Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi

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Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi

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drohende Macht. Aber es waren nur so lange Soldaten, bis sie sich in ihre Quartiere zerstreuten. Als diese Leute nach fünf Wochen Moskau verließen, waren sie schon keine Armee mehr, sondern ein Haufen Marodeure, von denen jeder eine Menge Sachen mit sich schleppte, die er für wertvoll hielt, ähnlich jenem Affen, welcher die Hand in einen engen Korb gesteckt hatte und eine Handvoll Nüsse erfaßte, die Hand aber nicht loslassen wollte, um nicht die Nüsse zu verlieren, und daran zugrunde ging. So mußten auch die Franzosen beim Abmarsch von Moskau zugrunde gehen, weil sie Beute mit sich schleppten. Zehn Minuten, nachdem ein Regiment in einem Stadtviertel einmarschiert war, blieb nicht ein Soldat oder Offizier mehr übrig, man sah nur Leute in Mänteln, die durch die Zimmer gingen, in den Küchen kochten und brieten. Solche Leute gab es überall viele, aber Soldaten waren sie nicht mehr.

      Die Offiziere wollten die Soldaten aufhalten, wurden aber unwillkürlich mitgerissen. In der Stellmacherstraße waren Läden mit Equipagen zurückgeblieben, und dort drängten sich jetzt Generale, um sich Kutschen und Kaleschen auszuwählen. Reichtümer gab es in großer Menge, überall gab es noch undurchsuchte Stellen, in welchen die Franzosen noch große Reichtümer vermuteten. Ganz ebenso, wie das Wasser im trockenen Boden verschwindet, so verbreiteten sich die hungrigen Soldaten in der weiten, öden Stadt, und so verschwand die Armee und verschwand die Stadt, und nichts blieb übrig als Schmutz, Feuersbrünste, Trümmer und Marodeure.

      200

       Inhaltsverzeichnis

      Erst am 2. September abends wurde auch der Stadtteil besetzt, in welchem jetzt Peter lebte. Nach den beiden letzten, in der Einsamkeit und unter ungewohnten Umständen verlebten Tagen befand er sich in einem Zustand, der dem Wahnsinn nahe war. Sein ganzes Wesen beherrschte nur ein Gedanke.

      Er verließ das Haus nur der täglichen Lebensbedürfnisse wegen. In die Wohnung von Basdejew war er nur unter dem Vorwand gefahren, die Bücher und Papiere des Verstorbenen durchzusehen, weil er Erholung von den Aufregungen des Alltagslebens suchte. Und diese fand er wirklich, als er in der tiefen Stille des Kabinetts mit aufgestützten Ellenbogen an dem staubigen Schreibtisch des Verstorbenen saß.

      Als er ausgegangen war, um einen Kaftan zu kaufen, und dabei Rostows begegnete, kam ihm der Gedanke, sich nicht zu schonen und vor dem Feinde nicht zurückzuweichen. Am anderen Tag zog er mit nach den drei Bergen. Als er nach Hause zurückkehrte und einsah, daß Moskau nicht verteidigt werde, hatte er die Empfindung, daß das, was vorher nur eine entfernte Möglichkeit gewesen, jetzt unumgänglich und unvermeidlich geworden sei. Er mußte in Moskau bleiben, seine Habe verbergen, ein Zusammentreffen mit Napoleon suchen und ihn töten, um entweder unterzugehen oder dem Unglück ganz Europas ein Ende zu machen, das nach Peters Meinung nur von Napoleon herrührte.

      Der physische Zustand Peters stimmte, wie das immer der Fall ist, mit dem moralischen überein. Die ungewohnte grobe Nahrung, der Branntwein, den er in diesen Tagen trank, die Entbehrungen von Wein und Zigarren, die schmutzige Wäsche, die er nicht wechselte, die beiden Nächte, die er fast schlaflos auf einem kurzen Diwan zugebracht hatte, alles das versetzte Peter in einen Zustand von aufgeregter Reizbarkeit, der sich dem Wahnsinn näherte.

      Es war schon zwei Uhr nachmittags, und die Franzosen zogen in Moskau ein. Peter wußte das, und anstatt zu handeln, dachte er nur an sein Vorhaben und überlegte alle Einzelheiten desselben. »Ja, einer für alle! Ich muß es vollbringen oder untergehen«, dachte er. »Mit der Pistole oder dem Dolch?« fragte er sich. »Nun, das ist ganz gleichgültig. ›Nicht ich, sondern die Hand der Vorsehung straft dich‹, werde ich ihm sagen. ›Nun, und jetzt führt mich zum Tode!‹« So sprach er vor sich hin mit düsterer, entschlossener Miene.

      In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und auf der Schwelle erschien die ganz veränderte Gestalt Makars, der sonst immer ein schüchternes Benehmen beobachtet hatte. Sein Gesicht war gerötet und entstellt, er war augenscheinlich betrunken. Als er Peter sah, zögerte er, faßte sich aber sogleich und ging mit schwankenden Schritten bis in die Mitte des Zimmers.

      »Sie haben Angst bekommen«, sagte er mit heiserer, zuversichtlicher Stimme. »Ich sage, ich ergebe mich nicht, ich sage … nicht wahr, Herr?«

      Als er die Pistole auf dem Tisch erblickte, stürzte er darauf zu und lief damit auf den Hausflur hinaus. Gerasim und der Pförtner eilten ihm nach und wollten ihm die Pistole entreißen. Peter ging hinaus und sah mitleidig diesen halbwahnsinnigen Greis an.

      »Zu den Waffen!« rief Makar. »Du wirst sie mir nicht entreißen.«

      »Aber, ich bitte Sie, lassen Sie los! Ich bitte, Herr …« sagte Gerasim und wollte den Alten vorsichtig zur Tür zurückführen.

      »Wer bist du? Bonaparte?« schrie Makar.

      »Das ist nicht schön, Herr, bitte, treten Sie doch ins Zimmer ein und ruhen Sie sich aus!«

      »Rühre mich nicht an!« schrie Makar und schwang die Pistole in die Höhe. »Zu den Waffen!«

      »Faß an!« flüsterte Gerasim dem Dwornik an. Sie faßten den Alten am Arm und zogen ihn zur Zimmertür. Man hörte auf dem Flur Geräusch, Lärm und trunkenes, heiseres Geschrei. Plötzlich vernahm man eine durchdringende weibliche Stimme von der Vortreppe her, und die Köchin kam auf den Flur herausgelaufen.

      »Sie sind da, Väterchen! Wirklich, sie sind da! Vier Reiter!« schrie sie. Gerasim und der Dwornik ließen Makar los, während an die Eingangstür geklopft wurde.

      Peter beschloß, bis zur Ausführung seines Vorhabens seinen Namen und Stand sowie seine Kenntnis des Französischen nicht zu verraten. Er stand an der Tür und wollte sich sogleich verbergen, sobald die Franzosen eingedrungen wären, aber eine unüberwindliche Neugierde hielt ihn fest.

      Es waren zwei Franzosen. Der eine war ein Offizier, ein hochgewachsener, schöner Mann, der andere schien sein Bursche zu sein, ein kleiner, hagerer, von der Sonne verbrannter Mensch mit stumpfem Gesichtsausdruck. Der Offizier ging voran, auf einen Stock gestützt. Nach einigen Schritten schien er zu dem Entschluß gekommen zu sein, das Quartier sei gut, er rief dem an der Tür stehenden Soldaten mit lauter Stimme zu, die Pferde hereinzuführen. Dann strich er mit martialischer Gebärde und hochaufgehobenen Ellenbogen seinen Schnurrbart und berührte seinen Hut mit der Hand.

      »Meinen Gruß der Gesellschaft!« sagte er vergnügt und blickte sich lächelnd um.

      Niemand antwortete.

      »Sind Sie der Herr des Hauses?« fragte er Gerasim, welcher erschreckt und fragend den Offizier ansah.

      »Quartier! Quartier!« sagte der Offizier und blickte den kleinen Mann herablassend und mit gutmütigem Lächeln an. »Die Franzosen sind gute Kinder. Zum Teufel! Wir werden nicht zanken, Großväterchen, aber spricht hier niemand Französisch?« Er sah sich um und erblickte Peter bei der Tür.

      Wieder wandte er sich an Gerasim und verlangte, er solle ihm die Zimmer des Hauses zeigen.

      »Herr nicht da … ich nicht verstehen … das meinige Ihnen …« sagte Gerasim, der sein Russisch dadurch verständlicher zu machen suchte, daß er es wie ein sprachunkundiger Fremder aussprach. Der Franzose lächelte und ging hinkend bis zur Tür, bei welcher Peter stand. Peter wollte sich entfernen, aber in diesem Augenblick sah er, wie sich die Tür der Küche öffnete und Makar mit der Pistole in der Hand herausschlich. Mit der Schlauheit eines Wahnsinnigen betrachtete er den Franzosen, hob die Pistole in die Höhe und zielte.

      »Zu den Waffen!« schrie der Betrunkene und suchte mit dem Finger den

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