Heimatkinder Staffel 4 – Heimatroman. Kathrin Singer
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»Soll ich etwa einen meiner Kollegen um Hilfe bitten? Dann ist mein Ruf am Gymnasium ruiniert. Außerdem sind alle meine Kollegen verheiratet. So was kann bös enden.«
»Nein, Anette. Lass mich nur machen.«
Die Zeit bis zehn Uhr verging unendlich langsam. Stefan dachte an Marie, die wohl schon im Bett lag. Ob sie auf ihn wartete?
Dann endlich klingelte es stürmisch. Ja, unverschämt stürmisch. Anette zuckte zusammen. »Wieso, weiß ich nicht, aber er kriegt die untere Tür immer auf und steht dann gleich vor der Wohnungstür«, verriet sie mit zitternder Stimme.
Stefan erhob sich. Im Flur trat er energischer mit den Füßen auf. Das Geräusch sollte dem aufdringlichen Typen gleich klarmachen, dass hier ein starker Mann anwesend war. Er riss die Tür auf und schaute einem rundlichen Weichgesicht in die Augen.
»Ist Frau Lichtner da? Anette erwartet mich«, behauptete der. »Wie jeden Abend.«
»Heute bestimmt nicht. Wie feiern gerade unsere Verlobung.«
Fassungsloses Staunen zeichnete sich auf dem Gesicht ab, und gleich darauf verriet es Verachtung. »Was? Mit der? Die ist doch eine Schlampe!«
»Kann sein. Aber sie ist meine Schlampe!«, sagte Stefan und tippte sich auf die Brust. »Meine Schlampe! Und nun trollen Sie sich bitte. »Wir erwarten noch Freunde, ein Dutzend gute Kumpels … vom Verband der Jungbauern.«
Eine Gruppe starker Jungbauern flößte immer Respekt ein. Stefan schloss die Tür und wartete so lange, bis unten die Haustür zufiel. Inzwischen hatte Anette sich aus dem Wohnzimmer gewagt. Mit angstvoll geweiteten Augen schluchzte sie auf. Sie war wirklich am Ende! Er geleitete sie zum Sofa und drückte ihr sein Taschentuch in die Hand.
»Warum, Anette? Eine Frau wie du?!«
»Du weißt ja nicht, wie sich eine Dreißigjährige fühlt, die weder Mann noch Kinder … nur euch, die Weißenbergs, hat.«
Er sah sie nachdenklich an. Eigentlich konnte er sich für seine Familie keine bessere Freundin vorstellen. Aber eine gute Freundin sollte auch glücklich sein.
»Du sehnst dich nach einer festen Beziehung, wie?«
»Natürlich«, gab sie flüsternd zu.
»Du wünschst dir einen Mann, der dich liebt und umsorgt und deine zarte Seele zum Klingen bringt.«
»Woher weißt du das denn?«
Schmunzelnd legte er den Arm um sie. »Weil ich meine Marie kenne, Anette. Wir haben uns vor Jahren angesehen und wussten, da lauert ein bisschen Glück. Dass es groß und größer wurde, verdanken wir unserem gemeinsamen, unverbrüchlichen Vertrauen.« Sie nickte, und er fuhr fort: »Du bist kein Typ, der sein Glück im Internet findet. Du solltest lieber eine Anzeige in einer seriösen Zeitung aufgeben. Und wenn die Zuschriften hereinflattern, helfe ich dir gern, einen anständigen Mann – auch einen zum Träumen – herauszupicken. Wenn du willst, bleibe ich auch in der Nähe, wenn du dich das erste Mal mit ihm triffst.«
Sie blies ihren Atem heftig aus. »Eine Anzeige? Und was schreibe ich dort hinein? Ich kenne mich ja kaum noch selbst.«
Binnen Minuten fanden sich ein Block Papier und zwei Stifte.
»Wunderhübsch, zärtlich, hingebungsvoll, groß- und warmherzig, gebildet, kinderlieb, kultiviert, interessiert an Musik und ernsten Gesprächen, an Reisen, besonders in die südliche Sonne …«, schrieb er ihr schnell auf, weil er hoffte, doch noch zum Stammtisch zu kommen.
»Das alles stimmte doch gar nicht«, unterbrach sie ihn. Stefan lachte.
»Siehst du, du kennst deine guten Eigenschaften gar nicht. Dabei trifft alles haargenau auf dich zu.« Er sah zur Uhr. »Ich muss los, und du musst dir genau überlegen, welche Art von Frau du bist. Lass dir Zeit, Anette. Die Suche nach dem Glück ist zu wichtig, um damit herumzupfuschen.« Damit riss er das Blatt vom Block, faltete es zusammen und steckte es in seine Jackentasche.
»Lass es mir doch bitte hier, Stefan. Damit ich abschreiben kann, wenn mir nichts einfällt.«
»Keine Chance!«, erwiderte er entschlossen. »Du sollst selbst herausfinden, was an Gutem in dir steckt.« Und damit hauchte er ihr ein Küsschen aufs Blondhaar, schlüpfte in seine dicke Jacke und machte sich auf den Heimweg zu seiner Marie.
Auf der Landstraße grinste er vor sich hin. Was Marie wohl sagte, wenn er ihr von seiner Begegnung mit dem Weichei und der Lack- und Leder-Wäsche in der Plastiktüte erzählte? Aber nein, er durfte nichts von Anettes Nöten verraten. Das hatte er mit seinem großen Ehrenwort versprochen und hielt es auch. Und weil es ihn jetzt doch heim zu seiner Marie zog, fuhr er ohne Umwege zurück zum Weißenberg-Hof.
*
Am Sonntagmorgen fuhr Marie mit den Kindern zum Gottesdienst in St. Nicolai in Altendorf. Stefan hatte mal wieder einen Grund gefunden, sich vor dem Kirchgang zu drücken. Diesmal erwartete er einen Ingenieur, der ihn bei der Umgestaltung einiger Gewächshäuser beraten sollte.
Als sie Dany in dem neu erstandenen roten Anorak sah und wie Reserl und Jossi sich über die kunterbunten Mützen und Schals aus München freuten, verflog ihr Unmut sofort. Ihre Shopping-Tour hatte sich gelohnt. Danys Anorak war etwas groß. Der konnte auch noch den nächsten Winter überstehen, und die buntgestreiften Gummistiefel für die Mädchen kamen erst an sommerlichen Regentagen zum Einsatz. Aber alles war von bester Qualität! Und was für Augen würden die drei machen, wenn sie erst mit dem lustigen Faschings-Krims-Krams herausrückte!
Tatsächlich lag wieder eine Schneeschicht auf den Wiesen und Feldern. Ging der Winter nie zu Ende? Sie dachte an Anette, die wahrscheinlich doch verreist war und sich für das Wochenende einen Trip in den Süden geleistet hatte. Und prompt stieg der Ärger wieder in ihr hoch.
Die Notenvorlage für die dritte Stimme eines Choral kriegte sie ohne Anette einfach nicht hin. Und der Münchner Einkaufsbummel war ohne die Freundin auch kein rechter Spaß gewesen. Wenn Anette heute zum Chorsingen auftauchte, musste sie wirkich ein Hühnchen mit ihr rupfen.
Vor der kleinen Barockkirche St. Nicolai wartete schon die Gemeindeschwester Isolde. Jeden Sonntag scharte sie die Kinder um sich und verschwand mit ihnen im Nebengebäude, wo sie ihnen während des Gottesdienstes Heiligenlegenden vorlas. Reserl, die sich manchmal schon erwachsen fühlte, hätte lieber wie einige der Dorfkinder vor der Kirche herumgehangen. Aber ein Blick in Maries Gesicht und sie nahm Dany an der Hand und folgte Jossi brav, die schon an Schwester Isoldes Hand gut gelaunt Richtung Gemeindesaal hüpfte.
»Baronin, guten Morgen!«
Auf Marie kamen die Zwillingsschwestern Ruth und Hilde Schönbauer zu. Sie waren fünfzig, führten die Altendorfer Apotheke und gehörten mit ihren schönen Altstimmen zum Chor.
»Guten Morgen, die Schönauers.« Maries Gesicht hellte sich im Nu auf. »Wissen Sie, ob Frau Lichtner heute kommt?«
Weil Anette über ihnen wohnte, mussten sie das doch wissen.
»Gewiss doch!«, sagte Ruth.
»Heute ist ja kein Unterricht«, gab Hilde dazu, um dann gleich nach der Partitur für die dritte Stimme zu fragen.