Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Es geht mir tatsächlich sehr gut momentan. Ich habe Sie aus einem anderen Grund hergebeten.«
Daniel sah sie fragend an.
»Es ist wegen Christina. Ich mache mir Sorgen um sie. Es tut mir leid, daß ich Sie damit belästigen muß, aber sie ist doch auch Ihre Patientin.«
»Natürlich, Frau Wolrab. Warum sorgen Sie sich?«
»Tini ist so mager geworden. Sie scheint gar nichts mehr zu essen. Wenn ich sie frage, sagt sie, sie hätte Magenschmerzen. Zu Ihnen will sie deswegen nicht gehen. Sie sagt, sie hätte zur Zeit so viele Auftritte, daß sie es sich nicht leisten kann, krank zu sein.«
»Eine leichtsinnige Einstellung. Das kann leicht schiefgehen«, bemerkte Daniel besorgt. »Ich kann Frau von Berg nicht zwingen, sich behandeln zu lassen.«
Daniel dachte einen Moment nach.
»Sie kommt gegen Ende der Woche mit der Kleinen in meine Praxis. Vielleicht erfahre ich bei dieser Gelegenheit etwas von ihr. Vielen Dank für den Hinweis, Frau Wolrab.«
»Gern geschehen. Und vielen Dank auch. Auf Wiedersehen.«
Daniel verließ die Wohnung und machte sich auf den Weg zu seinem nächsten Patienten.
Was für eine rührende alte Dame, dachte er. Es wäre besser um diese Welt bestellt, wenn es mehr Nächstenliebe gäbe.
Am späten Nachmittag kehrte er von seinen Hausbesuchen zurück. Er wurde bereits von Fee erwartet, die ein sorgenvolles Gesicht machte.
»Hallo Schatz. Was ist los?« fragte Daniel und küßte seine Frau.
»Ich mache mir langsam ernste Sorgen um Jan.«
»Geht es ihm noch nicht besser?«
»Das Fieber geht nicht zurück. Zudem hat er jetzt auch noch einen Hautausschlag.«
»Hat er noch Halsschmerzen?«
»Ja, seine Gaumenmandeln sind geschwollen und mit Belägen bedeckt.«
»Ich sehe gleich nach ihm.«
Besorgt stieg Daniel die Treppe hoch und ging in das Zimmer seines jüngsten Sohnes.
Dieser lag mit fiebrigem Gesicht im Bett.
»Hey, mein Kleiner. Das sieht nicht gut aus mit dir, was!«
»Hallo, Papi, tu was. Mir geht’s so schlecht!«
»Du mußt mir genau sagen, was dir weh tut.«
»Alles.«
»Ja, bitte. So kann ich dir nicht helfen. Ich muß es genau wissen.«
»Der Hals und der Kopf und die Arme und die Beine. Ich kann gar nicht aufstehen und Fernsehen schauen.«
Unwillkürlich mußte Daniel lächeln, obwohl er die Beschwerden des Kindes durchaus ernst nahm.
»Du bist geschwächt vom Fieber. Das hast du nun schon über eine Woche. Es ist zwar nicht so hoch, so um die achtunddreißig, aber das strengt den Körper an.«
»Kannst du das Fieber nicht wegmachen?«
»Ich glaube, wir müssen eine Blutuntersuchung machen.«
Jan sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an.
»Ich will aber nicht mit einer Nadel aufgespießt werden!«
»Reg dich nicht auf, Jan! Kein Mensch wird dich aufspießen. Es ist nur eine ganz dünne Nadel, mit der ein bißchen Blut entnommen wird, das tut gar nicht weh. Ich besorge von Tannte Jenny ein Zauberpflaster, dann spürst du überhaupt nichts mehr.«
»Bestimmt nicht?« fragte der Kleine zweifelnd.
»Großes Indianer-Ehrenwort!« sagte Daniel lächelnd.
»Gut, daß mir die Idee mit dem Zauberpflaster gekommen ist«, sagte er später zu Fee.
»Davon habe ich noch nie gehört. Was ist das?«
»Ein Pflaster, das einen betäubenden Wirkstoff enthält.«
»Eine gute Idee. Es gibt ja auch viele Erwachsene, die eine wahre Spritzen-Phobie haben.«
»Mehr als genug. Jenny kann ein Lied davon singen. In meiner Praxis kommt das Gott sei Dank nicht so häufig vor.«
»Müssen wir uns Sorgen machen um Jan?«
»Ich habe ihn untersucht. Die Lymphknoten sind am ganzen Körper geschwollen. Das gefällt mir nicht. Eine Blutuntersuchung gibt uns hoffentlich Aufschluß. Eine gewöhnliche Erkältung ist das jedenfalls nicht mehr.«
»Der arme Kleine. Er ist so tapfer.«
»Am besten fahre ich jetzt gleich zu Jenny und besorge das Pflaster.«
»Tu das. Dann kannst du ihm morgen früh das Blut abnehmen und gleich ins Labor schicken.«
»Ich werde einen Fahrer mit der Probe in die Behnisch-Klinik schicken. Dort geht die Auswertung schneller.«
Es war bei vielen Ärzten so, wenn es um die eigene Familie ging, bekamen sie Herzklopfen.
*
Christina hatte viele Stunden am Bett ihrer kleinen Tochter verbracht. Obwohl sie nachts nicht viel geschlafen hatte, wollte sie die Kleine nicht allein lassen. Nur kurz war sie zur Apotheke gefahren, um die Medikamente zu holen, die Dr. Norden ihr verschrieben hatte. Frau Wolrab hatte sich inzwischen bereit erklärt, auf Muriel aufzupassen, was sie oft und gern tat.
Endlich war Muriel eingeschlafen. Christina stand vorsichtig auf und verließ leise das Zimmer. Auf dem Flur atmete sie auf. Jetzt würde sie sich erst einmal eine Tasse Kaffee gönnen. Ihr Magen würde ihr das übelnehmen, deshalb nahm Christina vorsichtshalber gleich eine Tablette.
Mit dem heißen Getränk setzte sie sich ans Fenster ihrer Küche und sah hinunter in den Garten. Hier saß sie oft und dachte darüber nach, daß sie sehr viel Glück gehabt hatte, als sie Helene Wolrab kennengelernt hatte.
Ihre eigene Familie war zerrüttet. Die Eltern hatten sich nach jahrelangen Streitereien endlich scheiden lassen, als Christina achtzehn gewesen war. Für sie war es klar, daß sie weder bei ihrer Mutter noch bei ihrem Vater wohnen wollte, um nicht neuerlich Haß zwischen den beiden zu schüren.
So wurde beschlossen, daß Christina eine eigene Wohnung bekommen würde, die die Eltern in den ersten Jahren gemeinsam finanziert hatten.
Inzwischen hatte Christina ihre Ausbildung zur Sängerin abgeschlossen und konnte das Geld für ihren Unterhalt selbst aufbringen.
Für Christina war Helene Wolrab zu einem Familienersatz geworden. Sie liebte sie wie eine Großmutter. Auch Helene fühlte sich zu Tini, wie sie sie liebevoll nannte, sehr hingezogen.