Erdsegen: Vertrauliche Sonntagsbriefe eines Bauernknechtes. Peter Rosegger
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Am nächsten Tag vagabundierte ich weiter. Ins Gebirge ging’s, ins schöne. Bei Kailing rechts den Fluß entlang ins obere Rechthal und gegen den Almgai. Den eingeleisigen Weg, der gepflastert war mit einem Brei von Kot und jungem Schnee, nennen diese Schönfärber eine Straße. Ohne auf derselben liegen zu bleiben, halbverhungert von barmherzigen Wegelagerern totgeschlagen und in aller Stille unter eine Moosdecke gelegt zu werden, bin ich weiter gekommen. Ganz lebendig sprach ich bei einer einschichtigen Bauernwirtschaft vor. „Die Witwe dort braucht einen Knecht“ hatte man gesagt.
Die Witwe, ein frisches, schneidiges Weib, ließ sich nicht spotten.
Wie alt ich wäre?
„Zwanzig! Die fünfzehn Schuljahre nicht mitgerechnet, weil sie verlorne Zeit sind.“
Darauf lacht sie, setzt aber das Examen unbarmherzig fort.
Wozu ich zu brauchen wäre?
„Bäuerin, mir ist keine Arbeit zu schlecht und keine zu gut.“
Wieviel Lohn ich begehre?
„Mit allem zufrieden.“ — Bezahlt, Meier, weißt du, werde ich von einer andern Seite.
Das schien aber der Witwe höchst verdächtig vorzukommen — mit allem zufrieden. Sie mochte mit den Dienstleuten die Erfahrung gemacht haben: mit nichts zufrieden. Ich aber that mein Menschentum auseinander. Die Arme und Beine bog ich nicht mehr krumm, das Rückgrat zog ich in die Länge, den Nacken hielt ich stramm und in die Augen that ich Zündhütchen, gerade zum Losbrennen, falls sie sagte: „Du gefällst mir!“ — Verliebt hat sie sich einstweilen aber nicht in mich, hat es nur gelassen und schief über die Achsel her gesagt: „Nau, halt ja. Jeder wird es selbst am besten wissen, was er wert ist. Ich brauch jetzt niemand.“
Siehst du! Hätte ich achtzig Gulden Jahrlohn verlangt, ein ganzes Tuchgewand mit Stierlederschuhen und fünfmal Fleisch die Woche, so dürfte sie mich gekauft haben. Nur geschenkt wollte sie mich nicht. Ein verschlagener Holzknecht, mit dem ich nachher unterwegs davon sprach, hat mich darauf gebracht.
Die Gegend ist eigentlich ganz verdammt. Die Berge an beiden Seiten steil und schwarz wie umgestülpte Riesenkohlenkörbe; die Schluchten so enge, daß eine Heufuhr und ein Dickschädel nicht füreinander können. Ich weiß nicht, vor ein paar Jahren, damals auf der touristischen Querwanderung, ist mir das Ding alles viel hübscher vorgekommen. — Hoch oben bei den letzten Hütten, so wurde mir gesagt, hätten sie alleweil zu wenig Dienstleute, weil keiner bleiben wolle, der dort nicht festgewachsen ist wie Zerbenholz. Und sogar das Zerbenholz wartet sehnsüchtig auf Lawinen, um thalwärts zu kommen und dort etwa durch einen Kunsttischler zu feinpolierten Kommodeurs, Chiffonneurs und Sekretärs avancieren zu können. Unbegreiflicher Weltlauf: um emporzukommen, geht man niederwärts! — Nur bei mir scheint es umgekehrt zu sein. Doch wartet, wartet!
Gestern abends bin ich in ein winterliches Hochthal gekommen. Eine senkrecht aufsteigende Felswand hatte sich schon lange vorher in meinen Gesichtswinkel gestellt, und wie ich durch den Waldgraben dazu komme, steht an der Wand ein Dorf. Zerstreut liegende Häuser aus Rohmauern, Hütten aus Holz, auch ein paar Großhöfe, und weiterhin, wo Seitengräben ins Gebirge ziehen, Holzsägen und Kohlenweiler. Ein wenig abseits hinter der Wand auf der Böschung steht die Kirche mit dem spitzen Türmlein, daneben der Pfarrhof, unterhalb beim Bache das Schulhaus. Zwei Wirtshäuser sind natürlich auch da, mit dicken Mauern und vielen kleinen Fenstern — doch, ich verfalle in meine alte Schwäche schriftlicher Landschaftsmalerei. Unsinn! Mit Wörtern will man Bilder malen, heutzutage, und mit Farben Gedanken ausdrücken. In einem dieser Wirtshäuser kann man auch Tabak haben, in die Lotterie setzen und Herberge nehmen. Das letztere habe ich gethan. Der Ort heißt Hoisendorf und soll weitum als Mittelpunkt der Welt gelten. Es war die Rede davon, als sich auf der Ofenbank ein ruppiger Waldbär meldete. Er goß ein Gläschen Schnaps hinter den Bartfetzen und röchelte daraufhin, daß er bei den Kaiserlichen gewesen sei und daß die Wienerstadt wenigstens zehnmal größer wäre, als Hoisendorf. Worauf die Wirtin ihn einen Prahlhansen hieß. Auf dem Wandschrank lag ein Buschen Zeitungen, ich suchte mir aus Langeweile die neueste Nummer hervor. Und weißt du, wo sie jetzt sind, die guten Hoisendorfer, mit ihren Neuigkeiten? Bei der Ermordung des Präsidenten Carnot am 25. Juni 1894. Die Weltgeschichte, bis sie in Wochenblättern und Kalendern ins Hinterland dringt, ist gut abgelegen. Hingegen wird nichts mehr dementiert.
Soeben geht der Kurier ab. ’s ist der Bandelkrämer mit drei Füßen, wovon einer hölzern und zwei gichtisch sind. Das ist die Post nach Kailing, die gleichzeitig auch den Güterverkehr besorgt. Wahrlich, das ist das Majestätische an diesem Volke — es hat’s nicht eilig. Es kann warten, es steht fest. — Der Dreifuß nimmt sie mit, diese Epistel von eurem noch immer vacierenden
Bauernknecht.
Dritter Sonntag
Adamshaus, am dritten Sonntage.
An Herrn Doktor Stein von Stein, den Herausgeber der „Kontinental-Post“!
Ich zerschmettere dich, Imperator! Ich bin Bauernknecht! Mein Aufenthaltsort im Adamshause bei Hoisendorf, Almgai — wohin auch die „Kontinentale“ zu schicken ist. Für den Nachruf in der letzten Nummer danke ich recht schön. Bis das Jahr sich kreist, wird euch der Spott vergehen. Für weiteres bin ich jetzt nicht aufgelegt.
H. T.
An Herrn Professor Simruck
An Herrn Professor A. Simruck, Dr. phil. in M.
Adamshaus im Almgai, am 17. Januar 1897.
Lieber, alter Freund!
Dem Zeitungsschreiber war dein Neujahrsgruß vermeint gewesen, jetzt hat der Brief an zwei Wochen im Lande umhergesucht, und wo findet er deinen Hans? Ich bitte dich, denke nicht gleich an Verrücktheit oder dergleichen. Es geschieht heutzutage so viel Kluges auf der Welt, das weitaus närrischer ist, als die aufgelegteste Verrücktheit. Nach Kreuz- und Krummfahrten kam dein Brief eines Tages zu einem halbeingeschneiten Bauernhause des Gaigebirges, eine Stunde und darüber vom letzten Weiler entfernt. In diesem Einödhofe lebt dein Adressat, und zwar als Stallknecht, eingestanden für das ganze Jahr. Es ist kein Faschingsscherz, es ist leidiger Ernst. Schenke mir nur Geduld, daß ich mich dir aussprechen kann.
Jetzt erst danke ich dir, Alfred, daß du unsere Schulbankfreundschaft hochgehalten hast bis zum heutigen Tag, denn ich bin unglaublich einsam geworden. In den Wochentagen werde ich meine Arbeit haben als herben Kameraden; vor der Sonntagsruhe nur bangt mir, wenn das thörichte Herz nach einem brüderlichen Mitdenker und Mitfühler schreien wird, und es ist nichts ringsum, als ein armes einfältiges Hausgesinde, das mit seiner eigenen Lebensnot zu thun hat. Und weiter nichts, als der kalte Winter und die starren Berge. In solchen Stunden laß mich zu dir flüchten, du lieber, herzgoldener Kerl, daß ich mich schriftlich ausplaudere, ausfluche, auslache, vielleicht auch —. Nein, weinen werde ich nicht, das habe ich mir vorgenommen. Was ich dir allsonntägig zuschreiben werde, kann ich ja heute nicht wissen, was es auch sei, aufrecht will ich stehen. Mühe wird’s