Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald

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Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald

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ein Spuk. Jene sind warmblütige Wesen, von großen, furchtbaren Leidenschaften getrieben; der Teufel fand Grund und Boden, um seine Saaten auszustreuen. In dieser fand er nur eine Negation. Selbstsucht und Eitelkeit haben alles Göttliche und Menschliche aufgezehrt, und es steht nichts vor uns als ein hohles Scheinbild, dem man alle Lumpen umhängen kann, weiße und schwarze. Das Diabolische ist ihr nicht angeboren; kaum mögen wir in ihrem späteren Tun ihre Tatkraft eine diabolische nennen. Nichts von Affekt, nichts von Leidenschaft, kein Hohn, kein Haß, keine Rache. Nicht die kalte, selbstische Berechnung, welche gerade die Nächsten und Liebsten hinopfert, um zu einem Zwecke zu kommen. Ein einziger hat sie vielleicht gekränkt, beleidigt, ihr erster Mann: sie hat keinen Groll gegen ihn. Gift befreite ihn von einem kläglichen Dasein; eine Mörderin konnte sich der Selbsttäuschung hingeben, daß sie ihm eine Wohltat erzeigte. Auch daran hatte sie nie im Ernste gedacht. Nur und allein, um durch seinen Tod zu gewinnen, vergiftete sie ihn wie die anderen. Sie kennt keine Bande der Liebe und des Hasses, und dieselbe Gleisnerei, die von keinem Unglück hören kann, ohne Tränen zu vergießen, die die Leidenden aufsucht, die Kranken pflegt, kann ohne die geringste Regung die fürchterlichsten Qualen ihrer Opfer ansehen, ohne Mitgefühl zu empfinden. Sie, die vor dem geringsten körperlichen Schmerze zittert, kann kaltblütig diese Qualen noch durch neue Giftdosen erhöhen. Und sehen wir, wie sie an fünfzehn Opfern dieses Wesen treibt, wie alle ihre Gifttränke den beabsichtigten Erfolg haben und sie doch vor der Welt dasteht als eine tugendhafte Frau, als ein liebliches, gefeiertes Wesen, als eine christliche Dulderin, so hätte allerdings ein früheres Zeitalter an einen seelenlosen Kobold, an ein Dunstbild habe denken können, das ein boshafter Zauberer ins Leben setzte mit der Kraft, alles zu scheinen und nichts von allem zu sein. Aber sie ist kein Werkzeug einer dämonischen Macht: sie ist eine Spekulantin im Dienste ihres Egoismus. Alles an ihr ist Berechnung. Das Dämonische liegt nur darin, wie alle ihre mit dem äußersten Leichtsinn unternommenen Handlungen glücken, ohne entdeckt zu werden; wie sie Leichenberge um sich häufen kann, und kein Auge sieht durch die Nacht; mit den allergewöhnlichsten Verstellungskünsten täuscht sie den Argwohn der Kläger und der Menge. Und nun, als die erste Entdeckung erfolgt ist, ist damit alles entdeckt. Sie hat nicht mehr die Kraft, die Lügen zu fassen, und die ganze Lügenerscheinung sinkt wie ein Dunstbild zusammen, das eben nur durch die Einbildungskraft und Täuschung den anderen groß und furchtbar war.

      Gleichwohl läßt sich der Trieb zum Vergiften nicht wegleugnen. Nur war er kein ursprünglicher, angeborener. Erst im Verlauf ihrer Verbrecherschicksale wuchs er und wurde so stark, bis er sie überwältigte. Sie ist schuld daran; nicht finstere Mächte, böse Dämonen, sie selbst impfte sich ihn ein. Sie kommt dafür und für seine Wirkungen auf; auch wenn er sie später in einer Art fortriß und zu Taten bewog, daß wir bei uns sprechen müssen, es ist unmöglich, daß sie dies bei gesunder Vernunft tat. Der Durst, der Kitzel, die Befriedigung suchten, schweiften ins Gebiet des Unbegreiflichen; aber es ist uns sehr begreiflich gemacht, wie dieser Durst und Kitzel entstanden sind. Sie fühlte sich unruhig und ängstlich, wenn sie eine Weile keinen Arsenikvorrat besaß, und ihr ward erst wieder wohl, wenn die Kruke Mäusebutter in ihrem Schranke stand. Ihre letzte Kruke nahm sie mit in den Kerker!

      Aber diese Egoistin verschwendete nicht die köstliche Gabe zu spielerischen Zwecken; es war fast bei allen ihren Gaben eine bestimmte Absicht da. Selten geschah es aus zornigen oder rachsüchtigen Gefühlen. Nur zuletzt, als nach so vielem Glück und Greuel doch kein sichtliches, greifbares Resultat für sie da war, als Sorge und Not ihr drohten, als sie einsam dastand, von furchtbaren Gespenstern geneckt und umgeben, da schweifte auch ihr Sinn in der Irre umher, und wie eine Trunkene oder am Leben Verzweifelnde vergiftete sie darauf los, wen und wie es traf, nur um Beschäftigung zu haben und in der Beschäftigung Vergessenheit ihrer selbst zu finden.

      Am 17. September 1830, im dritten Jahre ihrer Verhaftung und der Berge von Akten auftürmenden Untersuchung, erfolgte die Verurteilung der Gottfried durch das Bremer Obergericht zum Tode mittels des Schwertes.

      Ihre Gesundheit, geschwächt durch die stete Furcht vor einem plötzlichen, gewaltsamen Tode, hatte sich in der letzten Zeit wieder gebessert. Völlig unvorbereitet ward sie am 18. September zur Entgegennahme des Urteils abgeholt. Aber beim Eintreten in den Saal fiel ihr falkenartig umherspähendes Auge auf ein Gefäß, dessen Inhalt sie sogleich richtig erriet. Es war Essig zum augenblicklichen Schutze gegen eine Ohnmacht. Sie wußte nun, ehe ein Wort gesprochen war, was ihr bevorstand. Sie bekam, nach ihrem Bekenntnis, keinen wirklichen Schreck, aber ein heftiges Beben und innerlicher Frost überfielen sie. Sie erklärte, daß sie dieses Urteil und noch weit mehr verdient habe, weshalb sie es mit Dank annehme.

      Dennoch appellierte sie und bemühte sich in Briefen und Gesprächen, ihren Verteidiger von ihrer guten Gesinnung zu überzeugen; das heißt, sie wünschte alle ihre Missetaten ins schönste Licht gesetzt zu sehen und den Beweis ihrer Unzurechnungsfähigkeit weitergeführt. Aber dieser bemerkt, daß ihr Schmerz nach wie vor selbstischer Natur geblieben sei. Es zeigte sich keine Spur von einem Gefühl geistiger Hilfsbedürftigkeit. Im Gegenteil bemerkte er eine gewisse Sattheit und Selbstzufriedenheit, die in frömmelnden Redensarten ihre Blößen verbarg.

      Das Gericht besorgte einen Selbstmord, und deshalb ward sie von nun an unter steter Bewachung von fünf Frauen, die sich abwechselten, gehalten. Diesen Frauen gegenüber sprach sie sich ungezwungener, charakteristischer aus als gegen Geistliche, Richter und Verteidiger. Vergebens hatte sie um Befreiung von dieser Bewachung gebeten; sie schloß daraus auf ihr nahe bevorstehendes Ende. Dem Tode auf dem Schafott zuvorzukommen, versuchte sie sich durch Hunger selbst ums Leben zu bringen. Alle dagegen angewandten Mittel schlugen fehl; vergebens stellte ihr Doktor Dräseke auch vor, daß sich dieser Vorsatz nicht mit ihrer vorgegebenen Religiosität vereinen lasse. Die Natur half selbst. Wenn der Hunger aufs höchste gestiegen war, verlangte sie doch noch etwas Bouillon und Apfelmus. Nur die letzten acht Tage genoß sie gar nichts.

      Die fünf Frauen sagten einstimmig, in der letzten Zeit sei die Gottfried immer schlechter geworden, immer »gallichter«, »häßlicher«, »unartiger«. Sie las auch nicht mehr zum Scheine in den Erbauungsbüchern. Sie betete nie und klagte nie über ihre Sünden. Die heuchlerisch-demütige Kreatur ward jetzt, da sie sah, daß alle ihre Verstellung nichts half, frech und bitter gegen die Beamten und Richter: die Bewachung habe ihr ein Gallenfieber zugezogen; es fehle nur, daß man sie auch noch fessele; es sei unausstehlich, wie viele Besuche man zu ihr lasse usw. Sogar noch gegen die fünf Frauen heuchelte sie; denn sie gab jeder einzelnen den Vorzug vor der anderen und schmähte auf die Abwesenden.

      Sie hoffte aufs bestimmteste, noch vor ihrer Hinrichtung aus Schwäche zu sterben, und verordnete für diesen Fall, daß man ihr den Mund zubinden solle, damit er nicht so häßlich offen stehe. Dann möchte man ihr den Todesschweiß abwischen und sie mit einem Bettlaken bedecken, daß sie nicht zum Schauspiel würde, wenn man sie die Treppe hinuntertrage. Trotz dieser Todesgedanken und -vorbereitungen hatte sie das feinste Ohr für alles, was im Gefängnis vorfiel; sie horchte durch die Mauern, kannte die Gefangenensprache, interessierte sich aufs lebhafteste für die männlichen Gefangenen und hätte gern die Kupplerin gespielt für ihre Liebschaften; denn auch diese werden in den Kerkermauern gepflogen.

      Ein besonderes letztes Interesse erregte ihr die Gefangensetzung einer anderen Frau, die des Giftmordes an ihrem Gatten beschuldigt war. Sie versuchte durch die Wände den Antworten bei deren erstem Verhör zuzuhören und äußerte dann: »Die teufelt sich davon los. Wenn ich hätte so sprechen können, so wäre ich auch freigekommen.«

      Der Erteilung des Abendmahls wich sie, indem sie Krankheit vorschützte, noch aus, und Doktor Dräseke mußte mehrere Male unverrichteter Sache fortgehen. Im übrigen versuchte sie auch jetzt noch die Fromme zu spielen und prunkte vor allen, die sie besuchten, mit salbungsvollen biblischen Sprüchen, die sie immer zur Hand zu haben schien.

      Am 14. April 1831 wurde ihr das unter dem 6. April ergangene Urteil des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck, welches das Bremer Urteil lediglich bestätigte, eröffnet. Keine sonderliche Bewegung ward an ihr sichtbar; doch ließ sie es sich wiederholen, worauf sie Tränen vergoß und erklärte,

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