Im Dunkeln lauert die Angst. Eva Breunig
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Читать онлайн книгу Im Dunkeln lauert die Angst - Eva Breunig страница 4
»Das ist unpfadfinderisch, was du da machst! Wir kriegen das auch ohne Handy hin!«
»Kennst du denn alle Zeichen?«, spöttelte Emil.
»Ich kann alle Merkworte für das Morsealphabet!«, brüstete sich Antonia. »Und ich weiß, dass eine Silbe, die ein ›o‹ enthält, für einen Strich steht, und Silben ohne ›o‹ für Punkte.«
»Genau!«, mischte sich Sandra ein. »Das fünfte Zeichen in dieser Botschaft steht für ›Ha-sen-züch-ter‹, vier Silben ohne ›o‹. Also ein ›H‹!«
»Ein Punkt ist ›E‹«, verkündete Lukas. »Merkwort ›Eis‹!«
»Da sind mehrere ›E‹s!« David nahm einen Stift und schrieb »E« über alle Einzelpunkte. »Das erste Zeichen ›Punkt-Strich‹ bedeutet ›A‹ – Merkwort ›An-ton‹!«, fügte er hinzu.
»Aber was ist das zweite?«
Nach einigem Probieren und Rätseln gelang es ihnen, die Botschaft vollständig zu entschlüsseln:
»Apotheke und Süßwaren Gunilla und Drusilla. Fledermausgelee, Spinnwebzuckerwatte, Knoblauchschokolade. Rathauspark 1.«
»Los, das ist also unsere nächste Adresse!«
Die Zwillingsschwestern Daria und Miriam, die Autorinnen des schaurig-schönen Stadtgeländespiels, spielten natürlich die beiden schrulligen Apothekerinnen in ihrer Süßigkeitenküche. Mit ihrer überschäumenden Fantasie, ihrem komödiantischen Talent und ihrer Lust am Verkleiden waren sie voll in ihrem Element. Im Rathauspark loderte ein echtes Feuer in einer flachen Metallschale – natürlich hatten sie eine Genehmigung der Polizei dafür –, und darüber hing ein Kupferkessel an einem Dreibein. Auf der Wiese lag eine dünne Schneekruste, die den Feuerschein schwach reflektierte und huschende, tanzende Lichteffekte schuf. Die Schwestern hatten ihre Haare wild toupiert und farbig angesprüht – Daria grün, Miriam pink. Dazu trugen sie altmodische Hüte, zerlumpte Kleiderschürzen und Bergschuhe. Von Miriams Hut baumelte eine riesige Gummispinne, Daria trug eine Stofffledermaus auf der Schulter. Beide waren mit falschen Warzen und Falten geschminkt, und einige Zähne waren geschwärzt, sodass sie wie Zahnlücken aussahen. Die Zwillinge waren für ihre Liebe zum Detail berühmt.
Als die Gruppe eintraf, rührte Daria mit einem Besenstiel im Kessel herum, während Miriam ein Rezept aus Pergament hielt, durch eine dicke Brille hindurch die Zutaten ablas und allerlei Ingredienzien in den Topf warf.
»Schau mal, Drusilla – Menschlein!«, kicherte Miriam mit greisenhaft verstellter Stimme. »Gehören denn welche in unseren Trank?«
»Aber Gunilla, wir kochen doch keine Kinder!«, krächzte Daria zurück. »Wir sind Vege-Vere-Veteranen!«
»Veterinäre, meinst du? Die, die kein Fleisch essen?«
»Vegetierer«, versuchte Drusilla-Daria es noch einmal.
»Vegetarier?«, half Antonia aus.
»Genau! Vegetarier!«, jubelten die beiden Apothekerinnen und tanzten um den Kessel.
»Aber – wenn wir euch nicht kochen sollen, was wollt ihr dann hier?«, fragte Gunilla-Miriam schließlich.
»Wir hätten gern etwas Knoblauchschokolade«, bat Emil artig und schoss ein Handyfoto von der Feuerstelle mit dem Kessel und den zwei verkleideten Gestalten.
»Ah-hahaha! Hihihi!«, kicherten die beiden schaurig und ließen ihre grauenvoll entstellten Gebisse sehen. »Habt ihr Gold?«
Die Kinder sahen einander an und zuckten ratlos die Schultern. Gold hatten sie nicht. Hatten sie womöglich eine Station ausgelassen?
»Ha!«, kreischten die Apothekerinnen. »Die haben kein Gold! Kommen mit leeren Taschen, ha! Ja, glaubt ihr denn, wir verschenken unsere Süßigkeiten?« Daria beugte sich bedrohlich vor und kam mit ihrem Gesicht so nah an das von Emil heran, dass der Junge ein paar Schritte zurückstolperte.
»Kommt wieder, wenn ihr Gold habt!«, beschied ihnen Miriam.
»Oder Edelsteine!«, fügte Daria hinzu.
Die Kinder standen unschlüssig da und wussten nicht, wo sie jetzt hingehen sollten.
»Aaah – das sind starke Kinder, die können auch arbeiten«, fand Miriam plötzlich.
»Oh ja, arbeiten, oh ja!«, echote Daria.
»Ihr könnt ein bisschen Holz hacken«, schlug Miriam vor und deutete auf einen Hackstock, in dem ein Beil steckte. Daneben lag ein Stapel Holzklötze und ein zweiter Stapel mit bereits kleingehacktem Holz. Offenbar waren schon andere Patrouillen vor ihnen hier gewesen.
Lukas war der Erste. Breitbeinig stellte er sich vor den Hackstock und ergriff das Beil mit beiden Händen.
»So ist’s gut!«, lobte Gunilla-Miriam. »Beine breit, damit du dir nicht ins Schienbein hackst, falls du abrutschst. Und das Holz niemals mit der Hand festhalten! Steht eh von allein.« Sie stellte ihm ein Holzstück hin. Lukas holte aus und spaltete den Klotz mit einem Schlag.
»Bravo! Starker Bursche! Kriegt vielleicht Schoki!«, jubelte Miriam.
Auch die anderen Kinder versuchten ihr Glück. Sandra schlug nicht fest genug zu; das Beil blieb im Holz stecken und musste mit einem Hammer tiefer hineingetrieben werden. Davids Holzstück sprang davon und das Beil schwang zwischen seine Beine. Gut, dass er sie so breit aufgestellt hatte! Als alle dran gewesen waren, schienen die Köchinnen zufrieden.
»Hier, lecker Knobi!«, krächzte Daria und überreichte Lukas eine Tafel Schokolade. Die Aufschrift auf dem Umschlag war mit dem Bild einer Knoblauchknolle überklebt worden. Daneben stand in altmodischer Schrift »Gunillas und Drusillas feine Knoblauchschokolade – mit ganzen Knoblauchstückchen, zartschmelzend«.
»Aber nicht selber essen!«, warnte Drusilla-Daria. »Die Wirkung auf Menschen wurde nie erforscht!«
»Wahrscheinlich muss man kotzen«, flüsterte Emil in Millis Ohr und grinste.
»Frechheit! Du beleidigst unsere weltberühmte Spezialität?!«, kreischte Miriam durchdringend. »Gib sie sofort wieder her!«
»Oh – nein, ich meinte, sie ist sicher super lecker!«, verbesserte sich Emil hastig.
»Köstlich! Deliziös! Sensationell!«, tadelte Daria.
»Ja, genau«, stimmte Antonia eilfertig zu. »Einzigartig!«
Das besänftigte die Apothekerinnen, und sie begannen wieder zu kochen.
»Äh – wo müssen wir denn jetzt hin?«, fragte Sandra.
»Folgt den Lichtern!«, sangen die beiden.
Milli deutete auf die nahe gelegenen Büsche. Dort leuchtete ein schwaches Licht in kurzen Abständen auf – dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz.