Indischer Liebeszauber. Barbara Cartland
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»Warum sollte es böse sein? Ich wurde nicht gefragt, als ich in die Welt gesetzt wurde, also geht es auch niemanden etwas an, wenn ich mich entschließe, diese Welt zu verlassen.«
»Ich kann mir nicht denken, daß Ihr Vater, wäre er noch am Leben, diese Meinung teilen würde.«
»Papa wohl nicht... aber vielleicht würde Mama Verständnis für mich aufbringen.«
»Keiner der beiden würde gutheißen, daß Sie, die in Indien geboren wurden und den Namen einer der ranghöchsten Göttinnen tragen, den Versuch unternommen haben, Ihrem Karma zu entfliehen.«
Sita richtete sich auf und sah ihn aufmerksam an.
»Warum glauben Sie, daß es mein Karma sei, dieses jämmerliche Leben mit Onkel Harvey noch länger zu erdulden? Wären meine Eltern nicht beim Segeln ertrunken, dann wäre ich jetzt bei ihnen . . . und wenn ich sterbe, werde ich wieder bei ihnen sein.«
»Das weiß man nicht«, sagte ihr Gegenüber ruhig. »Sicher ist nur, daß man wiedergeboren wird, wenn man seinen Körper, der sehr kostbar ist, wegwirft. Sie würden also wiedergeboren und müßten alle Mühsal und Pein, die Sie jetzt erdulden, von neuem, vielleicht noch schlimmer, durchleben.«
»Was meinen Sie damit? Sprechen Sie von der Reinkarnation, der ewigen Wiedergeburt?«
Der Mann nickte ernst.
»Sie werden feststellen, daß dieses Wissen in Indien Allgemeingut ist, eine Wahrheit, die so greifbar scheint, daß Sie sich wundern werden, je daran gezweifelt zu haben.«
»Das glaube ich nicht!«
»Jede Wette, daß Sie mir eines Tages recht geben werden.«
»Ich besitze nichts, das ich verwetten könnte«, sagte Sita. »Onkel Harvey gibt mir kein Geld.«
Bei diesen Worten dachte sie daran, wie sie ihn fast auf Knien angefleht hatte, ihr ein wenig von ihrem eigenen Geld zu geben, damit sie sich für die Indienreise einkleiden konnte.
»Onkel Harvey, in Indien ist es sehr heiß«, hatte sie vorgebracht, »und ich habe nichts anzuziehen. In den Sachen, die ich habe, werde ich es nicht aushalten.«
»Das bißchen Geld, das dein kurzsichtiger Vater dir nach seinem Tod hinterließ, soll als Sicherung deiner Zukunft dienen«, lautete die Antwort ihres Onkels. »Ich werde nicht ewig leben und habe auch nicht die Absicht, dir etwas von meinem sauer verdienten Geld zu vermachen.«
Er musterte sie verächtlich.
»Du wirst auf eigenen Füßen stehen müssen, falls sich niemand findet, der dich heiratet... was ich für sehr wahrscheinlich halte. Was ich auf der Bank für dich angelegt habe, wird dich zumindest vor dem Hungertod bewahren.«
Das alles hatte Sita schon oft zu hören bekommen, doch es schmerzte sie jedes Mal aufs neue, daß ihr Onkel von ihrem Vater mit so großer Geringschätzung sprach, als habe dieser es absichtlich versäumt, ein Vermögen anzuhäufen.
Ihr Vater hatte kurz nach seiner Heirat seinen Abschied von der Armee genommen, weil er sich ein Leben als Offizier nicht mehr leisten konnte, und war nach England zurückgekehrt, um das kleine Landgut, das ihrer Mutter gehörte, zu bewirtschaften.
Daß sich seine Bemühungen als Fehlschlag erwiesen hatten, war nicht seine Schuld.
Es fehlte ihm an Startkapital und an Erfahrung, und der seit Jahren brachgelegene Boden hatte keine Erträge geliefert.
Dennoch waren sie in dem kleinen Gutshaus unweit des Dörfchens, in dem man ihrem Vater achtungsvoll als Gutsherr begegnete, sehr glücklich gewesen. Da Raymond Arran seine Frau über alles liebte, dachte er nur selten an sein Regiment und die Freunde, die er in Indien zurückgelassen hatte.
Trotz der ständigen Geldknappheit hatte er es verstanden, sein Leben zu genießen. Er hatte an den örtlichen Querfeldeinrennen teilgenommen und günstig erworbene Pferde zugeritten, mit denen er und seine Frau dann an den Jagden im Winter teilnahmen. Gelegentlich fuhren sie nach London und leisteten sich für zwei Wochen ein großzügiges und ausgelassenes Leben, so als drückten sie keinerlei Geldsorgen. Nach ihrer Rückkehr versuchten sie stets durch Sparsamkeit ihre Ausgaben wieder hereinzubringen.
Das kleine Gutshaus war von Heiterkeit und Liebe erfüllt gewesen, doch erst als Sita das in einem Londoner Vorort gelegene gruftartige Haus ihres Onkels kennenlernte, wußte sie, was sie verloren hatte.
Allmählich gelangte Sita zu der Auffassung, ihr Onkel behandele alle Menschen wie Verbrecher, weil er in Indien jahrelang das Richteramt ausgeübt hatte. Seine Haltung ihr gegenüber ließ sich beim besten Willen nicht anders erklären.
Darüber hinaus war er ein Frauenhasser, der in seiner Nähe kein weibliches Wesen dulden wollte.
Erst als er entdeckte, daß er sich Sitas Intelligenz zunutze machen konnte, ließ er sich dazu herab, bei Tisch zuweilen das Wort an sie zu richten. Schließlich verlangte er, daß sie für ihn arbeitete, doch jeder Fehler, der ihr unterlief, brachte ihn zur Raserei. Erst hatte er sie nur angebrüllt, dann heftig geschüttelt und am Ende geschlagen.
Da ihre Eltern nicht ein einziges Mal die Hand gegen sie erhoben hatten, konnte Sita es zunächst kaum fassen. Allmählich wurde ihr klar, daß seine Wut sich nicht allein gegen sie richtete, sondern gegen sein eigenes Schicksal. Er war wütend und frustriert, weil sein Alter ihn daran hinderte, ein Leben zu führen wie in Indien, wo er ein hohes Ansehen genossen hatte.
Weil er zwanzig Jahre lang in Indien gelebt hatte, besaß er in England nur wenige Freunde, und die, die er hatte, fanden ihn furchtbar langweilig.
So kam es nicht von ungefähr, daß Sir Harvey Arran, der sich einsam und ausgestoßen fühlte, Haß auf sein Leben entwickelte und diesen Haß an einem wehrlosen Opfer abreagierte. Und dieses Opfer war Sita, die unter seinem Zorn verging wie eine Blume ohne Sonne.
Als der Brief eintraf, in dem Sir Harvey gebeten wurde, nach Hyderabad, dem Ort seines früheren Wirkens, zu kommen und den Nizam in einer sehr komplizierten rechtlichen Angelegenheit zu beraten, war er hocherfreut.
»Ich wußte ja, daß man ohne mich nicht auskommt«, sagte er. »Ich wußte, daß man mich wieder brauchen wird. In der gesamten Provinz gibt es niemanden, der über meinen Verstand oder meine juristischen Kenntnisse verfügt.«
Zwei Tage lang wirkte er verjüngt und beinahe menschlich. Er wählte die Bücher aus, die er mitzunehmen gedachte, und seine Diener machten sich daran, die Tropenkleidung hervorzuholen, die seit seiner Rückkehr sorgsam verstaut gewesen war.
Irgendwann fragte Sita voller Nervosität: »Soll ich hierbleiben, Onkel Harvey . . . während du in Indien bist?«
Ihr Onkel starrte sie an, als fiele ihm erst jetzt ihre Existenz wieder ein.
»Natürlich . . . wohin solltest du wohl gehen?«
Dann dachte er daran, daß sie ihm bei seinem Buch half und seit einem Jahr seine Korrespondenz erledigte. Es war nützlicher und einfacher, Sita mitzunehmen, als mit einer Fremden von vorne zu beginnen.
»Nein, du kommst mit! So kannst du dir weiterhin etwas verdienen und mich für die Unkosten entschädigen, die du mir Tag für Tag bescherst«, knurrte er also.