Das große Jagen. Ludwig Ganghofer
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Читать онлайн книгу Das große Jagen - Ludwig Ganghofer страница 18
»Das nit!« wehrte Mutter Agnes. »Die Magd ist in der Tenn beim Bohnenklauben. Gute Ohren hat sie freilich. Müssen wir halt ein bißl Lärm machen.« Im Glutloch des Backofens entzündete sie ein Reisigbündel, legte die aufknisternde Flamme auf den offenen Herd und schichtete Latschenäste drüber. Nun krachte das züngelnde Feuer, als würde in der Küche der Mutter Agnes ein Musketenscharmützel ausgefochten. »Da ist ein Bänkl. Tu dich hersetzen! Und red!«
Mit den Lippen an ihrem Ohr, erzählte er, was Leupolt getan. »Mein verstörtes Mädel ist beim Jesunder gewesen und hat's ausgeredet in ihrer frommen Angst. Des Jesunders Mutter ist zum Pfleger gelaufen, den Pfarrer hat man zum Fürsten geholt, und jetzt brennt in mir die Sorg um deinen guten Buben.«
Mutter Agnes schwieg. Trotz aller Seelenstärke, die sie aus ihrem vertrauensvollen, vom Zeithader unberührten Glauben schöpfte, war ein Erblassen über ihr Gesicht geronnen. Vom Feuer angeflackert, saß sie auf dem Bänkl, die verklammerten Hände im Schoß. Ihr Blick hing an den sternschönen Lichtfunken, die jagend hinauffuhren in den großen Rauchtrichter des Schornsteins. Wie dieser glühende Funkenzug, so flog ein Gebet ihres Herzens hinauf zu dem Hilfreichen, an den sie glaubte. Sie wußte: das Ausschwatzen eines Amtsbefehls in Glaubenssachen wurde so streng gebüßt wie versuchter Landsverrat. Den Kopf beugend, preßte sie die Hände an ihre Schläfen. »Wir armen Weibsleut! Wo wir hinfallen, ist allweil steiniger Boden. Wird eine nit gesegnet, so verschrumpfelt sie freudlos am Lebensbaum. Ist man Mutter, so bröckelt man sein Leben in die Kindersupp.«
Niklaus legte den Arm um ihre Schultern. »Weißt du einen Rat?«
Sie trocknete mit den Handballen die Augen. »In der Nacht geht ein Bierschlitten über den See. Da können wir dem Buben einen Zettel schicken. Den will ich hineinbacken in einen süßen Krapfen, mit einem Kränzl aus Zwibeben drauf. Da merkt der Leupi: es ist eine Botschaft drin. Nur daß er weiß, was ihm zusteht. Helfen kann bloß der Einzige, der wissen muß, daß es der Bub nit schlecht gemeint hat. Daß er's tun hat müssen, begreif ich.«
»Weißt du, warum?«
»Ich müßt keine Mutter sein, wenn ich's nit lang schon gemerkt hätt. Aber ich sorg, es ist eine Mauer zwischen den beiden.« Mutter Agnes hob die flehenden Augen. »Sag mir's!«
»Was, Mutter?«
»Ist mein Bub –« Ihre Stimme brach. »Ist der Leupi schon ganz da drüben?« Sie wollte sagen: »Auf der falschen Seit!« Weil sie fürchtete, daß es den Meister kränken könnte, sagte sie: »Wo die anderen sind, die man nit sieht.« Er schwieg. Da griff sie nach seiner Rechten, fühlte unter dem Handschuh das Holz und erschrak, als hätte sie etwas Glühendes berührt. »Sag mir's! Es soll verschlossen bleiben in mir.«
»Mit Sicherheit weiß ich es nit. Und wenn ich es wüßt, ich dürft es nit sagen.«
Aus ihren Augen fielen zwei Tränen, die im Rotschein des Feuers wie rinnendes Blut erschienen. »Der Bub ist aufgewachsen zwischen meinen Händen. Sein erstes Betsprüchl hat er mir nachgeredet mit seiner Kinderstimm. Ist fromm und gläubig gewesen sein ganzes Leben lang. Ist ein redlicher Bub geblieben. Und ist doch ein anderer worden, ich weiß nit, wie, und ich weiß nit, wann! Wie kann das kommen über einen Menschen?«
»Wie dort die Funken fliegen auf deinem Herd. Im Schornstein droben verlöschen sie. In eines Menschen Herz ist Boden, wo sie weiterbrennen. Das geht am leichtesten in einer Menschenseel, die kein Unrecht sehen kann oder Unrecht leiden muß.« Er hob seine hölzerne Hand vor die Augen der Mälzmeisterin hin.
»Das hat nit der getan, der die Händ erschaffen hat.«
»Ist dir alles recht, was sie tun und predigen?«
»Es gibt auch Schuster, die schlechte Sohlen machen. Deswegen hab ich noch nie den richtigen Weg verloren.«
»Die den besseren suchen? Verwirfst du die?«
Sie sah ihn mit großen Augen an. »Soll ich mein Kind verwerfen? Ich? Die Mutter? Allweil sinn ich drüber und versteh's nit. Wie ich bin, so muß ich bleiben. Von meinem Buben weiß ich, er ist ein guter Mensch. Das bleibt er auch auf dem anderen Weg. Und die ihm als Brüder und Schwestern gelten, können nit schlecht sein. Sonst tät's mein Bub nit halten mit ihnen.«
Der Meister nahm ihre Hand. »Täten alle denken wie du, so wär nit Streit und Hader um jeden Gottesweg. Wir zwei, Mutter, helfen zusammen, gelt? Hast du eine Bleifeder? So schreib ich den Zettel, derweil du den Teig für den Krapfen rührst.«
»Wahr ist's: helfen ist besser als reden.« Frau Agnes sprang zur Flurtür und verschwand. Gleich war sie wieder da, mit Blatt und Bleifeder. »Kannst du denn schreiben mit deiner Linken?«
»Muß einer, so lernt er's.«
Sie rückte einen kleinen Tisch vor den Meister hin, und während er die steifen Buchstaben zu kritzeln begann, rührte Frau Agnes in einer hölzernen Schüssel den Teig. Plötzlich stammelte sie erschrocken: »Ach, du barmherziger –« Sie riß das kupferne Türchen des Backofens auf und zog den vergessenen Zopf heraus. Der roch sehr übel und war so schwarz wie Kohle. Kummervoll sagte sie: »Der erste, der mir verbronnen ist!« Frau Agnes lächelte ein bißchen. »Bin ich jetzt eine schlechte Hausfrau? Jede Nachbarin tät's glauben.« Sie schob das verdorbene Gebäck ins Herdfeuer, in dem es zu rauchen und zu glühen begann. »Man darf die Leut nit einschätzen nach den Zöpfen, die sie verbrennen lassen.« Wie das gute Holz verwandelte sich auch das verdorbene Backwerk in fliegende Feuerfunken. »So geht's mit einem Backofen! Und jedes Menschenkind hat drei: einen im Blut, einen in der Seel und einen im Hirnkästl. Ach, der liebe Herrgott! Auf wie viel verbronnene Zöpf muß er herunterschauen! Und nie noch hat er die Geduld verloren. Bloß auf der Welt verliert man sie allweil, und am ungeduldigsten sind die Bäcken, die das Brot versalzen und die meisten Wecken verrußen lassen!« Sie setzte sich auf die Bank, nahm die hölzerne Teigschüssel zwischen die Knie und begann mit beiden Händen hurtig zu rühren.
Meister Niklaus grübelte, um des Pfarrers Ausrede in Worte zu bringen, die nichts verrieten und für den Leupolt doch verständlich waren. Während er kritzelte, mußte er immer an den Hochwürdigen denken. Der hatte wohl jetzt im Fürstenzimmer des Stiftes eine gefährliche Viertelstunde zu übertauchen? Was Meister Niklaus da vermutete, war ein Irrtum. Und ein Irrtum war es auch, wenn Mutter Agnes ihren Buben in der düsteren Jägerstube sitzen sah, bedrückt von Gewissenspein und Sorge. –
Leupolt war um diese Stunde von Sonne umglänzt, von blendendem Weiß umfunkelt. Und Ruhe war in seinem braunen Gesicht, in seinen stahlblauen Augen. Er stand auf dem Beinschlitten, hinter einem großen Sack, in dem er gedörrte Rüben für das hungernde Hochwild zu dem Ufer bringen mußte, das der Fischmeisterei von Bartholomä gegenüber lag. Da hinüber war's nur ein kurzer Weg, und dennoch mußte Leupolt einen langen machen, um den durch das Eis gerissenen Frageln auszuweichen, aus denen das geschwellte Seewasser mit Gesprudel herausquoll. Alle Kraft des Jägers gehörte dazu, um gegen den Föhnsturm aufzukommen. Jetzt mit einer flinken Wendung ans Land, den Sack auf die Schulter und über die weiße Böschung hinauf. Von zahlreichen Hochwildfährten war der Schnee zertreten zu einem brösligen Wirrwarr. Gleißende Lichter und blaue Schatten. Das beschneite Gezweig der Buchen war wie ein wundervolles Silbergespinst, das der Goldschmied Gott verziert hatte mit Millionen farbigblitzender Edelsteine. Auf vierzig Schritte standen im weißen Walde schon die Muttertiere mit ihren Kälbern und warteten. Ein paar geringe Hirsche bei ihnen, und schlanke, feinbewegliche Jüngferchen. Von den Gutgeweihten, die Leupolt zählen mußte, war noch keiner zu sehen. Scheu waren auch sie nicht; die Not des Winters zähmt die Wildesten; aber weil sie die Starken waren, konnten sie geduldig