Das große Jagen. Ludwig Ganghofer

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Das große Jagen - Ludwig  Ganghofer

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sagte der Pfarrer vergnügt, »da hast du einen Schwips. Vom Kirschwasser. Ja, Luisichen, wer anderthalb Jahrzehnt das kühle Brunnenwasser im Kloster genossen hat, vertragt was Wärmeres nit aufs erstemal.« Er lächelte. »Lernen brauchst du das nit: daß du Kirschwasser vertragen kannst wie Geißmilch. Heut ist's nötig gewesen. Sorgen brauchst du dir wegen des kleinen Räuschls nit zu machen. Das verschlafst du wieder!« Seine Stimme bekam einen zärtlichen Klang. »Auch ist das so: daß alles Schönste im Leben mit einem Räuschl anfangt, sei es im Hirnkästl oder sei es im jungen Blut.« Luisa blieb stumm. Während die Morgensonne herglänzte über das weiße Bett, ging ein schmerzvolles Zucken um den heißroten Mädchenmund. Manchmal überrieselte noch ein Nachschauer des Lachens den zierlichen Körper, und unter dem Arm, der die Augen verhüllte, quollen die Tränen hervor, kollerten über die glühenden Wangen und versanken im braunblonden Schimmerkissen der gelösten Zöpfe. Sich vorbeugend, sagte der Pfarrer langsam: »Kindl, wie bist du lieb und schön! Was tät der Leupolt geben drum, wenn er an meinem Plätzl sitzen dürft. Und morgen oder übermorgen muß er am Schandpfahl hängen. Der redliche Bub!« Ein knirschender Laut; Luisa warf sich herum und vergrub das Gesicht in die Fülle ihres Haares. So lag sie lautlos, während ein heftiges Schüttern ihren Nacken und ihre Schultern befiel. Als sie ruhiger wurde, gab sie Antwort auf jede Frage. Alles sagte sie, ehrlich und ohne Rückhalt.

      Der Pfarrer fröstelte ein bißchen. Obwohl die Sonne durchs Fenster hereinfiel und draußen der laue Föhnsturm brauste, war es mehr als kühl in der ungeheizten Stube. Und Pfarrer Ludwig hatte schwitzen müssen. Als er vom Garten herauf die Stimme des Meisters hörte, erhob er sich, legte das Kissen über Luisas Füße und zog ihr die wollene Decke bis an das Kinn. »Versuch zu schlafen! Die heilige Mutter Marie, an der wir hängen in treuem Glauben, du und ich, die soll dich erwachen lassen zu einem wärmeren Leben! Von dem kindischen Narrenstückl, das ich sehen hab müssen, soll dein Vater nichts erfahren. Der tät das nit so gut verstehen, wie ich alter Pfarrer.« Er strich mit der Hand über den Scheitel der lautlos Zuckenden. »Was ich erfahren hab müssen, das ist gebeichtet, gelt? Ich, Kindl, ich schweig in heiliger Pflicht. Wärst du am Morgen in deiner Herzensnot zu mir gekommen, so hätt die Mutter Jesunder dich nit umtragen müssen im Tratschkörbl, und der Pfleger hätt nichts erfahren vom Leupolt.« Er hob die zwei zerschnittenen Tüchelchen von den Dielen auf, löste die Schlingen, die noch am Zapfenbrette hingen, und schob sie schmunzelnd in die Tasche. Forschend guckte er über die Schulter nach dem Bett, verließ die Stube und schloß hinter sich die verbogene Tür, so gut sich das noch erledigen ließ.

      Da kam der Meister über die Stiege heraufgehastet, Sorge in den Augen. »Was ist denn mit dem Kind?«

      »Nichts, lieber Nick! Oder doch nichts Böses. Im Gegenteil. Dein Kind hat einen Sprung aus dem Kalten ins Warme getan. Das geht nit ab ohne festen Beutler. Jetzt müssen wir dem kleinen Weibl ein bißl Ruh vergönnen und müssen sie schlafen lassen.«

      In den Augen des Meisters wollte die Sorge nicht erlöschen. »Schlafen?«

      »Aufs erste Kirschwasser schlaft man allweil. In späteren Jahren mindert sich die gute Wirkung. Komm! Wir gehen hinunter in die Werkstatt!« Er wurde ernst. »Da hab ich gesehen, was mir arg mißfallen hat. Mensch bleiben, heißt bauen und schaffen, nit in Scherben schlagen.«

      Drunten im Flur stand die Sus mit seitwärts gespreiteten Armen an der Mauer, zitternd, im Blick den Ausdruck einer qualvollen Angst. Etwas Tierisches und dennoch etwas Schönes war in ihren Augen. Der Pfarrer ging an der Magd vorüber, ohne sie zu gewahren. Meister Niklaus blieb stehen und sah sie an, verwundert, als sähe er etwas an ihr, was er noch nie gesehen hatte. »Sus!« Sie neigte vor seinem Blick die Stirn: »Jetzt muß ich zum Herd. Das Wasser wird eingesotten sein und das Fleisch wird schlecht.« Ein müdes Lächeln. Dann ging sie davon. Er sah ihr nach und blieb noch immer stehen, obwohl die Sus in der Küche schon verschwunden war.

      Der Pfarrer stand in der Werkstätte vor dem roten zerquetschten Wachsklumpen. »Herzbruder Nick? Was hast du denn da getan?«

      »Fast weiß ich es selber nit.« Meister Niklaus faßte erregt ein breites Messer und schnitt die formlose Wachsmasse von der hölzernen Platte. »Es ist mir, als hätt ich's im Zorn getan.« Mit der Linken knüllte er das Wachs zu einem Ballen. »Oft ist's wie ein Fremdes, was man tut. Kann sein, ich hab Platz machen müssen für ein Ding, das besser ist.« Er wurde ruhig. Und während er mit dem Pfarrer sprach – von Luisas Heimkehr am Morgen, von seinem jähzornigen Hammerstreich, von der Mutter Agnes, vom Eis auf dem Königssee und von dem süßen Krapfen – preßte er eine Wachsflocke um die andere auf das Holz, schnitt mit dem Daumennagel und formte mit den Fingern. Und plötzlich, die Arbeit unterbrechend, sah er den Pfarrer an. »So sag mir doch die Wahrheit! Was ist mit dem Kind?«

      »Das ist schnell gesagt. Sie hat den Leupolt gern und weiß es noch nit. Da rumort das Neue ein bißl hitzig in ihrem kühlen Klosterstübl.«

      Aufatmend flüsterte Niklaus: »Das wär ein Glück! Da tät's wieder heller werden in meinem Haus.«

      Ein Summen an den Fensterscheiben. Man hörte rasch nacheinander aus weiter Ferne her den Hall und das Echo von fünf Gewehrschüssen. »Hörst du?« lachte der Pfarrer ingrimmig. »Derweil die Herzensnot der Menschen umlauft im ganzen Ländl, erlustigt sich die Allergnädigste an den Untersteiner Wildsauen. Ein Gutes hat auch das. Die Sorg um den Leupolt ist aufgeschoben. ‚Tod ist Tod,‘ sagt meine Schwester allweil, ‚aber besser morgen als heut.‘ Dein Mädel tu schlafen lassen, bis es von selber aufwacht. Nach dem Quantum Kirschwasser, das ich dem blinden Klosterspatzen eingegossen hab, wird's lang dauern, bis er wieder piepsen kann. Und du bleib bei der Arbeit, Nick! Sie ist von allem Lebenstrost der beste.«

       Inhaltsverzeichnis

I

      Im Wehen des Föhns, bei blitzendem Tropfenfall und in Sonne, schmetterten vier Hifthörner die Sautodweise durch den Untersteiner Wald. Auf rotfleckigem Schnee, zwischen der grünmaskierten Fürstenkanzel und dem mannshohen Stellnetz, lagen die drei zur Strecke gebrachten hauenden Schweine, festlich aufgeheitert, mit Fichtengrün bekränzt, mit kirschroten Seidenmaschen an den Lusern und an den zottigen Schwänzen. Die graulivrierte Stiftsjägerei war in Reihe gestellt, und rings um die erlegten Keiler gaben die weiß und braun getigerten Saurüden in ihren dick unterfütterten Barchentpanzern Standlaut. Nach einer vierstimmigen Fermate schwiegen die Hörner, um gleich darauf die sanfte Dianenweise zu beginnen, die zu Ehren der edlen Aurore de Neuenstein geblasen wurde. Mit Grazie kam der Hofzug durch den Schnee geschritten, voraus der Fürstpropst Anton Cajetan mit der Allergnädigsten en titre. Nach französischer Vorschrift für ein Eingestelltes Treiben auf Wildschweine trug er ein hechtgraues, reich mit Silber besticktes Jägerkleid, an dem zwei kleine Bäffchen den Priester unvordringlich andeuteten, und darüber einen offenen, kostbaren Pelz, der durch den degenförmigen Hirschfänger vom Körper abgespreitet wurde. Unter dem silberbetreßten Dreispitz quoll ein geschnörkelter Lockenbau hervor. Zwischen den Haarschnecken spitzte sich ein weißes, tadellos rasiertes, schon greisenhaftes Schmalgesicht heraus, launig lächelnd, ein bißchen spöttisch und nicht ohne Energie.

      Ehe Herr Anton Cajetan im vergangenen Jahr von den sieben Stiftsherren zum Fürstpropst gewählt wurde, war er durch zwei Jahrzehnte als Dekan des Stiftes ein geschäftiger Vorkämpfer der Kapitularen um ihre Selbständigkeit gewesen, um ihre Loslösung von der mönchischen Regel, um ihre Verwandlung in freie Chorherren mit allen weltlichen Vorrechten edler Geburt. Da hatte er scharfe Worte, nicht nur gegen die begründeten Ansprüche des wohlmeinenden Churfürsten von Bayern, auch gegen den Papst geredet und geschrieben. Im Streite gegen die ‚evangelischen Rebellen‘ hatte er eine aus Vorsicht und Konsequenz gebildete Faust

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