Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten. Sven Elvestad
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Читать онлайн книгу Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten - Sven Elvestad страница 20
»Der ›kleine Blaue‹,« sagte er, »ich verstehe nicht, was Sie damit meinen?«
»Ich meine das Papier, das Sie für eine gewisse Summe bei dem Wucherer Jaerven verpfändet haben.«
Der Detektiv öffnete das Kuvert und nahm ein blaues Dokument heraus, das mit zwei imponierenden, roten Siegeln versehen war. Er zeigte es dem Polizeichef. Dieser sah das Dokument durch und sagte dann:
»Jawohl, jetzt verstehe ich den Zusammenhang. Das ist ein sehr wichtiges Staatsdokument von außerordentlich großem Wert.«
»Ganz richtig,« sagte der Detektiv, »und dieses Dokument war Sekretär Ström zu einem speziellen Zweck anvertraut – natürlich unter der Voraussetzung, daß er sehr gut darauf aufpaßte und es nicht aus der Hand gab. Aber der Sekretär war vor einiger Zeit in einer peinlichen Geldverlegenheit. Nach dem, was ich in Erfahrung gebracht habe, ist die Dame hier nicht ohne Schuld daran.«
Der Detektiv deutete auf die Varietédame.
Der Sekretär sprang auf.
»Das ist nicht wahr,« rief er, »Sie stehen da und lügen mir ins Gesicht. Ich bekam das Dokument allerdings zur Verwahrung, aber sofort, nachdem ich es verwendet hatte, sandte ich es wieder zurück.«
»Wann sandten Sie es wieder zurück?«
»Am Abend des Elften, unmittelbar bevor ich nach Gotenburg fuhr.«
Krag sah den Mann an.
»Unmittelbar nachdem Sie Jaerven totgeschlagen hatten,« sagte er.
»Eine infame, lächerliche Beschuldigung!«
Der Polizeichef unterbrach diesen peinlichen Dialog, indem er den Detektiv fragte:
»Haben Sie irgendwelche Beweise für Ihre Behauptung?«
»Vollständige Beweise,« erwiderte er, und an Sekretär Ström gewendet: »Aber zuerst möchte ich mir erlauben, den Verbrecher zu überführen. Ich werde von Anfang bis Ende erzählen, wie das Verbrechen sich zugetragen hat.«
Er fuhr fort:
»Am Vierundzwanzigsten des vorigen Monats wurde Sekretär Ström dieses wichtige Staatsdokument anvertraut. Wir wollen es so benennen, wie der Sekretär selbst es genannt hat: den ›kleinen Blauen‹. Ich weiß das Datum so bestimmt, weil ich mit dem Chef des öffentlichen Amtes, in dem Herr Ström angestellt ist, konferiert habe. Am Tage darauf, am Fünfundzwanzigsten, hat der Wucherer Jaerven einen großen Betrag, 10 000 Kronen, aus der Bank entnommen. Seine Papiere zeigen jedoch, daß er an diesem Tage keine größere Zahlung zu leisten gehabt hat. Also sind es die 10 000 Kronen, die er Ström gegeben hat, und als Sicherheit für diesen Betrag hat der Sekretär den ›kleinen Blauen‹ deponiert, dessen Wert für den norwegischen Staat, wie Sie, Herr Polizeichef, ja wissen werden, diesen Betrag bei weitem übersteigt. Der schlaue Wucherer war über diese Tatsache sofort im klaren und hat bei dem Geschäft nicht die geringsten Bedenken gehabt. Er kannte ja Ihre angesehene Familie, Herr Ström, außerdem bekam er vermutlich sehr hohe Zinsen. Wie hohe, Herr Sekretär?«
Der Sekretär zuckte höhnisch die Achseln, aber er konnte doch die fieberhafte Spannung, mit der er der Darstellung des Detektivs folgte, nicht ganz verbergen.
Asbjörn Krag fuhr fort:
»Nun ja, das ist ja auch ganz irrelevant. Ich nehme an, daß er sich für die wenigen Tage, von denen hier die Rede war, so etwa 1000 Kronen an Zinsen gerechnet haben wird. Nun lebten also der Sekretär und seine Dame herrlich und in Freuden von den errafften Tausenden. Bis zum Zehnten. Da bekommt er von seinem Abteilungschef die Weisung, das Dokument wieder zurückzugeben. Es wurde für den Staatsrat am Zwölften benötigt. Was sollte er anfangen? Er versuchte Geld aufzutreiben; aber als dies nicht gelang, faßte er den gefährlichen aber doch kaltblütigen Entschluß, den Wucherer totzuschlagen. Ich mache ihm das Kompliment, daß er unter zehntausend Menschen der ist, der eine solche Untat am besten und sichersten ausführen kann.«
Hier verbeugte sich der Sekretär ironisch und versuchte eine Bemerkung einzuwerfen.
»Unterbrechen Sie mich nicht,« sagte Krag, »Sie werden schon noch Zeit genug zum Reden haben. Nun – nun brütet der Sekretär einen sehr schlauen Plan aus. Einen der schlauesten und gefährlichsten, die mir noch in meiner Praxis untergekommen sind. Er bedenkt jeden kleinen Umstand und arbeitet schon im vorhinein allem entgegen, was zu seiner Entdeckung und Festnahme führen könnte. Er weihte sein – hm – seine Braut in den Plan ein, und sie ist gewissenlos und geldgierig genug, darauf einzugehen. Unterbrechen Sie mich nicht! ... Fürs erste schickt er also seine Braut zu dem alten Perückenmacher in der Grönlandstraße und läßt sie dort ein Perücke kaufen, die so genau als möglich dem roten Haar des Wucherers Jaerven entspricht. Dann schreibt er dem Wucherer ein Briefchen – das Briefchen nämlich, das wir bei der Untersuchung in seiner Wohnung gefunden haben. Es lautete, soviel ich mich erinnere: ›Treffen Sie mich um acht Uhr in der Höhle. Nehmen Sie den kleinen Blauen mit!‹ Mit der Höhle, diesem Studentenausdruck, meint er natürlich seine Junggesellenwohnung. Selbst der schlaue Wucherer geht sofort in die Falle, und wer hätte es nicht getan, meine Herren? Aber der Sekretär arbeitet auch weiter sicher und mit Berechnung. Er sagt sich, daß die Leiche nach dem Verbrechen fortgeschafft werden muß. Also begibt er sich am Nachmittag – bevor er mit Jaerven zusammentreffen soll – zu seinem Bekannten, dem Besitzer der Villa Sand. Hier leiht er sich unter einem Vorwand ein Pferd und ein Korbwägelchen aus und fährt damit in seine Wohnung. Unterdessen hat er seine Wirtschafterin fortgeschickt – bis nach Sandviken hinaus – um dort etwas zu besorgen. Er ist also allein, d. h. mit der Varietédame. Wie das Verbrechen begangen wurde, kann man sich denken. Er hat vermutlich den Kopf des Wucherers mit einem Hammer zerschmettert und ihm dann einen der stahlblauen Handschuhe der Dame in die Hand gesteckt, natürlich um auf falsche Fährte zu bringen. Er hat dann die Leiche in seinen Teppich gerollt, sie mit Hilfe der Dame in den Hof hinuntergebracht und ist damit zur Ziegelei hinaufgefahren. Den Teppich hat er später beiseitegeschafft und verkauft.
Sowie die Leiche in das Trockenhaus der Ziegelei gelegt war – alles dies trug sich an einem Abend zu, bei Dunkelheit – ist er wieder in die Wohnung gefahren, so rasch das Pferd nur laufen konnte. Der Wächter am Wege erzählte ja, daß er den Wagen verhältnismäßig bald zurückkommen hörte.
Aber jetzt kommen wir zu dem genialen Zug des Verbrechens: Der Sekretär hat den Hut des Wucherers und seinen alten fadenscheinigen Rock behalten. In einer bestimmten Absicht nämlich. Nun mußte die Varietédame weiterspielen. Sie verkleidete sich als Mann, zog die rote Perücke über ihr rabenschwarzes Haar, legte Jaervens Rock und Hut an und begab sich in dessen Wohnung, wo sie die Nacht schlief. Sie kam natürlich mit den Schlüsseln des Wucherers hinein, die ja auch bei der Leiche nicht gefunden wurden, als man diese im Trockenhause der Ziegelei entdeckte. Unterdessen brachte der Sekretär den Wagen so rasch zurück, daß er noch den Zug nach dem Süden erreichen konnte. Die Dame hielt sich den ganzen folgenden Tag in Jaervens Zimmer aus, untersuchte seine Schlupfwinkel und sprengte das kleine Geheimfach in seiner eisernen Kasse, zu der sie ja, wie gesagt, die Schlüssel hatte. Da haben Sie den Grund, meine Herren, weshalb Jaerven am Zwölften nicht aufmachte, niemand empfangen wollte, auf keine Fragen von draußen antwortete und das Schlüsselloch verdeckte, als jemand hineinsehen wollte. Erst bei Einbruch der Dunkelheit verließ die Dame die Wohnung in Jaervens alten Kleidern und mit seinem Hut. Niemand faßte Verdacht. Am Achtzehnten kehrte der Sekretär wieder zurück, und nun wähnte er sich ganz sicher. Am Elften war er aus der Stadt abgereist, und am Zwölften war doch Jaerven von Zeugen in seiner Wohnung gesehen worden. So hängt die Sache zusammen.«
Der