Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman. Kathrin Singer
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Er konnte nicht tatenlos abwarten!
Mehrere Male hielt Ulrich das zweite Los zwischen seinen zitternden Fingern. In seinem Herzen tobte ein heftiger Kampf.
Endlich gab er sich einen Ruck. Faltete das kleine Papier auseinander.
Las den Namen: Angelika Thiele.
Auch dieses Mädchen wohnte nicht in der Stadt, sondern in einem benachbarten Heidedorf.
Angelika … Während Ulrich reglos an seinem Schreibtisch saß, versuchte er sich diese unbekannte Angelika vorzustellen. Wäre es nicht heller Wahnsinn, dieses Spiel ein zweites Mal zu wiederholen?
»Nein, ich tue es nicht«, murmelte Ulrich vor sich hin und warf das Los in den Papierkorb.
Angelika – dieser Name schien ihn wie eine lästige Mücke zu umschwirren. Seine Unruhe steigerte sich mitunter fast zur Panik. Er sprang auf. Irgendetwas musste er unternehmen, um nicht zu ersticken! Er verließ wie gehetzt das Büro und warf sich in seinen Wagen.
Ehe er es bewusst beschlossen hatte, befand sich Ulrich schon auf dem Weg aus der Stadt. Bald lagen die weiten Heideflächen vor ihm.
Die Adresse hatte sich wie mit einer Flammenschrift in sein Gedächtnis gegraben.
Ich will sie wenigstens einmal sehen, diese Angelika, dachte Ulrich immer wieder, vielleicht hat sich das Problem dann von selbst erledigt.
Er fand eine romantische, aber recht verfallene Kate am Rande des Dorfes. Sonnenblumen überragten die Dachrinne um einen Meter.
Ulrich klopfte und hielt den Atem an. Eine Frau von etwa fünfzig Jahren, die ein Kopftuch und eine Schürze trug, öffnete.
»Guten Tag«, grüßte Ulrich und überlegte verzweifelt, wie er beginnen sollte.
»Guten Tag. Oh, der Herr sind von der Innung? Bitte, kommen Sie doch, treten Sie näher. Angelika, meine Nichte, ist im Moment leider nicht zu Hause.«
»Von der – Innung?« Ulrich runzelte die Stirn.
»Ja, Angelika möchte doch so gerne Konditorin werden, und weil sie keine Lehrstelle finden konnte, hat sie neulich an die Innung geschrieben. Ich dachte … So, ich habe mich wohl geirrt, ja?«
»Leider. Mein Name ist Warner. Ulrich Warner.«
»Warner? Warner? Haben Sie irgendwas mit der Marmeladenfabrik Warner zu tun?«
»Stimmt, ich bin der Inhaber.«
»Ach!« Die Augen der Frau leuchteten auf. »Und Sie möchten Angelika eine Lehrstelle anbieten? Ich finde, das Kind sollte auf jeden Fall einen anständigen Beruf lernen, denn Angelika hat nur noch mich und muss doch für sich selbst sorgen können, wenn ich einmal nicht mehr bin! Entschuldigen Sie, Herr Warner, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Annegret Thiele.«
»Angenehm. – Wie alt ist Ihre Nichte, wenn ich fragen darf.«
»Neunzehn Jahre. Sie sucht ja schon seit fast zwei Jahren eine passende Lehrstelle. Zwischendurch hat sie mal im Kinderheim ausgeholfen. Sie ist sehr willig und anstellig, und das Backen ist ihr ganz großes Hobby!«
»Hm – ich möchte Fräulein Angelika gern persönlich kennenlernen.«
»Ja, wo bleibt sie nur? Sie müsste längst wieder hier sein. Wissen Sie, das dumme Ding läuft jeden Tag in den ›kleinen Liebesgrund‹, um die Eichhörnchen zu füttern.«
»Ach, das ist ja niedlich. Angelika hat also ein Herz für Tiere.«
»Das kann ich Ihnen sagen! Schon als Kind hat sie ihr halbes Taschengeld für Vogelfutter ausgegeben.« Annegret Thiele blickte aufgeregt aus dem Fenster. »Wo sie nur bleibt, ausgerechnet heute!«
»Ich kenne den kleinen Liebesgrund, von dem Sie sprachen. Wenn Sie erlauben, werde ich Ihrer Nichte ein Stück entgegenfahren.«
»Ach ja, bitte! Sie können Angelika gar nicht verfehlen. Es wäre doch zu schön, wenn Sie etwas für das Kind tun könnten, Herr Warner!«
Als Ulrich wieder im Wagen saß, fühlte er sich halb betäubt. Mit aller Gewalt drängte er die Gedanken an Betti aus seinem Bewusstsein. Es ging um Tobias! Er wollte sich jetzt nicht von seinen eigenen Gefühlen lenken lassen, sondern dem Schicksal vertrauen.
Zügig ließ er seinen Wagen über die einsame Landstraße rollen. Kein anderes Fahrzeug kam ihm in dieser abgelegenen Gegend entgegen aber auch kein junges Mädchen. Wahrscheinlich hockte Angelika noch im Liebesgrund bei den zutraulichen, possierlichen Eichkätzchen.
Das letzte Stück musste Ulrich zu Fuß gehen, da sich nur ein sandiger Pfad durch das Heidekraut schlängelte. Immer dichter standen die Wacholderbüsche beieinander, versperrten die Aussicht. Ulrich bildete mit beiden Händen einen Schalltrichter. »Frau Thiele!«
Da – eine schwache Antwort. Aber was war das? Ulrich lauschte vornübergeneigt.
»Hilfe!«, vernahm er deutlich. »Hilfe!«
Ulrich stürmte vorwärts, duckte sich unter einer Kiefer hinweg, sprang über eine Reihe kleiner Birken. Es dauerte nicht lange, und er sah das Mädchen vor sich, ein schmales Geschöpf mit schwarzen Locken und geweiteten dunklen Augen. Es hockte an einer flachen Böschung im Heidekraut.
»Bitte, helfen Sie mir!« Ihre Stimme klang so angsterfüllt, dass Ulrich bis ins Mark erschrak. Schon war er bei ihr, beugte sich nieder.
Angelika Thiele deutete auf ihren nackten Fuß. »Eine Schlange, ich glaube – ich glaube, es war eine Kreuzotter.«
Ulrich starrte entsetzt auf die vier winzigen blutunterlaufenen Punkte in der Haut.
»Wann war das?«, fragte er rau.
»Ich weiß nicht … Schon vor einer ganzen Weile …«
»Konnten Sie nicht mehr gehen?«
»Ach, ich hab mir vor Schreck den Fuß verstaucht oder gebrochen. Es tut so weh.«
»Ja, ich sehe, der Knöchel ist stark geschwollen. Ich bringe Sie sofort ins Krankenhaus. Mein Wagen steht an der Straße. Nur keine Panik.«
Er hob Angelika Thiele auf, und sie schlang beide Arme fest um seinen Hals, um ihm das Tragen zu erleichtern. Mit langen Sätzen eilte Ulrich durch das hohe Heidekraut. Besorgt musterte er das schmale bleiche Gesichtchen. Hoffentlich hatte man in der Klinik das notwendige Serum!
»Ich dachte, Kreuzottern wären ausgestorben,«
»Es gibt wohl nur noch ganz wenige. Aber ausgerechnet mich musste sie erwischen.«
»Vielleicht handelte es sich um eine andere, um eine ganz harmlose Schlange.«
Ein wehes Lächeln geisterte um den Mund des Mädchens. »Ich glaube nicht.«
Obwohl Ulrich das Gewicht der Verunglückten zunächst kaum gespürt hatte, wurde die Last auf seinen Armen allmählich