Gesammelte Werke. Alfred Adler

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Gesammelte Werke - Alfred  Adler

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die ich als erster unter obigem Namen beschrieben habe, gibt vielfach den Anlaß zu Menstruationsstörungen und Funktionsstörungen in der Sexualsphäre, stammt immer aus der Unzufriedenheit mit einer Geschlechtsrolle, die schon in der Familie als untergeordnet aufgefaßt wurde, wird aber durch die Unvollkommenheit unserer Kultur wesentlich gefördert, die der Frau heimlich oder offen einen untergeordneten Rang zuzuweisen trachtet. So kann auch das Eintreten der Menstruation in manchen Fällen durch eine seelische Gegenwehr des Mädchens zu allerlei Beschwerden führen und eine mangelhafte Vorbereitung zur Kooperation verraten. Der »männliche Protest« in seinen vielfachen Protestformen, unter denen eine als Sucht, einen Mann zu spielen, auftritt und zu lesbischer Liebe führen kann, ist demnach als Überlegenheitskomplex aufzufassen, der sich über einem Minderwertigkeitskomplex aufbaut: »Nur ein Mädchen.«

      In der Zeit, die der Liebe gehört, kommen, gleichzeitig bei mangelhafter Vorbereitung für Beruf und Gesellschaft, auch andere Formen des Rückzugs vom sozialen Interesse in Sicht. Die schwerste Form ist wohl im jugendlichen Irresein zu sehen, einer nahezu vollkommenen Abschließung von den Forderungen der Gemeinschaft. Diese psychische Erkrankung steht mit Organminderwertigkeiten in Zusammenhang, wie Kretschmer gefunden hat. Seine Nachweise ergänzen meinen Befund von der Bedeutung der organischen Bürde im Beginne des Lebens, ohne daß der Autor der Bedeutung solcher minderwertiger Organe für den Aufbau des Lebensstils, wie die Individualpsychologie es tut, Rechnung getragen hätte. Auch der Verfall in die Neurose wird unter dem unaufhörlichen Druck der äußeren Umstände, die Vorbereitung zur Mitarbeit erfordern, immer häufiger, ebenso Selbstmord als perfekter Rückzug, gleichzeitig als komplette Verurteilung der Forderungen des Lebens in mehr oder weniger gehässiger Absicht. Trunksucht als Trick, sich auf unsoziale Weise sozialen Forderungen zu entziehen, ebenso Morphinismus und Kokainismus sind Versuchungen, denen der Mensch ohne Gemeinschafts­gefühl auf der Flucht vor den Gemeinschaftsproblemen, wenn sie in größerer Stärke auftreten, nur schwer widerstehen kann. Immer wieder wird man bei solchen Personen, wie den genannten, die große Sucht nach Verwöhnung und Erleichterung des Lebens nachweisen können, wenn man in diesem Verfahren genügende Übung hat. Das gleiche gilt für eine große Anzahl von Delinquenten, bei denen der Mangel an Gemeinschaftsgefühl bei vorhandener Aktivität, gleichzeitig auch der Mangel an Mut bereits in der Kindheit klar zu ersehen ist. Es kann nicht wundernehmen, daß in dieser Zeit auch Perversionen deutlicher werden, von ihren Trägern zumeist auf Heredität bezogen, wobei sie, wie auch viele Autoren, perverse Erscheinungen in der Kindheit als angeboren oder als durch ein Erlebnis erworben ansehen, während sie sich als Spuren eines Trainings in falscher Richtung erweisen, immer zugleich als deutliche Zeichen eines mangelnden Gemeinschaftsgefühls, das auch auf anderen Seiten ihres Lebens klar genug hervortritt. Weitere Prüfungen auf den Grad des Gemeinschaftsgefühls erfolgen in der Führung der Ehe, des Berufs, bei Verlust einer geliebten Person, anläßlich dessen das betroffene Individuum die ganze Welt verloren gibt, wenn es schon vorher an ihr keinen Anteil genommen hat, bei Verlust des Vermögens, bei Enttäuschungen aller Art, in der das Unvermögen der verzärtelten Person sich zeigt, den Einklang mit dem Ganzen in der angespannten Situation aufrechtzuerhalten. Auch der Verlust einer Stellung ruft viele nicht zum Anschluß an die Gemeinschaft auf, um Übelstände gemeinsam zu beseitigen, sondern stürzt sie in Verwirrung und zwingt sie, gegen die Gemeinschaft vorzugehen.

      Noch einer letzten Prüfung will ich gedenken, der Furcht vor dem Alter und vor dem Tode. Sie werden den nicht erschrecken, der sich seiner Unvergänglichkeit im Bilde seiner Kinder und im Bewußtsein seines Beitrags zur wachsenden Kultur gewiß ist. Man findet aber ungemein häufig als deutliche Ausprägung der Furcht vor restloser Austilgung raschen körperlichen Verfall und seelische Erschütterung. Besonders häufig findet man Frauen durch den Aberglauben an die Gefahren des Klimakteriums aufs äußerste betroffen. Jene besonders, die nicht in der Kooperation, sondern in der Jugend und in der Schönheit den Wert der Frau erblickten, leiden da in auffälliger Weise, geraten auch oft, in feindseliger Defensive wie gegen ein ihnen angetanes Unrecht, in Verstimmung, die sich bis zur Melancholie ausgestalten kann. Es ist für mich keine Frage, daß auf dem bisher erreichten Niveau unserer Kultur für alternde Männer und alternde Frauen noch nicht der gehörige Raum geschaffen ist. Ihn zu ermöglichen oder wenigstens ihn sich selbst zu schaffen, ist das unverbrüchliche Recht alternder Menschen. Leider wird bei vielen in dieser Zeit die Grenze ihres Willens zur Mitarbeit sichtbar. Sie übertreiben ihre Wichtigkeit, wollen alles besser verstehen, verharren im Gefühl der Verkürztheit, stören so die anderen und helfen noch jene Atmosphäre zu schaffen, die sie vielleicht vor langer Zeit immer befürchtet haben.

      Bei einiger Erfahrung und bei ruhiger, freundlicher Überlegung dürfte es jedem klarwerden, daß wir tatsächlich unausgesetzt durch die Fragen des Lebens auf den Grad unseres Gemeinschaftsgefühls geprüft, anerkannt oder verworfen werden.

      4. Das Leib-Seele-Problem

       Inhaltsverzeichnis

      Es kann heute keinem Zweifel mehr unterliegen, daß alles, was wir als Körper bezeichnen, ein Streben zeigt, ein Ganzes zu werden. Im allgemeinen kann das Atom in dieser Hinsicht mit der lebenden Zelle verglichen werden. Beide besitzen latente und manifeste Kräfte, die teils zur Abrundung und Begrenzung, teils zur Ansetzung anderer Teile Anlaß geben. Der hauptsächliche Unterschied liegt wohl im Stoffwechsel der Zelle gegenüber der Selbstgenügsamkeit des Atoms. Nicht einmal die Bewegung innerhalb oder außerhalb von Zelle und Atom bietet grundlegende Unterschiede. Auch die Elektronen sind nie im Ruhezustand und ein Streben danach, wie Freud es für seine Anschauungen vom Todeswunsch postuliert, kann nirgendwo in der Natur gefunden werden. Was beide am deutlichsten unterscheidet, ist der Assimilations � und Ausscheidungsprozeß der lebenden Zelle, die zum Wachstum, zur Erhaltung der Form, zur Vermehrung und zum Streben nach einer idealen Endform Anlaß gibt.

      Wäre die lebendige Zelle, gleichgültig woher sie gekommen ist, in ein ideales Milieu gesetzt gewesen, das ihr mühelos die ewige Selbsterhaltung garantiert hätte � ein freilich undenkbarer Fall �, so wäre sie sich stets gleichgeblieben. Unter dem Drucke von Schwierigkeiten, die man sich im einfachsten Falle nahezu physikalisch denken kann, mußte das, was wir unverstandenermaßen den Lebensprozeß nennen, zu irgendwelchen Abhilfen gedrängt werden. Die in der Natur gegebenen, sicherlich auch in der Amöbe vorliegenden tausendfachen Verschiedenheiten bringen günstiger gelagerte Individuen näher zum Erfolg und lassen sie die bessere Form und somit die bessere Anpassung finden. In den Billionen von Jahren, da Leben auf dieser Erde besteht, war offenbar Zeit genug, aus dem Lebensprozeß der einfachsten Zellen den Menschen zu gestalten, ebenso Myriaden von Lebewesen untergehen zu lassen, die der Wucht der Angriffe ihrer Umgebung nicht gewachsen waren.

      In dieser Auffassung, die grundlegende Anschauungen Darwins und Lamarcks verbindet, muß der »Lernprozeß« als ein Streben gesehen werden, das seine Richtung im Strome der Evolution durch ein ewiges Ziel der Anpassung an die Forderungen der Außenwelt erhält.

      In dieser Zielstrebigkeit, die niemals zu einem ruhenden Ausgleich kommen kann, da offenbar die fordernden und fragenden Kräfte der Außenwelt von Wesen, die von ihr geschaffen wurden, nie vollkommen beantwortet werden können, muß sich auch jene Fähigkeit entwickelt haben, die wir, von verschiedenen Seiten betrachtend, Seele, Geist, Psyche, Vernunft nennen, die alle ändern »seelischen Fähigkeiten« einschließen. Und obwohl wir uns bei Betrachtung des seelischen Prozesses auf transzendentalem Boden bewegen, dürfen wir, in unserer Anschauung fortfahrend, behaupten, daß die Seele als dem Lebensprozeß, und was immer wir unter diesem Prozeß zusammenfassen, zugehörig, den gleichen Grundcharakter aufweisen muß wie die Matrix, die lebende Zelle, aus der sie hervorgegangen ist. Dieser Grundcharakter ist in erster Linie in dem fortdauernden Bemühen zu finden, sich mit den Forderungen der Außenwelt siegreich auseinanderzusetzen, den Tod zu überwinden, einer idealen dazu geeigneten Endform zuzustreben und gemeinsam mit den dazu in der Evolution vorbereiteten Kräften des Körpers, in gegenseitiger Beeinflussung und Hilfe, ein Ziel der Überlegenheit, der Vollkommenheit, der Sicherheit zu erreichen. So wie in der evolutionären Entwicklung

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