Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald

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Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald

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Schmerz der Todesstrafe, und ihr ganzes heuchlerisches Drehen und Wenden ging dahin, sich die Möglichkeit vorzuspiegeln, daß es nicht zum Ärgsten kommen werde. Daher rührt ihr Bemühen, mit sich selbst und den Richtern schön zu tun und sich in dem Lichte einer unfreiwillig Handelnden, einer von bösen Dämonen Verführten, unbewußt und unwiderstehlich Geleiteten darzustellen. Daher kommt bei den gräßlichsten Geständnissen die große Scheu, wo es einen Nebenumstand zu bekennen galt, der die Rache einer angesehenen Person oder Familie auf sie hätte herbeiziehen können, als möchte, wenn sie den oder jenen nenne oder einräume, auch ihm ein Leid zugefügt zu haben, ihre Strafe verstärkt werden. Daher bekannte sie früher die Kindermorde als die ihrer Eltern, Ehemänner und Freunde. Sie vermeinte, auf ihre Kinder ein Recht zu haben, und daß daher wegen ihrer Ermordung weniger als bei den anderen Ermordeten dritte Personen als Rächer auftreten würden. Die Sündenlast, auch als sie ausgesprochen war, drückte sie nicht nieder; vor allem aber hielt sie die Hoffnung aufrecht, daß die vornehmen Herren und die Richter, gegen welche sie so demütig war, sie mit dem Tode verschonen möchten. Sie bat und stellte anheim, ob man sie nicht zur Abbüßung ihrer so großen Vergehen im Gefängnis belassen und ihr als Strafe Magddienste in demselben auftragen wolle. Die Verzögerung der Untersuchung, die lange schwebende Pein waren ihr ein Trost; sie konnte vergnügt sein und zufrieden, daß es so wurde, wie einige der Herren ihr vorausgesagt hatten, nämlich daß der Prozeß sich auf Jahre hinausziehen werde. Ihre einzige und fürchterliche Angst war, daß doch plötzlich die Türe rasseln und der Henker eintreten möchte, um sie zum Richtplatz abzuholen. Sie zitterte nicht, wenn in ihrer Gegenwart die Leichen der von ihr Gemordeten ausgegraben wurden, der Modergeruch war nicht zu angreifend für ihre Nerven; aber sie gab sich allen Ernstes dem Gedanken hin, daß man sie mit den Leichen zusammenbinden; in eines der Gräber werfen, mit kochendem Wasser überschütten und dann lebendig begraben werde! Ja, als wilde Tiere in Bremen gezeigt wurden, zitterte sie vor der Vorstellung, die zuweilen in den Glauben überging, man werde sie dem Publikum zur Genugtuung diesen Tieren lebendig vorwerfen.

      Ihre Schlauheit bewährte sich in dem von ihr angenommenen Verteidigungssystem. Mochte von dem dichterisch-philosophischen Fatalitätsspuk, der in jenen Jahren im Schwunge war, etwas in die Pelzerstraße nach Bremen gedrungen sein, daß auch die Gescha, ihrer abergläubischen Mutter Kind, davon erfahren hatte? Ihr Glaube war gewiß nicht stark, es war nur ein Mittel, die härteste Anklage von sich abzuwenden, vielleicht auch sich selbst zu stärken. Sie wollte sich darstellen als eine Unglückliche, der finstere Mächte den Trieb in ihre Wiege gelegt hatten. Mit Schlauheit wußte sie ein unbedeutendes Faktum als Motiv zu benutzen. Sie habe nämlich eine schlechte Amme gehabt, und ihre Mutter habe immer gesagt, daß des verruchten Menschen Milch ihr geschadet habe. Bei der Untersuchung ergab sich indessen nicht mehr, als daß die Amme etwas heftiger Gemütsart gewesen und einmal im Zuchthause gesessen habe.

      Es lag in diesem Verteidigungssystem, daß sie die näherliegenden Motive ihrer einzelnen Taten möglichst entfernte, um immer wieder auf den unwiderstehlichen Trieb zurückzukommen. So redete sie mit der äußersten Liebe, ja Zärtlichkeit von allen ihren Opfern; sie zerfloß in Tränen, wenn sie ihrer gedachte, und dichtete den teuern, werten Personen gute Eigenschaften an, damit es unwahrscheinlicher werde, daß sie ihre Opfer bei gesunden Sinnen habe vergiften können. Selbst ihren ersten Mann, der erweislich ein Taugenichts und ein wüster Mensch gewesen war, konnte sie nicht genug wegen seiner Liebenswürdigkeit rühmen. Es gehörte die langwierigste und strengste Untersuchung dazu, um die selbstischen Beweggründe der einzelnen Verbrechen ans Licht zu stellen, um die Heuchlerin aus ihrer Schanze herauszuschlagen und wieder in die gemeine Verbrechersphäre zu treiben, in die sie gehörte. Ohne diese genauen Ermittlungen über die Motive ihrer Giftmorde und die sie begleitenden Verbrechen wäre es denkbar gewesen, daß Ärzte und Richter vereint auch ein moralisches Scheusal wie die Gottfried dem Gesetze hätten entziehen können.

      Alle ihre Reue war nur Scheinwerk, Lug und Trug, vor den Menschen wie vor sich selbst. Vergebens suchten ihre Richter, ihr Verteidiger, vergebens die Geistlichen die Saat der Erkenntnis und der Buße in ihr Herz zu streuen: sie schlug nicht Wurzel, da kein Feld für sie war. Sünde und Eitelkeit hatten den fruchttragenden Boden gänzlich fortgespült. Was im Tränenwasser aufkeimte, waren Scheinblüten, die sofort wieder hinwelkten. Allerlei Heuchelei ließ sie spielen, um mit sich und den Machthabenden schön zu tun. Sie bat um die frommen, schönen Bücher und hielt sie auch aufgeschlagen vor sich, wenn jemand eintrat; es war aber in jedem Falle wahrscheinlich, daß sie nicht darin gelesen hatte.

      Die Eitelkeit hielt sie auch in den Kerkermauern in ihren Ketten. Es war ein schrecklicher Moment für sie, als ein Maler sie zeichnete, sie, das eingefallene, hagere Gerippe im Friesrock. Jemand lobte beim Malen ihre Nase. »Da ist doch etwas Gutes an mir!« rief sie. Als später ein zweiter Maler ein gelungenes Bild entwarf, war sie sehr zufrieden und äußerte, nun würde sie doch nicht wieder wie das erstemal um den Spottpreis von achtzehn Groten in den Gassen ausgeboten werden. Sie schätzte es als die größte Humanität, daß man ihr vergönnt habe, statt der gewöhnlichen Gefängniskleidung ihren seidenen Jumper zu tragen, den sie auch trotz Lumpen und Flicken durch die Jahre ihrer Gefangenschaft anbehielt. Des Nachts schlief sie ohne Laken, um dieses des Morgens rein über ihr Bett breiten zu können, wenn Besuch käme.

      Daß ein solches hohles Wesen die Strafe als eine notwendige Vergeltung und Sühnung ihrer Schuld betrachten solle, war nicht zu erwarten. Das Unsichtbare rächte sich für diese Verleugnung durch furchtbare Visionen, die die Verbrecherin gespensterhaft bei Nacht und Tage ängstigten. Sie gibt selbst darüber in ihren schriftlichen Mitteilungen die genauesten Nachrichten. So sieht sie, während der Polizeikommissar bei ihr ist, als sie aus dem Fenster blickt, einen großen schönen Saal mit einem schönen Schreibpult und einem Tisch mit Kaffeeservice; die beiden Söhne des ermordeten Kleine gehen im Saale auf und nieder, und deren Schwester will mit einer langen Nase auf die Verbrecherin zu. Sie ruft den Kommissar herbei, der natürlich nichts sieht. Ein andermal sitzt der alte Kleine in einer Wolke auf dem Kirchturm und droht ihr. Am häufigsten erblickte sie den blinden achtzigjährigen Herrn Meyerholtz, dem sie seine einzige Stütze und Ernährerin, seine Tochter, geraubt hatte, ohne die Barmherzigkeit geübt zu haben, auch ihn zu vergiften, und ein andermal den armen Küfer Schmidt und sein Kind, die traurig auf einer Wiese sitzen; denn sie hat ihnen ihr Liebstes und das Einzige gemordet, was für sie Wert auf Erden hatte. Das Totenantlitz des alten Herrn Kleine in Hannover verließ sie fast nirgends; die Söhne rannten ihr nach, und der eine schleuderte sie bei den Haaren auf den Schinderkarren. Zuweilen werden die Visionen poetisch; so ist sie einmal in der Kirche, aber als sie sich niedersetzen will, stehen alle Leute auf und gehen weg. Einmal sieht sie Zimmermann, ihren verlobten Bräutigam, in einem schönen Laden totenblaß stehen. Als sie eintritt, reicht er ihr ein ganz schmutziges Gesangbuch mit den Worten: »Suche hierin deinen Trost, mein Gesangbuch ist verloren.« In der Regel offenbart sich aber nichts Geistiges und Sinniges in den Erscheinungen, es sind nur Larven, um sie zu erschrecken.

      Diese Visionen wurden oft so arg, daß sie nachts aufsprang und himmelhoch bat, daß man Wächter in ihrer Zelle lasse. Auch mußte die Frau des Gefangenenwärters ihr Gardinen vor das Fenster machen, weil die Gespenster immer von außen zu ihr kämen! Die Angst nach solchen Erscheinungen bewog sie auch zu Geständnissen, gegen welche sie sich früher gesträubt hatte. Sie hatte die scheußliche Frechheit gehabt, ihren seligen Vater zu verleumden, daß er es gewesen sei, der sie zum Vergiften angeleitet und ihr den Auftrag gegeben hätte, Miltenberg zu ermorden; ja er habe seinem eigenen kleinen Kinde mit den Fingern die Hirnschale eingedrückt und noch viele andre Greueltaten verübt. Die Geister, die ihr erschienen, zwangen sie hier, wie in anderen Fällen, die Wahrheit zu bekennen. Aber auch in diesen Visionen spielte ihre Eitelkeit und Verkehrtheit mit. So erscheint ihr ihr vergifteter erster Mann, der Wüstling Miltenberg, als ein anderer Heiland an der Hand Doktor Dräsekes, reicht ihr die Hand und spricht: »Ich will dich erretten und seligmachen, und du sollst mich preisen.«

      Wir mögen fragen: Bedarf es noch einer Charakteristik dieses Weibes? Ihr Verteidiger hat sich durch die Lebensgeschichte der Gottfried ein großes Verdienst erworben, vielleicht auch bei denen, um deren Dank es ihm nicht zu tun ist; er hat aus der Erscheinung der Verbrecherin alles Spukhafte entfernt und das Menschliche der Verbrecherin

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