Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald
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Noch war freilich ihr Vertrauen darauf gerichtet, aus Schwäche vor der Hinrichtung zu sterben. Zusammengekauert lag sie im Bette, stumpfsinnig das Unvermeidliche erwartend. Vom Lesen und Beten mochte sie nichts hören; sie sei zu schwach dazu, und kurz erklärte sie allen, die sie befragten, Gottes Barmherzigkeit sei größer als alle Sünden, und niemand könne mehr tun, als sein Leben hingeben, noch dazu, wenn er es gern gebe.
Als die Hoffnung, an Schwäche zu sterben, fehlschlug, beschäftigte sie sich nur mit den Äußerlichkeiten der Hinrichtung. Zwar nahm sie nun endlich nach vielem Aufschub das Abendmahl, doch ohne inneres Verlangen, nur durch äußere Rücksichten genötigt. Ihre Toilette war viel wichtiger. Als man ihr im Gefängnis einige Tage vorher zum ersten Male einen Spiegel gab, erschrak sie heftig, wie sie jetzt aussehe und wie sie gealtert sei. Sie wollte nicht wieder hineinsehen. Sie lieh sich eine Haube von der Gefangenenwärterin, und da sie ihr nicht weiß genug war, bat sie die Frau, sie vorher in ihrem Garten noch etwas zu bleichen.
Am 19. April erfuhr sie, daß sie am nächsten Morgen hingerichtet werden solle. Sie erkundigte sich genau nach dem Ort und der Stunde und versicherte, sie habe alles gestanden und keinen mehr vergiftet, als die auf der Liste ständen; ihr Herz sei ganz rein! Überhaupt kamen nur selbstgefällige Äußerungen über ihre Lippen, ein flüchtiger Scherz mit dem Gefangenenknecht, ein Gelüst nach Johannisbeeren und Apfelsinen.
Das gleißende Gewand äußerer Leutseligkeit entfiel ihr mehr und mehr, je näher die Todesstunde kam. Sie ward einsilbig und antwortete kaum. Noch bis zur letzten Stunde gab sie die Hoffnung nicht auf, daß sie an dem Gallenerbrechen, das ihre Schwäche erhöhte, sterben möchte. Morgens um fünf Uhr erschien der Geistliche und fand sie noch schlafend. Als man sie endlich weckte, war sie nicht weniger als erfreut über den Besuch, forderte Wein zum Trinken und Einreiben, Kaffee und andere Kleinigkeiten, ohne daß ihr Sinn sich besonders mit dem Prediger beschäftigt hatte.
Eine neue Angst stieg in ihr auf vor dem offenen Wagen, in dem sie transportiert werden sollte. Sie fürchtete, den Exzessen des Pöbels ausgesetzt zu sein. Man beruhigte sie, indem man ihr sagte, daß ein Polizeidiener neben ihr sitzen werde. Ihr Anzug beschäftigte sie fast allein in der letzten Stunde. Aus ähnlichem Grunde ließ sie den Geistlichen, der einen zweiten Besuch machen wollte, nicht vor. Sie zog sich selbst an und ließ sorgsam den Kragen der Jacke abschneiden, damit Platz zum Schwertstreich werde. Die neuen Schuhe von grober Arbeit, die man ihr hinstellte, wies sie mit Abscheu von sich und gab sich erst zufrieden, als eine Frau ihr ein Paar leichte Zeugschuhe brachte; aber die schwarzen Strümpfe, die ihr geliefert wurden, zog sie über ihre alten grauen, um ihre Waden dadurch mehr hervorzuheben.
Noch kam ein furchtbarer Moment für das eitle Weib. Man wußte, wie sie sich gegen das übliche Totenkleid, ein weites, weißes Gewand mit schwarzer Einfassung und gleichen Bändern und Schleifen, sträuben würde. Und deshalb ward es ihr erst hereingebracht, als sie schon aufrecht stand, unterfaßt von zwei Dienern der Gerechtigkeit. Ihre Augen verdrehten sich auf furchtbare Weise, als sie das Kleid zu Gesicht bekam, und sie seufzte tief auf, als man es ihr über den Kopf warf, faßte sich aber doch und zupfte es zurecht.
Schnell und ohne Rührung nahm sie Abschied von den Frauen; als aber Dräseke den Augenblick wahrnahm und plötzlich an sie herantrat, wandte sie sich mit den Worten um: »Ihnen will ich nicht adieu sagen«. – »Und mir willst du nicht adieu sagen?« sprach der Geistliche. Sie antwortete rasch: »Na, dann will ich Ihnen auf ewig adieu sagen.« – »Nein, nicht auf ewig«, erwiderte Dräseke tief bewegt, sprach noch einige Worte der Ermahnung und weinte bitterlich. Jetzt stürzten auch ihre Tränen hervor; sie hielt ihr weißes Tuch vor das Gesicht und wankte die Treppe hinunter.
In äußerlich vollkommener Haltung saß sie während des ganzen Weges zur Richtstatt auf dem Leiterwagen, den sie ohne große Unterstützung bestiegen hatte. Ihre Hände hatte sie schon bald von dem Stricke, der scheinbar darum geschlungen worden war, befreit, und sie hielt während der ganzen Fahrt krampfhaft die Hand des neben ihr sitzenden Polizeidieners.
Im Angesicht des Marktplatzes war das Schafott aufgeschlagen, elf Fuß hoch, schwarz behangen. Ihm gegenüber, sechs Fuß hoch, stand die ebenfalls schwarze Tribüne zur Hegung des hochnotpeinlichen Halsgerichts. Auf jene hinaufgehoben, hörte sie, dem Gerichte gegenüber, mit sichtbarer Angst, doch ohne Tränen die Vorlesung des Todesurteils. Nachdem von dem Senator der Stab über ihrem Haupte zerbrochen und sie dem Scharfrichter übergeben worden war, reichte sie dem Gerichte zum Abschied ihre Hand, nahm einen guten Trunk Weins und wankte dem Schafott zu. Zierlich faßte sie beim Aufsteigen auf die Treppe das Gewand. Als sie oben den für sie bestimmten Lehnstuhl sah, stierte, so wird uns vom Verteidiger berichtet, »ihr Blick wild umher, ein satanisches Leben, ein Feuer der Hölle blitzte aus dem sonst erloschenen Augapfel hervor«. Da der zur Aufrechterhaltung des Kopfes bestimmte Riemen nicht passen wollte, vergingen noch einige Minuten. Die Knechte stießen den kraftlos übersinkenden Kopf wiederholt durch Stöße unter das Kinn empor, bis ein kräftiger Hieb das Haupt vom Körper trennte.
Die vorige Stille verwandelte sich in ein lautes Rufen der zahllos Versammelten. Der Scharfrichter nahm das weiße Tuch, welches die Gerichtete auf ihrem Schöße liegen hatte, und wischte damit das Blut vom Schwerte.
Bei der Sektion des Leichnams – er ward auf dem Schinderkarren fortgefahren – ergab sich eine vollkommen regelmäßige Struktur aller edlen Körperteile und zugleich die völlige Gesundheit der Verbrecherin. Ihre Schwäche war nur die Folge des versuchten Hungertodes. Nur durch das unerhört gewaltsame Schnüren waren die Brustknochen emporgetrieben.
In dem Museum in Bremen wurde noch lange der Kopf der Gottfried in Spiritus, ihr Skelett in einem Schranke aufbewahrt.
John Sheppard
1724
Der kühnste Dieb, den London je gesehen hat, war Jac Sheppard. Sein Lebenslauf war kurz; erst zweiundzwanzig Jahre alt, hatte er ihn 1724 schon vollendet: aber sein Angedenken ist von längerer Dauer; es lebt noch heute im Volke, in der Kriminalistik und in der Literatur.
Für uns besonders hat er Bedeutung als Repräsentant einer großen Gaunerklasse der englischen Hauptstadt; durch Geschick, Witz, Verwegenheit und ein seltenes Glück in den allergefährlichsten Fluchtversuchen erhob er sich schon im Knabenalter über seine Jahre und erwarb sich einen Namen, der der englischen Sittengeschichte angehört. Die Dichtung hat ihn in der Art behandelt, wie sie oft Räuber zu Helden erhob; unsere Aufgabe ist es, diesen geborgten Lustre abzustreifen und die Wirklichkeit, welche aus den erhaltenen Aktenstücken sehr deutlich erhellt, wieder herzustellen. Auch da bleibt noch genug Ungewöhnliches übrig, und das natürliche Bedauern stellt sich ein, daß solche außerordentliche Kraft keine Wege fand, sich für das Gemeinwohl zu äußern.
Alle seine Diebstähle, Einbrüche, Straßenüberfälle aufzuzählen, liegt außer unserm Zweck; seine Bedeutung erhält er erst durch sein Ende, zu dem wir deshalb in möglichster Kürze hinübereilen wollen.
Am Strande wohnte ein wohlhabender Tuchhändler, William Kneebone. Im Sommer 1724 erhielt er die heimliche Warnung, daß gefährliche Diebe in seinen Laden einzubrechen beabsichtigten. Solche Warnungen kamen nicht selten vor, zuweilen waren es nur Mystifikationen, hinter denen sich andere Absichten verbargen, zuweilen verriet ein unzufriedener Spießgesell seine Gefährten. Kneebone traf seine Maßregeln. Er ließ seine Leute im Hause wachen, die verkappten Wächter gingen auf der Straße auf und ab. Es blieb still, die Diebe waren gewarnt. Dennoch glaubte gegen