Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten. Sven Elvestad
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Читать онлайн книгу Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten - Sven Elvestad страница 23
Man mußte davon ausgehen, daß der Verbrecher die Linie gerade da mit Beschlag belegt hatte, wo das Nordseekabel ans Land ging. Er mußte sich ganz genau in den verschiedenen Linien und Linienrichtungen auskennen. Ferner mußte er im Besitz eines besonders konstruierten Apparates sein, einer neuen Erfindung, deren er sich bediente, und mit der er jederzeit das Telegraphieren abbrechen und die Telegramme aufschnappen konnte. Vielleicht war sein Apparat so eingerichtet, daß er die ganze Telegrammkorrespondenz der Linie ablesen konnte, ohne den Gang der Telegramme zu stören, so daß er nur den richtigen Augenblick wahrzunehmen brauchte, um selbst das aufzuschnappen, was für ihn von besonderer Wichtigkeit war.
Während der Detektiv noch mit diesen seinen vorläufigen Untersuchungen beschäftigt war, lief bei der Direktion ein Telegramm von einem der ausgesandten Ingenieure ein. Das Telegramm kam aus einem der kleinen Küstendörfchen Norwegens und lautete:
»Den Fehler gefunden. Der Urheber zweifellos ein Betrüger, warte nähere Order ab.«
Die Leitung konferierte sogleich mit Asbjörn Krag, und auf seinen Rat wurde folgendes Antworttelegramm abgesandt:
»Detektiv unterwegs, nichts vor seiner Ankunft unternehmen!«
Eine halbe Stunde später saß Asbjörn Krag schon im Coupé. Es war am Abend. Gegen Morgen sollte der Zug an seinem Bestimmungsorte sein. Von hier mußte man ein Postboot zu einer größeren Stadt in der Nähe des kleinen Küstendörfchens nehmen, aus dem die Telegramme eingelaufen waren. Der Detektiv hatte also eine lange, anstrengende und langweilige Reise vor sich.
Er konnte nicht schlafen, sondern lag die ganze Zeit da und überdachte die Affäre, die er aufzuhellen hatte, eine der eigentümlichsten, die ihm noch in seiner Praxis vorgekommen waren.
An der Dampfschiffbrücke erwartete der Telegrapheningenieur den Detektiv. Krag wußte, daß der Ingenieur Holst hieß und ein junger, tüchtiger und energischer Fachmann war, der sich des Vertrauens seiner Vorgesetzten in hohem Grade erfreute.
»Danke, daß Sie mich abgeholt haben,« sagte Krag, nachdem sie sich begrüßt hatten, »es wäre sonst für mich schwierig gewesen, mich zu so früher Stunde an einem unbekannten Orte zurechtzufinden.«
»Ich glaubte, Sie würden ein Interesse daran haben, so rasch als möglich etwas über die Sache zu erfahren,« sagte er, »wie es auch meiner Meinung nach gilt, rasch zu handeln.«
»Ganz richtig,« erwiderte der Polizist. »Ich stimme Ihrem Eifer ganz zu.«
Es war eine Stunde Fahrt zu dem kleinen Küstendörfchen. Die beiden Männer hatten so die beste Gelegenheit zu einem Gespräch, und sie benützten sie, wie sie da auf der hartgefrorenen Landstraße in dem federnlosen, stoßenden Bauernkarren dahinrumpelten.
»Sie haben also mein Telegramm gesehen,« bemerkte der Ingenieur.
»Ja, unmittelbar bevor ich aus Christiania abreiste.«
»Ich habe also den Fehler gefunden. Eines der Kabel geht hier ans Land, und mit diesem hat der Verbrecher manipuliert. Er hat die Drähte nach Christiania herausgefunden und sie einfach jedesmal für seine Bedürfnisse der Londoner Telegramme abgeschnitten, unter denen viele wichtige Geschäftsmeldungen waren.«
»Haben Sie irgendeinen Verdacht, wer dieser Mann ist?«
»Ja.«
»Wohnt er in dem Küstendörfchen?«
»Ja und nein. Sie wissen, daß das kleine Dörfchen überall, wo es nicht ans Meer stößt, von hohen, steilen Felsen umgeben ist. Mitten in diesem Felsenchaos wohnt der Mann, von dem ich spreche. Er hat sich eine kleine Hütte gezimmert, und da hat er sich niedergelassen, um in Ruhe zu experimentieren.«
»Haben Sie ihn gesehen?«
»Nein, aber die Leute im Orte sprechen viel von ihm. Sie glauben, daß er oben nicht ganz richtig ist. Er kam vor einem halben Jahre mit einem der kleinen Boote her. Die erste Nacht verbrachte er im Zollhaus mit verschiedenen größeren und kleineren schweren Kisten. Allem Anschein nach enthielten sie seine Instrumente. Am nächsten Tage nahm er sich Leute und ließ sie auf den Berg hinaufschaffen. Seither hat er mit kleinen Unterbrechungen dort oben gehaust. Die Leute hören oft das Knallen von Schüssen aus seiner Behausung, und hie und da zeigen sich merkwürdige Lichter auf dem Felsen.«
»Welcher Nationalität gehört er an?«
»Vermutlich ein Nordländer. Aber er soll mit englischem Akzent sprechen, behaupten die, die mit ihm gesprochen haben.«
»Warum glauben Sie, daß er der ist, der sich an den Telegraphendrähten zu schaffen macht?« fragte der Detektiv.
»Weil es kaum irgendein anderer sein kann. Ihm ist so etwas schon zuzutrauen.«
»Sie erwähnten, daß die Drähte durchschnitten worden seien. Wie konnte dann die Verbindung wiederhergestellt werden?«
»Sehr leicht. Die Drähte lassen sich schon wieder zusammenflicken.«
»Wie heißt er?«
»Das weiß niemand.«
»Wie sieht er aus?«
»Klein von Gestalt. Er macht eigentlich einen unsauberen Eindruck mit seinem struppigen roten Haar und Bart. Er trägt immer einen staubgrauen Mantel, der ihm bis zu den Knöcheln reicht.«
Asbjörn Krag saß stumm da und dachte lange nach.
»Mir ahnt hier etwas Merkwürdiges, ich glaube, wir stehen vor einer großen, sonderbaren Sache.«
Der Tag begann nun schon zu dämmern, und die zwei Männer hüllten sich enger in ihre Reisemäntel, denn die Kälte war scharf.
Plötzlich zuckte der Ingenieur zusammen und wies auf ein paar kahle Felsen, die aus dem Morgennebel auftauchten.
»Da wohnt er,« rief er. »Sehen Sie das Licht?«
Und wirklich, oben im Gebirge zeigte sich ein recht großes, scharfes, blaues Licht, das unaufhörlich zuckte.
»Das ist aus seinem Laboratorium,« erklärte der Telegraphenbeamte. »Nachts läßt er manchmal mehrere Lichter zugleich flackern. Mit dem Widerschein am Himmel nimmt es sich wie eine Illumination aus. Dann sagen die Leute unten im Dorf, ›der Fels brennt‹.«
Noch eine Viertelstunde Fahrt brachte die zwei Männer in das kleine Lotsen- und Fischerdörfchen, wo der Wagen jetzt vor dem einzigen Logierhause des Ortes stehenblieb. Es brauchte Zeit, den Wirt wachzuklopfen. Eine kleine Banknote aus Asbjörn Krags Hand versetzte ihn in Bewegung und bessere Laune, so daß er den Reisenden sogar ein Glas Branntwein brachte, das ihre starren Glieder ein bißchen wärmte.
Es war nun halb sieben Uhr geworden, und unten am Strande begann so allmählich das Leben zu erwachen. Man hörte scharrende Laute von Segeln, die gehißt wurden, das Knacken von Eisschollen, die Strömung und Wind aneinandertrieben, und hie und da eine tiefe Männerstimme, einen Kommandoruf, eine rostige Ankerkette, die rasselte.
Der Detektiv schlug die kleine rotgewürfelte Gardine zurück und sah hinaus. Das Logierhaus lag dicht an der Meeresbucht, er konnte gerade in die Felsen hineinsehen, die sich riesenhaft schwarz und drohend über den kleinen roten Häuschen auftürmten.