Luisas Chance. Carola Wegerle

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Luisas Chance - Carola Wegerle edition Carola Wegerle

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begriffen, dass ihre Freundin den Zettel noch gar nicht entdeckt hat. Sie packt Luisa am Handgelenk und zieht sie energisch zum Schwarzen Brett.

      „Da!“ Aufgeregt deutet Verena auf ein schlichtes Schwarz-Weiß-Blatt, auf dem Luisa zwei Masken erkennen kann. Sie reißt die Augen auf:

      14- oder 15-jähriges Mädchen für kleine Rolle im Stadttheater gesucht. Offenes Vorsprechen am 2. September um 15 Uhr.

      Übermorgen!

      „Was ist ein offenes Vorsprechen?“, wundert sich Luisa.

      Verena zuckt die Achseln. „Ruf doch mal dort an“, schlägt sie vor. „Da steht die Telefonnummer.“

      Luisa vergisst ihre 4-5, den Regen und das Ziehen im Zahn. Sie schreibt sich die Nummer auf. Die drei Schulstunden, die dann folgen, bekommt sie nicht so recht mit. Denn ihr Herz erfindet gerade einen ganz eigenartigen Beat, den es hartnäckig weiterentwickelt, während ihre Gedanken spazieren gehen. In den Fotos, die sie in dem Buch über Eleonora Duse gesehen hat.

      Sie läuft von der Bushaltestelle nach Hause, als wollte sie für die Olympiade trainieren. Dadurch ist sie erstmal nicht so ganz in der Lage, ihren Namen deutlich zu nennen, als sie beim Theater anruft. „Ich bin 13, äh, 14 - Jahre alt und – möchte bei – Ihnen vorsprechen.“

      Angestrengt lauscht sie in den Hörer. „Nein, ich – ich bin nicht aufgeregt. Gar nicht.“

      Ein offenes Vorsprechen, sagt die Dame vom Theatersekretariat, ist ein Termin, zu dem jeder, der Lust hat, einfach hingehen kann. „Ohne Anmeldung.“

      „Oh“, sagt Luisa. „Und wo bekomme ich den Text?“

      Die Dame lacht. „Du bist ja schon ein richtiger Profi“, meint sie. „Die fragen auch immer nach dem Text. Aber übermorgen brauchst du keinen. Der Regisseur möchte, dass du improvisierst. Dabei kann er besser sehen, ob du für die Rolle geeignet bist.“

      „Oh“, sagt Luisa wieder und bedankt sich. Improvisieren. Ob sie das kann? Nervös kaut sie auf einer Haarsträhne he- rum. Und überhaupt, was soll sie anziehen? Was ist denn das eigentlich für eine Rolle? Sie weiß ja gar nichts darüber. Ob sie im Theater ein Kostüm bekommt?

      „Mama!“, ruft sie, aber dann überlegt sie es sich anders. Sicher hätte ihre Mutter eine gute Idee, was sie anziehen könnte, aber was, wenn sie ihr nicht erlaubt, zum Vorsprechen zu gehen? Die Mama geht gern ins Theater und hat auch Luisa oft mitgenommen, schon als Kind ins Weihnachtsmärchen, aber würde sie sich freuen, wenn ihre Tochter in einem Stück mitspielte? Was für ein Stück ist das überhaupt? fragt sich Luisa. Sie hat vergessen, danach zu fragen. Was, wenn sie sich ausziehen soll? Letztes Jahr war sie mit ihrer Mutter im Sommernachtstraum, immerhin ein Stück von Shakespeare, und da waren einige Schauspieler nackt. Zwar nur ganz kurz, und dunkel war es auch, aber sie waren nackt. Luisa schüttelt sich. Das könnte sie nicht!

      „Verena!“, ruft sie ihrer Freundin entgegen, mit der sie Mathe lernen will. Verena ist gut in Mathe. Und sie hilft gern.

      „Verena! Was mach‘ ich, wenn die sagen, ich muss mich ausziehen?“

      Verena lacht. „Na, dann ziehst du dich eben aus“, sagt sie gelassen, „ist doch nicht so schlimm, oder?“

      Luisa blickt sie groß an.

      „Doch“, sagt sie leise.

      „Ach was“, meint Verena, „zieh‘ einfach einen BH und ein hübsches Höschen an und stell‘ dir vor, du stehst im Bikini am Strand.“

      „Blödsinn“, mault Luisa. „Am Strand haben alle Badesachen an, im Theater sind die anderen aber angezogen.“

      „Außer euch Vorsprecherinnen“, kichert Verena. „He“, sagt sie dann, als sie Luisas düsteres Gesicht sieht, „jetzt mach‘ dir mal nicht in die Hosen. Ein Theater ist doch kein Pornofilm.“

      Luisa verschluckt sich vor Entrüstung.

      „Geh‘ einfach hin, und wenn du keine Lust auf das hast, was die von dir wollen, gehst du eben wieder. Du bist schließlich ein freier Mensch.“

      4

      Luisa atmet tief durch. Sie ist ein freier Mensch! Die Straße zieht sich. Sie hätte mit dem Bus zum Theater fahren können, aber heute braucht sie Bewegung und frische Luft und ein paar Minuten für sich, um Mut zu tanken.

      Dann steht sie vor dem Theatereingang. Das große Portal zwischen den weißen Säulen ist geschlossen. Ein Schild hängt da: Vorsprechen. Darunter ist ein Pfeil, der nach links weist. Luisa steigt die Treppe aus weißem Marmor wieder hinab und geht links am Gebäude entlang. Weitere Schilder weisen ihr den Weg. Wie bei einer Schnitzeljagd, denkt sie. Sie muss einen großen Hof überqueren. Und dann weiß sie, wo sie hinmuss: Eine Gruppe junger Mädchen steht vor einem schlichten modernen Eingang mit einer Glastür. An der Tür hängt noch ein Schild, auf dem Vorsprechen steht, aber ohne einen Pfeil darunter. Luisa sieht genauer hin: Die Mädchen sind alle älter als sie! Der mühsam getankte Mut fließt schnell wieder aus ihr hinaus, auf die Pflastersteine des Hofs. Sie hat ihre Lieblingsjeans angezogen und ein rotes T-Shirt ohne je-den Aufdruck, weil sie sich plötzlich wegen der Sätze und Bilder auf ihren Shirts genierte. Die Mädchen, die da stehen, tragen knappe Hüfthosen, über denen Tattoos und nackte Bäuche schimmern. Und die Tops sind so knapp, dass sie auch als Bikini-Oberteile durchgehen könnten. Geschminkt sind sie, und viele rauchen.

      Luisas Beine sind plötzlich schwer wie Blei. In Zeitlupe nähert sie sich dem Eingang. Die Tür geht auf, und ein blondes Mädchen kommt heraus. Sie stolpert über die Schwelle, weil sie High Heels trägt. Luisa staunt: so hohe hat sie ja nicht mal in Modeheften gesehen! Jetzt beginnt die Blondine zu schluchzen, dann hängt sie einem der Mädchen, die vor der Tür stehen, am Hals. Sicher die Freundin, denkt Luisa. Wenn nur Verena bei mir wäre! Wieso hat sie eigentlich ihre Freundin nicht gebeten mitzukommen? Ein braunhaariges Mädchen lächelt Luisa an. „Kommst du auch zum Vorsprechen? Geh‘ einfach rein.“ Das Mädchen hat dunkel geschminkte Augen. Aber sie sieht trotzdem nett aus, findet Luisa. Eine rotblonde, die knallenge Caprihosen trägt, wirft ihr einen schrägen Blick zu.

      „Kindercasting ist erst morgen“ sagt sie mit quäkender Stimme, bevor sie losprustet. Zwei, drei andere Mädchen lachen mit.

      Luisa bekommt keine Luft mehr. Sie spürt einen feuerroten Ball, ganz unten in ihrem Bauch, der hoch zu ihrem Herzen steigt und dann noch höher, bis zu ihrem Hals, und dann poltern sie heraus, die Wörter, die sie später ziemlich dumm findet: „Hau doch ab!“ Aber danach kann sie wieder frei atmen, und das gibt ihr Energie, genug Energie, um die Tür zu öffnen und hindurchzugehen.

      „Guten Tag“, sagt eine junge Frau, die hinter einem Tisch sitzt, der rechts an der Wand steht. „Füll‘ das bitte aus.“

      Sie schiebt Luisa ein Blatt Papier zu. Zögernd nimmt Luisa es in die Hand. Größe, Haarfarbe, Alter liest sie, Adresse, Instrumente, Sport, Agentur.

      „Agentur?“, fragt sie verunsichert.

      „Das ist nur für die Berufsschauspieler. Die haben alle eine Agentur“, klärt die junge Frau sie auf. Sie ist aufgestanden und hat jetzt eine Kamera in der Hand. Nein, oder doch? Tatsächlich, eine total altmodische Polaroidkamera. Damit macht sie ein Foto von Luisa, und als Luisa den Zettel ausgefüllt hat, klebt sie das Foto darauf.

      „Du

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