Gesammelte Werke. Джек Лондон
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In dieser Nacht muß der Sturm seinen Höhepunkt erreicht haben, aber ich achtete nicht darauf. Auf dem Achtersitz übermannten mich Müdigkeit und Schmerzen, und ich schlief ein.
Am Morgen des vierten Tages war der Sturm zu einem leisen Hauch gesunken. Die See beruhigte sich, und die Sonne schien auf uns herab. Oh, diese gesegnete Sonne! Wie wir unsere armseligen Körper in ihrer köstlichen Wärme badeten! Wir lebten auf wie Käfer und Gewürm nach einem Unwetter. Wir lächelten wieder, sagten lustige Dinge und erörterten hoffnungsvoll unsere Lage. Tatsächlich war sie schlimmer als je. Wir waren weiter von Japan entfernt als in der Nacht, da wir die Ghost verlassen hatten. Dazu konnte ich Längen- und Breitengrade nur ganz ungefähr erraten. Wenn ich annahm, daß wir in den siebzig Stunden, die der Sturm gedauert hatte, zwei Meilen in der Stunde gemacht hatten, mußten wir mindestens hundertfünfzig Meilen nach Nordost getrieben sein. Stimmte diese Berechnung aber? Es konnten ebensogut vier wie zwei Meilen in der Stunde gewesen sein! Dann waren wir noch hundertfünfzig Meilen weiter in der falschen Richtung gekommen. Wo wir uns befanden, wußte ich nicht, sehr wahrscheinlich aber in der Nähe der Ghost.. Rings um uns her gab es Robben, und ich erwartete jeden Augenblick, einen Robbenschoner auftauchen zu sehen. Am Nachmittag, als der Nordwest wieder aufgekommen war, sichteten wir einen. Aber das fremde Fahrzeug verlor sich bald hinter dem Horizont, und wir waren wieder allein auf dem weiten Meere.
Es kamen Nebeltage, an denen selbst Maud den Mut verlor und keine frohen Worte mehr über ihre Lippen kamen, Tage mit Windstille, da wir auf der unermeßlichen Meeresfläche dahintrieben, bedrückt von ihrer Größe und voller Staunen über das Wunder, daß wir in unserem winzigen Boot noch lebten und um unser Leben kämpften, - Tage mit Hagel, Wind und Schneegestöber, an denen nichts uns warm zu halten vermochte; Tage mit feinem Sprühregen, an denen wir unsere Wasserfässer von dem tropfenden Segel zu füllen versuchten.
Und immer mehr lobte ich Maud. Obwohl ich mich tausendmal bezwingen mußte, um ihr nicht meine Liebe zu erklären, wußte ich doch, daß dies nicht der Zeitpunkt für eine solche Erklärung war. Wenn aus keinem anderen Grunde, so schon allein deshalb, weil die Frau, die ich liebte, sich unter meinem Schutz befand. So schwierig die ganze Lage auch war, schmeichelte ich mir doch, meine Liebe durch kein Zeichen zu verraten. Wir waren gute Kameraden und wurden es mit jedem Tage mehr.
Eines überraschte mich an ihr: ihr unerschütterlicher Mut. Das furchtbare Meer, das zerbrechliche Boot, Stürme, Leiden und Einsamkeit - alles das würde genügt haben, eine kräftigere Frau zu erschrecken, aber es schien keinen Eindruck zu machen auf sie, die das Leben nur von seiner lichtesten Seite kennengelernt hatte und die trotz ihres feurigen Temperaments und ihres erhabenen Geistes doch sanft und zart war. Und doch stimmte das nicht ganz. Sie fürchtete sich wohl, aber sie überwand ihre Furcht durch ihren moralischen Mut. Wohl war ihr Fleisch schwach. Aber ihr Geist, diese ätherische Lebensflamme, ruhig wie ihre Augen und sicher seiner Fortdauer im Universum, beherrschte das Fleisch.
Wieder kamen Sturmtage, Tage und Nächte des Schreckens, an denen uns der Ozean mit seinen brüllenden weißen Schaumwipfeln bedrohte und der Wind unser ringendes Boot mit Titanenfäusten packte. Und immer weiter wurden wir geschleudert, immer weiter nach Nordosten. In einem solchen Sturm, dem schlimmsten, den wir überhaupt erlebt hatten, warf ich zufällig einen Blick nach Lee. Was ich sah, konnte ich zunächst kaum glauben. Diese schreckensvollen, schlaflosen Tage und Nächte hatten mich zweifellos wirr gemacht. Ich blickte auf Maud, um mich von der Wirklichkeit von Zeit und Raum zu überzeugen. Der Anblick ihrer lieben, feuchten Wangen, ihres fliegenden Haares und ihrer tapferen braunen Augen bewies mir, daß meine Augen gesund waren. Wieder wandte ich den Blick leewärts, und wieder sah ich den vorspringenden Felsen, schwarz, hoch und nackt, die rasende Brandung, die sich an seinem Fuße brach und ihren Gischt hoch hinaufschleuderte, und die schwarze, unheilverkündende Küstenlinie, die, von einem mächtigen Gürtel umgeben, nach Südwesten lief.
„Maud", rief ich, „Maud!"
Sie wandte den Kopf und schaute. „Es kann doch nicht Alaska sein!" stieß sie hervor.
„Leider nein", antwortete ich und fragte: „Können Sie schwimmen?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich auch nicht", sagte ich. „Dann müssen wir eben an Land, ohne zu schwimmen. Es muß ja irgendwo eine Lücke zwischen den Klippen sein, durch die wir mit dem Boot hineinkönnen. Aber es gilt, schnell zu sein, sehr schnell - und aufzupassen."
Ich sprach mit einer Zuversicht, die ich, wie sie wohl wußte, nicht besaß, denn sie sah mich mit ihrem ruhigen Blick an und sagte: „Ich habe Ihnen noch nicht gedankt für all das, was Sie für mich getan haben, aber..."
Sie zögerte, als wäre sie im Zweifel, wie sie ihre Dankbarkeit am besten in Worte kleiden sollte.
„Nun?" sagte ich hart, denn es war mir nicht recht, daß sie mir danken wollte.
„Sie können mir gern ein wenig helfen", lächelte sie.
„Ihre Verpflichtungen anzuerkennen, ehe Sie sterben? Sicher nicht. Wir werden nicht sterben. Wir werden auf dieser Insel landen und es warm und gemütlich haben, ehe der Tag vergeht."
Ich sprach fest, glaubte aber selbst kein Wort davon. Aber es war nicht die Furcht, die mich lügen ließ. Ich fühlte keine Furcht, obgleich ich sicher war, den Tod in der kochenden Brandung zwischen diesen Felsen zu finden, denen wir uns rasch näherten. Es war unmöglich, Segel zu setzen und von der Küste abzukommen. Der Wind hätte das Boot sofort zum Kentern gebracht, es würde vollgeschlagen sein, sobald wir in ein Wellental gesunken wären, - zudem schwamm das Segel, an die Reserveriemen gezurrt, als Seeanker vor uns.
Instinktiv rückten wir auf dem Boden des Bootes enger zusammen. Ich fühlte, wie sich ihre Hand nach der meinen ausstreckte. Und so erwarteten wir wortlos das Ende. Wir waren nicht weit von der Linie, die der Wind mit der westlichen Ecke des Vorgebirges bildete, und ich beobachtete sie in der Hoffnung, daß irgendeine Strömung uns packen und vorbeiführen sollte, ehe wir die Brandung erreichten.
„Wir werden schon klarkommen", sagte ich mit einer Zuversicht, die aber weder mich noch sie täuschte.
„Bei Gott, wir kommen klar!" rief ich fünf Minuten später. Ich hatte hinter dem Vorgebirge eine Landzunge gesichtet, und als wir weit genug waren, konnten wir deutlich die Umrisse einer Bucht sehen, die tief ins Land hineinschnitt. Gleichzeitig hörten wir ein andauerndes, ohrenbetäubendes Gebrüll. Es glich fernem Donner und kam aus Lee, übertönte das Brausen der Brandung und fuhr dem Sturm geradewegs in die Zähne.
Als wir auf der Höhe des Vorgebirges waren, kam die ganze Bucht zum Vorschein - eine halbmondförmige, weißsandige Küste, an der sich die Brandung brach und die mit Myriaden von Seehunden bedeckt war. Sie waren die Urheber des Gebrülls.
„Eine Robbenkolonie!" rief ich. „Jetzt sind wir wirklich gerettet. Hier muß es Menschen geben und Kreuzer, die die Robben vor den Jägern schützen. Wahrscheinlich ist hier sogar eine Station." Als ich aber die gegen die Küste schlagende Brandung beobachtete, sagte ich: „Schön ist das nicht gerade. Aber wenn die Götter uns freundlich sind, werden wir die Landzunge entlangtreiben und an eine Stelle kommen, wo wir trockenen Fußes das Land erreichen können."
Und die Götter waren uns freundlich. Die beiden ersten Landzungen liefen genau in der Windrichtung, als wir aber die zweite umfahren hatten - und wir kamen ihr gefährlich nahe -, erblickten wir eine dritte, die parallel zu ihnen lief. Und dazwischen lag die Bucht! Sie schnitt tief ins Land ein, und die jetzt einsetzende Flut trieb uns hinter die Landzunge. Hier war die See ruhig, außer einer schweren, aber sanften