MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 1). Robert Mccammon

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MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 1) - Robert Mccammon Matthew Corbett

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Nacht sie einholen würde und ein Unterschlupf gefunden werden musste.

      Für Frösche und Sumpfhühner war es ein herrlicher Tag gewesen. Den Menschen jedoch hatten sich die tief hängenden grauen Wolken und der kalte Regen wie Ketten um die Seele gelegt. Der Mai sollte dem Kalender und allen Vorhersagen nach ein gnädiger, wenn auch kein fröhlicher Monat sein; dieser Mai jedoch war wie ein dünnlippiger Geizhals dahergekommen, der die Kerzenflammen in der Kirche ausdrückt.

      Regelrechte Wasserfälle strömten durch die starken Äste, die sich in vierzig Fuß Höhe über der Straße ineinander verflochten. Die Blätter uralter Eichen und Ulmen, und auch die Nadeln der hohen Kiefern, waren finster statt grün, und die mächtigen Stämme von Moos und braunen Klumpen eines Pilzes gefleckt. Zu sagen, dass sich unter diesen Ästen eine Straße befand, war eine freizügige Verwendung des Wortes: Es handelte sich um ein fäulnisfarbenes matschiges Loch, das dem Nebel entstieg und auch wieder im Nebel verschwand.

      »Weiter, weiter«, rief der Kutscher den beiden Kleppern zu, die sich abmühten, den Wagen gen Süden zu ziehen. Ihr Atem dampfte und die mageren Flanken zitterten beim Kampf mit den schweren Holzrädern im Schlamm. Der Kutscher hielt eine kleine scharfe Peitsche griffbereit, doch entschied sich dagegen, Gebrauch von ihr zu machen. Die Pferde, die ihm mitsamt des Wagens von den städtischen Stallungen in Charles Town überlassen worden waren, taten ihr Bestes. Hinter der ungehobelten Kiefernholzplanke, die den Reisenden ab und zu Splitter in den Hintern trieb, standen unter der braunen durchweichten Sackleinenplane des Wagens zwei nicht zueinander passende Schrankkoffer, eine Reisetasche und eine Perückenschachtel. Alle vier Gepäckstücke wiesen Narben und Schrammen auf, die auf rüde Transportmethoden hindeuteten.

      Über ihnen grollte Donner. Die Pferde strengten sich an, ihre Hufe aus dem Matsch zu ziehen.

      »Na los, schneller«, rief der Kutscher ohne die geringste Leidenschaft. Er knallte halbherzig mit den Zügeln, die er in seinen durch graue Stoffhandschuhe geschützten Händen hielt. Dann saß er wieder kommentarlos da, während Regentropfen von den gerollten Rändern seines schwarzen schlammbespritzten Dreispitzes fielen und seinen rabenfarbigen Wollmantel noch mehr durchnässten.

      »Soll ich übernehmen, Sir?«

      Der Kutscher warf einen Blick auf seinen Mitreisenden, der ihm anbot, die Zügel zu halten. Selbst mit lebhaftester Fantasie ließen sich zwischen den beiden kaum Ähnlichkeiten finden: Der Fuhrmann war fünfundfünfzig Jahre alt, sein Passagier gerade über zwanzig. Der ältere Mann war grobknochig und hatte ein gerötetes Gesicht mit Hängebacken, in dem dichte, borstig-graue Augenbrauen wie ein Schutzwall über tief liegenden eisblauen Augen herausragten, die so freundlich wie zündfertige Kanonenrohre dreinschauten. Ein höflicher Engländer hätte seine Nase vielleicht als gut proportioniert bezeichnet. Ein freimütiger Holländer würde eher dazu neigen, einen Bluthund in der Ahnenlinie dieser Nase zu vermuten. Auch das Kinn des Fahrers war fest umrissen: Ein quadratisches Bollwerk mit einer Kerbe, in der eine kleine Musketenkugel Schutz suchen konnte. Üblicherweise war sein Gesicht durch peinlich genaues Rasieren glatt und sauber gehalten, aber an diesem Tag zeigte sich sein grau melierter Bartwuchs.

      »Ja«, murrte er. »Danke.« Er übergab die Zügel wie schon so oft in den letzten Stunden, während der sie sich bei dieser Pflicht abgewechselt hatten, und rieb sich die Finger, bis er sie wieder fühlen konnte.

      Das lange, hagere Gesicht des jüngeren Mannes hatte mehr Kerzenschein als Sonnenlicht zu sehen bekommen. Er war dünn, aber nicht gebrechlich – eher sehnig wie ein zähes Klettergewächs. Er trug kantige Schuhe, weiße Strümpfe, olivgrüne Kniebundhosen und über einem einfachen weißen Leinenhemd eine kurze, eng anliegende braune Jacke aus billiger Wolle. Die Knie seiner Beinkleider und auch die Ellbogen der Jacke waren mindestens ebenso oft geflickt worden wie die Kleidung des älteren Mannes. Auf seinem Kopf saß eine graubraune Wollmütze. Sie war über schwarze feine Haare gezogen, die in Charles Town vor Kurzem im Kampf gegen die Läuseplage raspelkurz geschoren worden waren. Alles an dem jungen Mann – Nase, Kinn, Wangenknochen, Ellbogen, Knie – erweckte den Eindruck von scharfen Ecken. Seine Augen waren grau mit dunkelblauen Sprenkeln; die Farbe von Rauch in der Dämmerung. Er feuerte die Pferde weder an, noch klatschte er ihnen die Zügel auf die Rücken. Sein einziger Ehrgeiz war, sie zu lenken. Man hätte ihn vielleicht als einen Stoiker bezeichnen können. Er wusste um den Wert von Unerschütterlichkeit, denn er hatte in seinem Leben bereits Schicksalprüfungen durchlaufen, an denen ein weniger stoischer Mensch hätte zerbrechen können.

      Der ältere Mann sann während des Händereibens darüber nach, dass er, falls er nach diesem Martyrium noch seinen sechsundfünfzigsten Geburtstag erlebte, seinen Beruf am besten aufgeben und als Dank für Gottes Gnade ein Samariter werden sollte. Er war nicht aus dem rohen Material der Pioniere gemacht. Vielmehr verstand er sich als ein Mann mit Geschmack und Noblesse, ein Städter, der kaum dazu geeignet war, in diese Wildnis vorzustoßen. Schnurgerade Ziegelmauern und gestrichene Zäune gefielen ihm, die angenehme Symmetrie manikürter Hecken und die verlässliche Pünktlichkeit, mit welcher der Laternenanzünder seine Runde machte. Er war ein zivilisierter Mann. Regen lief seinen Nacken herunter und in seine Stiefel, es dämmerte und er hatte lediglich einen rostigen Säbel im Wagen, um ihr Hab und Gut sowie ihre Skalps zu beschützen. Fount Royal lag am Ende dieser Matschstrecke, doch das war wenig Trost. Seine Aufgabe dort war unschön.

      Doch nun wurde ihnen etwas Gnade zuteil! Der Regen ließ langsam nach und das Donnergrollen klang weiter entfernt. Der ältere Mann dachte, dass die Sturmfront sich nun auf das Meer hinausbewegte, das sie durch Lichtungen im Wald hie und da wie eine aufgewirbelte graue Ebene erspäht hatten. Tiefhängende Nebelschwaden verschleierten die Äste, hüllten den Wald wie in ein Leichentuch. Der Wind hatte sich gelegt und in der schweren Luft lag ein sumpfig grüner Geruch.

      »Frühling in Carolina«, brummte der Ältere, in dessen heiserer Stimme der melodische Akzent hochwohlgeborener englischer Vorfahren mitschwang. »Auf den Friedhöfen werden im Sommer viele Blumen stehen.«

      Der jüngere Mann erwiderte nichts, dachte sich aber, dass sie auf dieser Straße verenden könnten, dass sie etwas Böses überfallen und sie ebenso plötzlich verschwinden konnten wie Richter Kingsbury vor nicht einmal zwei Wochen auf eben dieser Strecke. Er konnte sich nicht vor der Tatsache verschließen, dass wilde Indianer und ebenso wilde Tiere in diesen Wäldern ihr Unwesen trieben. Trotz all der Läuse und Todesfälle durch die Beulenpest war Charles Town im Vergleich zu dieser triefenden grünen Hölle ein wahres Paradies. Er gelangte zu dem Schluss, dass die Siedler von Fount Royal von Sinnen sein mussten, ihr Leben und ihre Zukunft in dieser Gegend aufs Spiel zu setzen.

      Doch Charles Town war vor zwanzig Jahren nicht weniger Wildnis gewesen. Jetzt war es eine Stadt mit einem florierenden Hafen – wer konnte schon sagen, was aus Fount Royal werden würde? Er wusste jedoch, dass es für jedes Charles Town Dutzende andere Siedlungen gab, die Unglücken zum Opfer fielen. Fount Royal mochte es eines Tages ähnlich ergehen. Noch war es aber der Wirklichkeit gewordene Traum von Menschen, und das Problem dort musste auf gleiche Art wie die Probleme in zivilisierter Gesellschaft angegangen werden. Die Frage blieb allerdings: Warum hatte Richter Kingsbury auf der Reise von Charles Town nach Fount Royal auf eben dieser Strecke nie sein Ziel erreicht? Der ältere Mann hatte auf Fragen hin verschiedene Antworten gegeben. Kingsbury mochte an Indianer geraten, die Kutsche verunglückt sein oder ein Angriff durch wilde Tiere stattgefunden haben. Doch obwohl der ältere Mann eine Nase hatte, die der eines Bluthundes glich, war es der Jüngere, der den Bluthundinstinkt besaß. Selbst die leiseste Andeutung eines Rätsels ließ ihn noch lange, nachdem der Ältere sich zurückgezogen hatte und in der Kammer schnarchte, grübelnd neben der niederbrennenden Kerze sitzenbleiben.

      »Was ist das?«

      Ein grau behandschuhter Finger zeigte nach vorn in den Nebel. Dann sah auch der jüngere Mann, was sein Begleiter erspäht hatte: Rechts neben der Straße war ein Dach zu sehen. Es war ebenso dunkelgrün und nassschwarz wie die Wälder; vielleicht handelte

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