer bereit sein und darf keinen Augenblick säumen.«13
Der leidende Gottesknecht bei Jesaja kennt seine Wunden. Sie werden zu einer Quelle der Heilung für die Menschen.
In Geheilt durch seine Wunden kommt zum Ausdruck, dass Gnade und Heilung letztlich von Männern und Frauen weitergegeben werden, die selbst vom Leben geschlagen und zerbrochen sind. Im Dienst der Liebe können nur verletzte Soldaten dienen.
Auch die Anonymen Alkoholiker sind eine Gemeinschaft verwundeter Helfer. Der Psychiater James Knight schreibt: »Der Alkohol und die damit verbundenen Probleme haben diese Menschen an den Rand der Zerstörung getrieben und ihr Leben fast ruiniert. Doch wer aus der Hölle von Bindung und Sucht herausfindet und aus der Asche wieder hervorsteigen kann, der hat meist eine besondere Antenne für die Probleme seiner Leidensgenossen, weil er sie versteht, und ist bereit, den Kontakt zu ihnen zu suchen und ihnen zu helfen. Er stellt sich der Begegnung, und gleichzeitig lässt er es nicht zu, dass seine eigene Anfälligkeit und Gefährdung in Vergessenheit geraten. Er gibt zu, dass er verwundbar ist. Er erkennt die eigene Schwäche an und muss sie nicht verstecken. Ja, mehr noch, seine Verletzlichkeit hilft ihm, das eigene Leben zu klären und zu stabilisieren, und gleichzeitig setzt er sie ein, um seinen abhängigen Brüdern und Schwestern, und manchmal auch ihren Kindern, den Weg zurück zu einem Leben ohne Alkohol zu zeigen. Die Wirksamkeit der AA-Mitglieder bei der Begleitung und Therapie ihrer Leidensgenossen ist eine der großen Erfolgsgeschichten unserer Zeit und zeigt auf anschauliche Weise, wie die eigenen Verletzungen, wenn sie kreativ eingesetzt werden, dazu beitragen können, die Last von Leid und Schmerz zu lindern.«14 (Hervorh. B. M.)
In den Briefen an einen jungen Dichter spricht Rainer Maria Rilke davon, wie hilfreich seine eigene Schwäche für ihn ist: Der junge Mann solle nicht glauben, dass jener, der ihn zu trösten versucht, ganz unbesorgt zwischen den einfachen und ruhigen Worten lebt, die ihm manchmal gut tun. Sein Leben sei voller Schwierigkeiten und Traurigkeit und bleibe weit hinter dem des jungen Dichters zurück. Wäre es nicht so, hätte er nie diese Worte finden können. Das gilt auch für ein Leben im Glauben. Paulus zieht daraus den Schluss: »Gott antwortete mir: Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkomme.« (2. Korinther 12,9)
Mein eigener Weg hat mich gelehrt, dass ich mich bei mir selbst nur dann sicher fühle, wenn ich mich bei Gott geborgen weiß. Wenn wir Abba, dem Vater, vertrauen, der seinem missratenen Sohn entgegenrannte und nicht eine einzige Frage stellte, dann sind wir auch in der Lage, uns selbst im Innersten zu vertrauen.
Der Entschluss, endlich unser Versteck zu verlassen, ist dann wie eine Tür, der Eintritt in das heilende Wirken Jesu. Dann stehen wir in der Wahrheit, die uns frei macht, und leben in der Wirklichkeit, die uns ganz und heil werden lässt.
Zu den zehn besten Büchern, die ich in meinem Leben gelesen habe, gehört Georges Bernanos’ Tagebuch eines Landpfarrers. Seit seiner Ordination hat der Pfarrer mit Zweifel, Angst und Unsicherheit zu kämpfen. Im letzten Eintrag seines Tagebuchs heißt es:
»Es ist vorbei. Das sonderbare Misstrauen, das ich gegen mich, gegen meine Person hegte, hat sich wohl für immer verflüchtigt. Dieser Kampf ist zu Ende. Ich verstehe ihn nicht mehr. Ich bin mit mir selbst versöhnt, versöhnt mit dieser armen, sterblichen Hülle.
Es ist leichter, als man glaubt, sich zu hassen. Die Gnade besteht darin, dass man sich vergisst. Wenn aber endlich aller Stolz in uns gestorben ist, dann wäre die Gnade der Gnaden, demütig sich selbst zu lieben als irgendeines der leidenden Glieder Christi.«15
2. Der Schwindler
Eine Maske aufbauen
Leonard Zelig ist der Inbegriff des Nebbich (jiddisch für Nichtsnutz). In Woody Allens heiterem und nachdenklichem Film Zelig ist er ein gefeiertes Nichts, das überall hinpasst, weil es sich jeder beliebigen Situation anpassen kann. Zelig reitet in einer Parade durch den Heldencanyon von Mohalles; er steht zwischen den ehemaligen US-Präsidenten Herbert Hoover und Calvin Coolidge; er albert mit Preisboxer Jack Dempsey herum und plaudert mit Bühnenautor Eugene O’Neill übers Theater. Als Hitler seine Anhänger in Nürnberg versammelt, steht Leonard natürlich mit auf dem Podium.
»Er hat keine eigene Persönlichkeit, deshalb schlüpft er in die Rolle jeder starken Persönlichkeit, der er begegnet. Bei den Chinesen kommt er geradewegs aus China. Trifft er einen Rabbi, wachsen ihm auf wundersame Weise Bart und Schläfenlocken. Er äfft den Jargon der Psychiater nach und streicht sich mit feierlichem Ernst übers Kinn. Im Vatikan gehört er zum geistlichen Gefolge von Papst Pius XI. Im Frühjahrsmanöver trägt er eine Yankee-Uniform und steht im Baseballkreis, um Babe Ruth, den berühmtesten Baseballspieler Amerikas, zu schlagen. Er nimmt die schwarze Haut des Jazztrompeters an, die Speckrollen eines Dickwansts, das Profil eines Indianers. Er ist ein Chamäleon. Er verändert Hautfarbe, Akzent und Gestalt, sowie die Welt um ihn herum sich verändert. Er hat keine eigenen Ideen und Meinungen, er passt sich einfach an. Er möchte nur sicher sein, dazugehören, akzeptiert und gemocht werden … Er ist berühmt dafür, ein Nichts zu sein, ein Nicht-Mensch.«16
Ich könnte über Allens Karikatur des Menschen, der allen gefallen will, hinweggehen, wenn ich nicht so viel von Leonard Zelig an mir selbst entdecken würde. Der absolute Schauspieler folgt meinen egoistischen Wünschen. Er trägt tausend Masken. Die glänzende Fassade muss um jeden Preis aufrechterhalten werden. Der fromme Hochstapler und Maskenträger zittert bei dem Gedanken, er könnte das Missfallen oder den Zorn der anderen auf sich ziehen. Unfähig zur direkten Rede, windet er sich; er quasselt und zaudert und schweigt aus Angst vor Ablehnung. »Das falsche Ich spielt seine trügerische Rolle, indem es uns angeblich schützt – doch in einer Weise, die darauf programmiert ist, die Angst in uns wach zu halten: die Angst davor, im Stich gelassen zu werden, den Halt zu verlieren, es nicht allein zu schaffen, nicht allein sein zu können.« (James Masterson)17
Fromme Schauspieler und Hochstapler leben in der Angst. Jahrelang habe ich mich zum Beispiel gerühmt, pünktlich zu sein. Doch in der Stille und Einsamkeit der Berghütte in Colorado wurde mir klar, dass meine Pünktlichkeit in der Angst vor menschlichem Tadel wurzelte. Mahnende Stimmen von Autoritätspersonen aus der Kindheit haben sich in meiner Seele eingenistet und warnen noch heute