Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi страница 197

Автор:
Серия:
Издательство:
Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi

Скачать книгу

Unfähigkeit, zu denken und zu fühlen. Am Tage seiner Befreiung hatte er die Leiche von Petja Rostow gesehen und an demselben Tage auch erfahren, daß der Fürst Andree noch länger als einen Monat nach der Schlacht bei Borodino gelebt hatte und erst vor kurzem in Jaroslaw bei Rostows gestorben war. Denselben Tag erfuhr er auch von Denissow den Tod seiner Frau, den dieser im Gespräch erwähnte, in der Meinung, daß er Peter schon lange bekannt sei. Alles das erschien Peter damals nur seltsam, er fühlte, daß er die Bedeutung aller dieser Nachrichten nicht begreifen könne, er bemühte sich nur, sobald als möglich von diesem Ort fortzukommen, wo die Menschen einander morden, um in einem stillen Zufluchtsort Ruhe und Sammlung zu finden. Sobald er aber Orel erreicht hatte, war er erkrankt. Als er aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte, erblickte Peter seine zwei Diener Terenti und Wassja, die aus Moskau gekommen waren, und die ältere Fürstin, die bei Jeletz auf einem Gut Peters lebte und gekommen war, um ihn zu pflegen, als sie von seiner Befreiung und Erkrankung gehört hatte. Während der Genesung vermochte Peter nur nach und nach von den Eindrücken der letzten Monate sich freizumachen und sich daran zu gewöhnen, daß niemand ihn morgen weitertreiben, daß dieses warme Bett ihm niemand wegnehmen, und daß er wirklich ein Mittagessen, Tee und Abendessen haben werde, aber im Traum sah er sich noch als Gefangener. Ebenso begriff Peter auch nur nach und nach die Neuigkeit, die er nach seiner Befreiung vernahm, von dem Tod des Fürsten Andree, vom Tod seiner Frau und von der Vernichtung der Franzosen. Ein freudiges Gefühl der Freiheit erfüllte die Seele Peters; niemand verlangte jetzt etwas von ihm, er wurde nicht weitergetrieben, alles, was er wollte, hatte er, der frühere quälende Gedanke an seine Frau hatte ihn verlassen, da sie nicht mehr war.

      »Ach, wie schön!« sagte er zu sich selbst, wenn man ihm den reinen, gedeckten Tisch mit duftender Bouillon ans Bett schob, oder wenn er sich zur Nacht in das weiche, reine Bett legte, oder wenn er daran dachte, daß seine Frau und die Franzosen nicht mehr seien. »Ach, wie schön! Wie wonnig!« Und nach alter Gewohnheit stellte er sich selbst die Fragen: »Was dann? Was werde ich machen?« Doch sogleich antwortete er sich selbst darauf: »Nichts, ich werde leben! Ach, wie wonnig!« Das, was ihn früher quälte und was er beständig suchte, der Zweck des Lebens, existierte jetzt nicht mehr für ihn, weil er jetzt Glauben hatte, nicht den Glauben an gewisse Regeln oder Worte oder Gedanken, sondern den Glauben an einen lebendigen Gott. Früher hatte er das Große, Unerreichbare und Unendliche in nichts zu finden vermocht, er hatte nur gefühlt, daß es irgendwo sein müsse, er hatte es gesucht in allem, was ihn umgab, und nur Begrenztes, Kleinliches, Sinnloses gefunden. Jetzt aber hatte er gelernt, das Große, Ewige und Unendliche in allem zu sehen, und das machte in ruhig und glücklich. Die schreckliche Frage »warum?«, die früher alle seine geistigen Bauwerke zerstörte, existierte nicht mehr für ihn, jetzt hatte er die einfache Antwort auf diese Frage: »Deshalb, weil es einen Gott gibt, ohne dessen Willen kein Haar vom Haupte des Menschen fällt.«

      250

       Inhaltsverzeichnis

      Im seinem äußeren Wesen hatte sich Peter wenig verändert, er war auch noch ebenso zerstreut und schien noch immer nicht mit dem, was vor seinen Augen lag, beschäftigt zu sein, sondern mit etwas Innerlichem. Der Unterschied zwischen seinem früheren und jetzigen Zustand aber bestand darin, daß er früher viel sprach und bisweilen mit Heftigkeit, aber wenig hörte, jetzt aber wenig gesprächig war und so zuzuhören verstand, daß die Menschen ihm gern ihre innersten Geheimnisse mitteilten.

      Die Fürstin, die Peter nie geliebt hatte und sogar ein feindliches Gefühl gegen ihn hegte, seit sie nach dem Tod des alten Grafen sich abhängig fühlte, war nach Orel gegangen, um Peter zu beweisen, daß sie ungeachtet seiner Undankbarkeit es für ihre Pflicht halte, nach ihm zu sehen, und fühlte bald mit Verdruß und Verwunderung, daß sie ihn liebe. Peter hatte die Gunst der Fürstin durchaus nicht gesucht und sah sie nur mit neugieriger Verwunderung an. Der listigste Mensch hätte sich nicht schlauer in das Zutrauen der Fürstin einschleichen können, aber die ganze Schlauheit Peters bestand nur darin, daß er sein Vergnügen suchte, indem er in der verbitterten, trockenen und auf ihre Art stolzen Fürstin menschliche Gefühle hervorrief.

      »Ja, er ist ein sehr, sehr guter Mensch«, sagte die Fürstin zu sich selbst, »wenn er sich unter dem Einfluß guter Menschen befindet, solcher Menschen wie ich!«

      Die Veränderung, die in Peter vorgegangen war, wurde auch seiner Umgebung, seinen Dienern und dem Arzt bemerkbar, der Peter behandelte. Dieser besuchte ihn jeden Tag, und obgleich er nach Art der Ärzte sich das Ansehen eines vielbeschäftigten Menschen gab, dessen Minuten kostbar sind für die leidende Menschheit, blieb er oft stundenlang bei Peter sitzen und erzählte ihm Anekdoten oder teilte ihm seine Beobachtungen über das Wesen der Kranken im allgemeinen und der Damen im besonderen mit.

      In Orel lebten einige gefangene Offiziere, und der Doktor brachte einen von ihnen, einen jungen italienischen Offizier, zu Peter. Der Italiener schien nur dann glücklich zu sein, wenn er zu Peter kommen konnte, um von seiner Vergangenheit, von seinem häuslichen Leben, von seiner Liebe zu erzählen, sowie von seinem Abscheu gegen die Franzosen und besonders gegen Napoleon. Auch ein alter Bekannter, der Freimaurer Graf Willarsky, kam zu ihm, derselbe, der ihn 1807 in die Loge eingeführt hatte. Willarsky hatte eine reiche Russin geheiratet, die große Güter bei Orlow besaß. Als Willarsky erfuhr, daß Besuchow in Orel sei, kam er zu ihm. Willarsky langweilte sich in Orel und war glücklich, einen Menschen zu finden, der demselben Kreise angehörte und, wie er glaubte, dieselben Interessen hatte. Aber zu seiner Verwunderung kam er bald zu der Ansicht, daß Peter sehr zurückgeblieben und in Apathie und Egoismus versunken sei.

      Aber dennoch war Willarsky jeden Tag bei Peter. Während Peter ihn sah und anhörte, erschien ihm der Gedanke seltsam und unwahrscheinlich, daß er selbst noch vor kurzem ein ebensolcher Mensch gewesen sei wie dieser.

      In seinen Beziehungen zu Willarsky, zur Fürstin, zu dem Arzt und zu allen Menschen mit denen er jetzt in Berührung kam, war jetzt ein neuer Zug an Peter bemerklich, der ihm die Zuneigung aller gewann. Das war das Zugeständnis der Möglichkeit für jeden Menschen, auf seine Weise zu denken, zu fühlen und die Dinge anzusehen, und das Eingeständnis der Unmöglichkeit, durch Worte einen Menschen zu einer anderen Überzeugung zu bringen. Diese berechtigte Eigenheit jedes Menschen, die Peter früher aufgeregt und gereizt hatte, bildete jetzt die Grundlage für die Teilnahme und das Interesse, das er den Menschen widmete.

      In praktischen Angelegenheiten erlangte jetzt Peter eine ihm sonst ganz fremde Sicherheit. Früher hatte ihn jede Geldfrage erregt, eine Bitte, wie sie ihm als sehr reichen Mann oft vorkam, ihn in eine aufgeregte Ratlosigkeit versetzt. »Geben oder nicht geben?« fragte er sich selber. »Ich habe, und er leidet Not! Aber ein anderer ist vielleicht noch mehr in Not. Welcher ist mehr in Not? Und vielleicht sind beide Betrüger?« Früher fand Peter keinen Ausweg daraus und gab allen, solange er etwas zu geben hatte. In derselben Ratlosigkeit befand er sich bei der Frage, die sein Vermögen betraf, wenn der eine sagte, man müsse so handeln und der andere – so.

      Jetzt fand er zu seiner Verwunderung, daß es in solchen Fragen keine Zweifel mehr gab. Er war ebenso gleichgültig in Geldsachen wie früher, jetzt aber wußte er unzweifelhaft, was er tun sollte und was nicht. Die erste Anwendung dieser neuen Eigenschaft machte er bei Gelegenheit der Bitte eines gefangenen französischen Obersten, der ihm viel von seinen Taten erzählte und am Ende ihn bat und fast verlangte, Peter solle ihm viertausend Franken geben, um sie seiner Frau und seinen Kindern zu schicken. Peter aber vermochte ohne die geringste Mühe dies zu verweigern, worüber er sich später selbst verwunderte. Zugleich aber hielt er es für nötig, List anzuwenden, um bei seiner Abreise den italienischen Offizier dazu zu bringen, Geld von ihm anzunehmen, das er augenscheinlich sehr nötig hatte. Einen neuen Beweis seines neugewonnenen praktischen Blicks sah Peter in seiner Entscheidung der Frage, wie die Schulden seiner Frau bezahlt werden sollten, und ob seine Häuser in Moskau und seine Villa vor der Stadt wieder aufgebaut werden sollten oder nicht. Sein Oberverwalter besuchte ihn in Orel, und Peter beriet sich

Скачать книгу