Gesammelte Werke. Alfred Adler

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Gesammelte Werke - Alfred  Adler

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über letztere seelische Erkrankung abgeschlossen hatte und feststellen konnte, daß jede echte Melancholie wie Selbstmorddrohungen und Selbstmord den feindlichen Angriff auf andere bei zu geringem Gemeinschaftsgefühl darstellt � hat in der Folge den Weg zu besserem Verständnis dieser Psychose geebnet. So wie der Selbstmord, in den diese Psychose leider häufig mündet, ist sie die Setzung eines Verzweiflungsaktes an Stelle gemeinnütziger Mitarbeit. Verlust des Vermögens, einer Arbeitsstelle, Enttäuschung in der Liebe, Zurücksetzungen aller Art können diesen Verzweiflungsakt bei entsprechendem Bewegungsgesetz in einer Form herbeiführen, in der der Betroffene auch vor der Opferung von Angehörigen oder anderen nicht zurückschreckt. Dem psychologisch Feinhörigen wird nicht entgehen, daß es sich hier um Menschen handelt, die vom Leben leichter als andere enttäuscht werden, weil sie zuviel erwarten. Dem kindlichen Lebensstil nach dürfte man mit Recht erwarten, in ihrer Kindheit einen hohen Grad von Erschütterbarkeit zu finden mi t einer lang andauernden Verstimmung oder mit einem Hang zur Selbstbeschädigung, wie zur Bestrafung der anderen. Die im Vergleich mit der Norm viel größere Schockwirkung löst, wie neuere Untersuchungen bestätigt haben, auch körperliche Veränderungen aus, die wohl unter dem Einfluß des vegetativen und endokrinen Systems stehen dürften. Bei genauerer Untersuchung wird sich wohl, wie zumeist in meinen Fällen, nachweisen lassen, daß Organminderwertigkeiten und noch mehr ein verwöhnendes Regime in der Kindheit das Kind zu einem derartigen Lebensstil verleitet und die Entwicklung eines genügenden Gemeinschaftsgefühls eingeengt haben. Nicht selten ist bei ihnen ein offener oder versteckter Hang zu Zornausbrüchen, zur Meisterung aller kleinen und größeren Aufgaben in ihrer ganzen Umgebung, ein Pochen auf ihre Würde nachzuweisen.

      Ein 17jähriger Junge, der jüngste in der Familie, von der Mutter außerordentlich verwöhnt, blieb, als die Mutter eine Reise antreten mußte, in der Obhut einer älteren Schwester zurück. Eines Abends, als die Schwester ihn allein zu Hause ließ, er gerade in der Schule mit scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, beging er Selbstmord. Er ließ folgendes Schreiben zurück. »Teile der Mutter nicht mit, was ich getan habe. Ihre derzeitige Adresse ist die folgende ... Sage ihr, wenn sie zurückkommt, daß mich das Leben nicht mehr gefreut hat, und daß sie mir alle Tage Blumen auf mein Grab legen soll.«

      Eine alte, unheilbar Kranke beging Selbstmord, weil ihr Nachbar sich von seinem Radio nicht trennen wollte.

      Der Chauffeur eines reichen Mannes erfuhr bei dessen Tod, daß er einen ihm versprochenen Erbteil nicht erhalten sollte, brachte seine Frau und seine Tochter um und beging Selbstmord.

      Eine 56jährige Frau, die als Kind und später vo n ihrem Manne stets verwöhnt worden war, auch in der Gesellschaft eine hervorragende Rolle spielte, litt sehr unter dem Tod ihres Mannes. Ihre Kinder waren verheiratet und nicht sehr geneigt, sich der Mutter ganz zu widmen. Bei einem Unfall zog sie sich einen Schenkelhalsbruch zu. Sie blieb auch nach der Heilung der Gesellschaft ferne. Irgendwie kam ihr der Gedanke, auf einer Weltreise freundliche Anregungen zu finden, die sie zu Hause entbehrte. Zwei Freundinnen fanden sich bereit, mit ihr zu fahren. In größeren Städten des Kontinents ließen die Freundinnen sie wegen ihrer Schwerbeweglichkeit immer allein. Sie geriet in eine außerordentliche Verstimmung, die sich zu einer Melancholie steigerte, und rief eines ihrer Kinder herbei. Anstatt dessen kam eine Pflegeschwester, die sie nach Hause brachte. Ich sah die Frau nach dreijährigem Leiden, das keine Besserung gezeigt hatte. Ihre hauptsächliche Klage war, wie sehr die Kinder unter ihrer Krankheit leiden müßten. Die Kinder wechselten in ihren Besuchen ab, offenbarten aber, durch die Dauer des Leidens ihrer Mutter abgestumpft, kein übergroßes Interesse. Die Kranke äußerte stets Selbstmordideen und hörte nicht auf, von der übergroßen Sorgfalt der Kinder zu sprechen. Es war leicht zu sehen, daß die Frau mehr an Sorgfalt erfuhr als vor ihrer Erkrankung, auch daß ihre Anerkennung der Sorgfalt der Kinder mit der Wahrheit, besonders mit jener Hingebung, die sie als verzärtelte Frau erwartete, in Widerspruch standen. Versetzt man sich in ihre Person, so läßt sich begreifen, wie schwer es dieser Frau ankam, etwa auch noch auf diese durch die Krankheit so schwer erkaufte Sorgfalt zu verzichten.

      Eine andere Art von Aktivität, nicht gegen die eigene Person gerichtet, sondern gegen andere, wird frühzeitig von Kindern erworben, die der Meinung verfallen, als ob die anderen ihre Objekte wären, und die dieser Meinung dadurch Ausdruck geben, daß sie durch ihre Haltung das Gut, die Arbeit, die Gesundheit und das Leben der anderen bedrohen. Wie weit sie dabei gehen, hängt wieder vom Grad ihres Gemeinschaftsgefühls ab. Und man wird im Einzelfall immer wieder diesen Punkt zu berücksichtigen haben. Es ist begreiflich, daß diese durch Gedanken, Gefühle und Stimmungen, durch Charakterzüge und Handlungen ausgedrückte Anschauung vom Sinn des Lebens, die nie in wohlgefaßten Worten zutage tritt, ihnen das wirkliche Leben mit seiner Forderung nach Gemeinschaft schwierig macht. Die Empfindung der Feindlichkeit des Lebens bleibt bei dieser stets sofort Befriedigung verlangenden, als berechtigt gefühlten Erwartung nicht aus. Dazu kommt, daß diese Stimmung sich enge mit dem Gefühl des Beraubtseins verbündet, wodurch Neid, Eifersucht, Habgier und ein Streben nach Überwältigung des gewählten Opfers dauernd und in hohem Grade wach bleiben. Da das Streben nach nützlicher Entwicklung im mangelhaften Gemeinschaftsgefühl zurückbleibt, die starken Erwartungen, genährt durch den Überlegenheitstaumel, unerfüllt bleiben, sind Affektsteigerungen oft der Anlaß zu Angriffen auf andere. Der Minderwertigkeitskomplex wird dauernd, sobald das Scheitern auf der Linie der Gemeinschaft, in der Schule, in der Gesellschaft, in der Liebe fühlbar wird. Die Hälfte der zur Verbrechens­ausübung gelangenden Menschen sind ungelernte Arbeiter und haben schon in der Schule versagt. Eine große Anzahl der eingelieferten Verbrecher leidet an Geschlechtskrankheiten, einem Zeichen unzureichender Lösung des Liebesproblems. Ihre Genossen suchen sie nur unter ihresgleichen und bekunden so die Enge ihrer freundschaftlichen Gefühle. Ihr Überlegenheitskomplex stammt aus der Überzeugung, ihren Opfern überlegen zu sein und bei richtiger Ausführung den Gesetzen und ihren Organen ein Schnippchen schlagen zu können. In der Tat, es gibt wohl keinen Verbrecher, der nicht mehr auf dem Kerbholz hätte, als man ihm nachweisen kann, ganz abgesehen von den immerhin zahlreichen Verbrechen, die nie aufgedeckt werden. Der Verbrecher begeht seine Tat in der Illusion, nicht entdeckt zu werden, wenn er es nur richtig anfaßt. Wird er überführt, so ist er ganz von der Überzeugung in Beschlag genommen, eine Kleinigkeit versäumt zu haben, derzufolge er entdeckt wurde. Verfolgt man die Spuren der Verbrechensneigung zurück in das kindliche Leben, so findet man neben der frühzeitigen übel angewandten Aktivität mit ihren feindseligen Charakterzügen und neben dem Mangel Gemeinschaftsgefühl Organminderwertigkeiten, Verwöhnung und Vernachlässigung als die verleitenden Anlässe zur Entwicklung des verbrecherischen Lebensstils. Verwöhnung ist der vielleicht häufigste Anlaß. So wie eine Besserung des Lebensstils niemals ausgeschlossen werden kann, ist es auch nötig, jeden einzelnen Fall auf den Grad seines Gemeinschaftsgefühls zu untersuchen und die Schwere des exogenen Faktors in Betracht zu ziehen. Niemand unterliegt der Gefahr der Versuchung so leicht wie ein verzärteltes Kind, das darauf trainiert ist, alles zu bekommen, was es will. Die Größe der Versuchung muß genau erfaßt werden, die für den mit Verbrechensneigung Behafteten sich um so gefährlicher auswirkt, als er über Aktivität verfügt. Auch im Falle des Verbrechens ist es klar, daß wir das Individuum in seiner Bezogenheit zu den gesellschaftlichen Zuständen erfassen müssen. In vielen Fällen könnte das vorhandene Gemeinschaftsgefühl genügen, einen Menschen vom Verbrechen fernzuhalten, wenn nicht allzu große Anforderungen an sein Gemeinschaftsgefühl gestellt werden. Dieser Umstand erklärt es auch, warum unter schlechten Verhältnissen die Zahl der Verbrechen eine namhafte Steigerung erfährt. Daß dieser Umstand nicht die Ursache des Verbrechens ist, zeigt die Tatsache, daß in den Vereinigten Staaten in der Zeit der Prosperität ebenfalls ein Anstieg der Verbrechenszahl zu verzeichnen war, da die Verlockungen zu leichtem und raschem Reichtumserwerb zahlreich waren. Daß man beim Suchen nach Ursachen der Verbrechensneigung auch auf das schlechte Milieu in der Kindheit stößt, daß man in bestimmten Bezirken einer Großstadt eine Anhäufung von Verbrechen findet, läßt keineswegs den Schluß zu, als hätte man damit die Ursache gefunden. Es ist vielmehr leicht einzusehen, daß unter diesen Bedingungen eine gute Entwicklung des Gemeinschaftsgefühls nicht leicht zu erwarten ist. Man darf auch nicht daran vergessen, wie mangelhaft die Vorbereitung eines Kindes für sein späteres Leben ist, wenn es frühzeitig, sozusagen im Protest gegen das Leben,

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