Garten der Sehnsucht. Barbara Cartland
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Garten der Sehnsucht
Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2018
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
1 ~ 1882
Als der Zug anhielt, stellte Solita mit einem Blick nach draußen fest, daß sie an ihrem Ziel angelangt war.
Ihr Koffer befand sich im Abteil. Das hatte ihr der Gepäckträger geraten, als sie ihm gesagt hatte, wohin die Reise gehen sollte.
»Das ist nur eine Bedarfshaltestelle, Miss«, hatte er gebrummt, »da kommt der Packwagen nicht bis zum Bahnsteig.«
Was damit gemeint war, wurde ihr jetzt klar, als sie das winzige Bahnhofsgebäude und den Bahnsteig erblickte, der nicht viel länger war als ein Eisenbahnwagen.
Sie stieg aus und überließ es einem ältlichen und klapprig wirkenden Dienstmann, ihren Koffer aus dem Abteil zu heben.
In diesem Augenblick tauchten zwei adrett livrierte Lakaien auf dem Bahnsteig auf und strebten dem Wagen neben ihrem zu.
Offensichtlich wollten sie jemanden abholen, der im selben Zug angereist war wie sie, stellte sie bei sich fest, ohne sich sonderlich dafür zu interessieren. Sie wandte sich an den Dienstmann, der ihren Koffer auf dem Gepäckkarren zum Ausgang rollte.
»Besorgen Sie mir bitte eine Mietdroschke.«
»So was gibt’s hier nicht«, lautete die Antwort.
Solita glaubte ihm erst, als sie vor dem Gelände der Bahnstation nur zwei Kutschen stehen sah.
Die eine war ein flotter gelber Phaeton mit schwarzlackierten Rädern, der von zwei Rappen gezogen wurde. Bei der anderen handelte es sich um einen Break mit offenem Verdeck, der zur Beförderung der Dienerschaft und des Gepäcks benutzt wurde.
Unschlüssig stand sie da und wußte nicht, was sie tun sollte. Dann hörte sie, wie der Zug abfuhr, und sah einen Gentleman vom Bahnsteig kommen.
Er war eine eindrucksvolle Erscheinung hochgewachsen, breitschultrig und elegant gekleidet mit einem leicht schrägsitzenden Zylinderhut auf dem dunklen Haarschopf.
Ohne Hast ging er auf den Phaeton zu und war im Begriff einzusteigen, als Solita ihre Stimme wiederfand.
»Verzeihung, Sir«, sagte sie, »aber da es für Fremde offenbar keine Möglichkeit gibt, hier wegzukommen, möchte ich Sie bitten, mich bis zum Schloß Calver mitzunehmen.«
Der Fremde, der bereits den rechten Fuß gehoben hatte, um die Kutsche zu besteigen, hielt in der Bewegung inne und drehte sich zu ihr um. Der Ausdruck seiner Augen verriet Überraschung, als sein Blick sie erfaßte.
»Tut mir leid, Sie belästigen zu müssen«, sagte sie verlegen, »aber ich weiß wirklich nicht, wie ich sonst zum Schloß kommen soll.«
»Sie sind dort zu Gast?«
»Eigentlich nicht. Aber ich muß Seine Gnaden, den Herzog, unbedingt sprechen.«
Der Fremde zögerte, schien dann aber zu einem Entschluß zu kommen, denn er sagte: »Dann werde ich Sie natürlich zu ihm bringen.«
»Vielen Dank.«
Solita lief rasch um die Kutsche herum und kletterte leichtfüßig auf den Beifahrersitz. Der Fremde hielt bereits die Zügel in der Hand. Kaum hatte sie Platz genommen, da ließ der Pferdeknecht die Pferde, die er am Kopf festgehalten hatte, los und rannte nach hinten, um sich auf den Außensitz zu schwingen.
Der Phaeton setzte sich in Bewegung.
Eine grüne Landschaft tat sich vor ihnen auf. An den Bäumen sprossen bereits die ersten Blüten, und hinter den Hecken blühten Primeln.
Nachdem sie eine kleine Wegstrecke zurückgelegt hatten, brach der Fremde das Schweigen.
»Wie Sie sagten, wollen Sie den Herzog aufsuchen. Mich würde der Grund Ihres Besuches interessieren.«
Solita war so in die Betrachtung der Landschaft versunken, daß sie ohne zu überlegen antwortete: »Ich will ihm ins Gesicht sagen, daß er ein gefühlloser, selbstsüchtiger, gemeiner und außerdem undankbarer Mensch ist!«
Während sie es aussprach, wurde ihr bewußt, wie vorlaut sie gewesen war, und sie stammelte verwirrt: »Verzeihen Sie . . . das hätte ich einem Fremden gegenüber nicht sagen dürfen.«
»Sie haben mich neugierig gemacht. Wie sind Sie zu dem vernichtenden Urteil über den Herzog gekommen?«
»Das . . . möchte ich nur Seiner Gnaden persönlich mitteilen«, erwiderte Solita abweisend.
Wieder schwiegen sie eine Weile, dann bemerkte der Fremde: »Sind Sie nicht viel zu jung, um allein zu verreisen?«
Und viel zu hübsch, hätte er beinahe hinzugefügt.
Tatsächlich war er erstaunt gewesen, ein großes blaues Augenpaar in einem zarten, herzförmigen Antlitz zu erblicken, als er sich nach der unbekannten Bittstellerin umgedreht hatte. Die Farbe ihres Haares erinnerte ihn an strahlenden Sonnenschein. Er fand es höchst ungewöhnlich, daß eine junge Dame mit diesem Aussehen ohne Begleitung reiste, auch wenn die Strecke zwischen London und Calver nur kurz war.
»Ich bin auf mich allein gestellt«, beantwortete Solita seine Frage. »Auch daran ist der Herzog schuld!«
»Man kann ihm sicher eine Menge Sünden andichten«, erwiderte der Gentleman spöttisch, »aber es ist unverzeihlich, daß er Ihnen keine Begleiterin zur Verfügung gestellt hat!«
Solita spürte, daß er sich über sie lustig machte, und reckte in trotziger Auflehnung gegen seine Unverschämtheit ihr Kinn.
»Kennen Sie den Herzog gut?« fragte sie den Fremden nach einer Weile.
»Gut genug, um zu wissen, daß ihm Ihr vernichtendes Urteil über ihn nicht gefallen wird.«
»Er hat nichts Besseres verdient«, entgegnete Solita scharf.
»Mir scheint, Sie haben den armen Mann verurteilt, ohne ihm Gelegenheit zu geben, sich zu verteidigen«, hielt ihr der Fremde entgegen.
»Für einige Dinge gibt es keine Entschuldigung«, erklärte Solita und machte deutlich, daß sie sich nicht weiter über dieses Thema auslassen wollte.
Wieder schwiegen sie eine Weile, dann fragte ihr Begleiter: »Und was tun Sie, wenn Sie nicht gerade damit beschäftigt sind, einem Herzog seine Sünden vorzuhalten?«
»Ich bin gerade aus dem Ausland zurückgekehrt«, sagte Solita, »und finde England sehr schön.«
»Sie beabsichtigen, hier zu bleiben?«
»Das muß ich wohl. Daher werde ich mir auf irgendeine Weise meinen Unterhalt verdienen müssen.«