Gesammelte Werke. Alfred Adler

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Gesammelte Werke - Alfred  Adler

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und bei der Stuhlverhaltung, was sicher bei Kindern mit weniger abgestumpftem Kitzelgefühl der Fall sein kann, oder in das parasitäre Leben der verwöhnt en Kinder, bei ihrer Bindung an die Mutter, ein aufkeimendes sexuelles Gefühl, so sind das Beigaben und Folgen, von denen in erster Linie verwöhnte Kinder bedroht sind. Das Festhalten aber an diesen Kinderfehlern wie auch an der kindlichen Masturbation verschiebt, meist nicht ohne daß dabei eine »Sicherung« des Bandes zwischen Mutter und Kind durch deren größere Aufmerksamkeit verstärkt wird (keine Abwehr etwa, wie Freud meinen Begriff der Sicherung fälschlich interpretiert hat), das Interesse des Kindes vom Wege der Kooperation, die aus verschiedenen Gründen vor allem wegen der Verwöhnung nicht erlernt wurde, auf den Weg des Suchens nach einer Erleichterung und Enthebung vom Mitleben. Der Mangel des Gemeinschaftsgefühls und das verstärkte Minderwertigkeits­gefühl, beide innig verknüpft, zeigt sich schon in dieser Phase des kindlichen Lebens deutlich, zumeist mit allen Charakterzügen als Ausdrucksformen eines Lebens in vermeintlich feindlicher Umgebung; Überempfindlichkeit, Ungeduld, Affektverstärkung, Lebensfeigheit, Vorsicht und Gier, letztere unter dem Anspruch auftretend, als ob alles dem Kinde gehören sollte.

      Schwierige Fragen im Leben, Gefahren, Nöte, Enttäuschungen, Sorgen, Verluste, besonders solche geliebter Personen, sozialer Druck aller Art, sind wohl immer im Bilde des Minderwertigkeitsgefühls zu sehen, meist in allgemein bekannten Affekten und Stimmungslagen, die wir als Angst, Kummer, Verzweiflung, Scham, Scheu, Verlegenheit, Ekel usw. kennen. Sie äußern sich im Gesichtsausdruck und in der Körperhaltung. Es ist, als ob der Tonus der Muskulatur dabei verloren ginge. Oder es tritt eine Bewegungsform zutage, die zumeist als Entfernung vom erregenden Objekt zu beobachten ist oder als Entfernung von den andauernden Fragen des Lebens. Die Denksphäre, ganz im Einklang mit dem Ziel des Entweichens, wirft dabei Rückzugsgedanken auf. Die Gefühls Sphäre, soweit wir davon Kenntnis gewinnen können, spiegelt zur Verstärkung des Rückzugs in ihrer Erregung und Erregungsform die Tatsache der Unsicherheit, der Minderwertigkeit. Das menschliche Minderwertigkeitsgefühl, das sonst im Vorwärtsstreben aufgeht, zeigt sich in den Stürmen des Lebens schon deutlicher, bei schweren Prüfungen deutlich genug. In jedem Falle verschieden im Ausdruck, stellt es, wenn man alle seine Erscheinungen dabei zusammenfaßt, den Lebensstil des einzelnen dar, der in allen Lebenslagen einheitlich zum Durchbruch kommt.

      Man darf aber nicht verfehlen, auch im Versuch der Überwindung obiger Regungen, im Sichaufraffen, im Zorn, auch schon im Ekel und in der Verachtung, eine durch das Ziel der Überlegenheit erzwungene Leistung eines aktiveren Lebensstils, angespornt durch das Minderwertigkeitsgefühl, zu sehen. Während die erstere Lebensform im Festhalten an der Rückzugslinie vom gefährdenden Problem zu den Formen der Neurose, der Psychose, zu den masochistischen Haltungen führen kann, wird man, abgesehen von neurotischen Mischformen, bei der letzteren Form viel eher, entsprechend dem Lebensstil, solche von größerer Aktivität (die nicht mit Mut verwechselt werden darf, der sich nur auf der gemeinschaftsfördernden Seite des Lebens findet), Selbstmordneigung, Trunksucht, Verbrechen oder eine aktive Perversion sehen. Daß es sich dabei um Neugestaltungen des gleichen Lebensstils handelt, und nicht um jenen fiktiven Prozeß, den Freud »Regression« nennt, liegt auf der Hand. Die Ähnlichkeit dieser Lebensformen mit früheren oder auch Einzelheiten derselben darf nicht als Identität angesehen werden, und die Tatsache, daß jedes Lebewesen den Fonds seiner geistigen und körperlichen Reichweite und sonst nichts zur Verfügung hat, nicht als Rückfall in ein infantiles oder urmenschliches Stadium. Das Leben fordert die Lösung der Aufgaben der Gemeinschaft, und so deutet jedes Verhalten immer in die Zukunft, auch wenn es aus der Vergangenheit die Mittel zum Ausbau seines Verhaltens nimmt.

      Immer ist es der Mangel an Gemeinschaftsgefühl, mag man ihm welchen Namen immer geben, wie Mitmenschlichkeit, Kooperation, Humanität oder gar Ideal-Ich, dem eine ungenügende Vorbereitung für alle Lebensprobleme entspringt. Diese mangelhafte Vorbereitung ist es, die angesichts des Problems oder mitten darin zu den tausendfachen Ausdrucksformen körperlicher und seelischer Minderwertigkeit und Unsicherheit Anlaß gibt. Dieser Mangel ruft ja auch schon früher Minderwertigkeitsgefühle aller Art hervor, die sich nur nicht so deutlich zeigen, wohl aber im Charakter, in der Bewegung, in der Haltung, in der durch das Minderwertigkeitsgefühl induzierten Denkweise und in der Abwegigkeit des Vormarsches Ausdruck finden. Alle diese Ausdrucksformen des durch den Mangel an Gemeinschafts­gefühl verstärkten Minderwertigkeitsgefühls werden offenbar im Moment des gefährlichen Problems, der »exogenen Ursache«, die in keinem Falle eines »typischen Fehlschlages« vermißt wird, mag sie auch nicht von jedem gefunden werden. Das Festhalten an den Erschütterungen, ein Versuch zur Erleichterung der drückenden Situation des schweren Minderwertigkeits­gefühls, eine Folge des unaufhörlichen Strebens, aus der Minussituation herauszukommen, schafft erst die »typischen« Fehlschläge. In keinem dieser Fälle aber wird der Vorzug des Gemeinschaftsgefühls bestritten oder der Unterschied zwischen »gut« und »böse« verwischt. In jedem dieser Fälle findet sich ein »Ja«, das den Druck des Gemeinschaftsgefühls betont, immer aber gefolgt von einem »Aber«, das stärkere Kraft besitzt und die nötige Verstärkung des Gemeinschaftsgefühls hindert. Das »Aber« ist in allen typischen und Einzelfällen verschieden. Die Schwierigkeit einer Heilung entspricht seiner Stärke. Am stärksten ist es im Selbstmord und in der Psychose ausgesprochen, Folgen von Erschütterungen, bei denen das »Ja« nahezu verschwindet.

      Charakterzüge wie Ängstlichkeit, Scheu, Verschlossenheit, Pessimismus charakterisieren den mangelhaft en Kontakt von langer Zeit her und werden bei strengerer Prüfung durch das Schicksal wesentlich verstärkt, erscheinen in der Neurose zum Beispiel als mehr oder weniger ausgeprägte Krankheitssymptome. Dasselbe gilt für charakteristisch verlangsamte Bewegung, die das Individuum immer im Hintertreffen zeigt, in einer auffallenden Distanz zum vorliegenden Problem. Diese Vorliebe für das Hinterland des Lebens ist durch die Denkweise und Argumentation des Individuums, gelegentlich durch Zwangsdenken oder durch unfruchtbare Schuldgefühle namhaft gesichert. Es kann leicht begriffen werden, daß nicht die Schuldgefühle die Distanz bewerkstelligen, sondern daß die mangelhafte Neigung und Vorbereitung der ganzen Persönlichkeit Schuldgefühle vorteilhaft findet, um den Vormarsch zu hindern. Die grundlose Selbstbeschuldigung wegen Masturbation zum Beispiel ergibt dafür einen geeigneten Vorwand. Auch der Umstand, daß jeder Mensch, wenn er auf sein Leben zurückblickt, manches gerne ungeschehen machen möchte, dient solchen Individuen zur gelungenen Ausrede nicht mitzutun.

      Fehlschläge wie die Neurose oder das Verbrechen auf solche trickhafte Schuldgefühle zurückführen zu wollen, heißt den Ernst der Situation verkennen. Die Richtung, die in Fällen mangelnden Gemeinschaftsgefühls eingeschlagen wird, zeigt immer auch das große Bedenken gegenüber einem Gemeinschaftsproblem, wobei die größere Erschütterung durch körperliche Veränderungen mithilft, andere Wege anzuweisen. Diese körperlichen Veränderungen bringen wohl den ganzen Körper in vorübergehende oder dauernde Unordnung, setzen aber zumeist Störungen der Funktion in auffallender Weise an solche Stellen, die, sei es infolge angeborener Organminderwertigkeit, sei es durch Überladung mit Aufmerksamkeit, auf die seelische Störung am stärksten antworten. Es kann sich die Funktions­störung im Schwund des Muskeltonus oder in einer Erregung desselben zeigen, in der Aufrichtung der Haare, in Schweißausbruch, in Herz-, in Magen- und Darmstörungen, in Atembeklemmungen, in Zuschnüren der Kehle, in Harndrang und in sexueller Erregung oder deren Gegenteil. Oft findet man die gleichen Störungen bei schwierigen Situationen innerhalb der Familie verbreitet. So auch Kopfschmerzen, Migräne, heftiges Erröten oder Erblassen. Durch neuere Forschungen, besonders durch die Cannons, Marannons und anderer ist es sichergestellt worden, daß an den meisten dieser Veränderungen das Sympathico-Adrenalinsystem hervorragend beteiligt ist, ebenso der kraniale und pelvische Anteil des vegetativen Systems, die demnach auf Emotionen aller Art in verschiedener Weise reagieren. Dadurch ist auch unsere alte Vermutung bestätigt, daß die Funktionen der endokrinen Drüsen, Schilddrüse, Nebenniere, Hypophyse und Geschlechtsdrüsen unter den Einflüssen der Außenwelt stehen, und daß sie entsprechend dem Lebensstil des Individuums auf seelische Eindrücke je nach deren subjektiv empfundenen Stärke antworten, im normalen Fall, um das körperliche Gleichgewicht herzustellen, bei mangelhafter Eignung des Individuums gegenüber den Lebensfragen in extremer, überkompensato­rischer Art.

      Das Minderwertigkeitsgefühl eines Individuums kann

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