Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte. Kurt Tucholsky
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Читать онлайн книгу Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte - Kurt Tucholsky страница 25
»Ich möchte eigentlich noch über Ulm fahren«, sagte Karlchen. »Da habe ich eine Braut zu stehn – die hätte ich gern überhört.« – »Sie sollten sich was schämen!« sagte die Prinzessin. »Ist sie hübsch?« fragte ich. »Na, wie wird sie schon sein … deine Weiber …« Er grinste, und: Deine vielleicht … konnte er ja jetzt nicht sagen. »Wie willst du über Ulm fahren?« fragte ich. »Da kommst du doch gar nicht hin!« – »Ich fahre auch nicht«, sagte Karlchen. »Ich möchte bloß mal …« – »Er ist ein gesprochener Casanova«, sagte die Prinzessin. »Du, Alte –«, sagte ich, »manchmal läßt er seinen lieben Worten auch Taten folgen, und dann geht es gar heiter zu.« Karlchen lächelte, wie wenn von einem ganz andern wilden Mann gesprochen würde, und wir entkorkten mit einem weithin hörbaren Flupp den Whisky, woraufhin Karlchen zum ›Herrn Fluppke‹ ernannt wurde, und dann saßen wir und tranken gar nicht viel. Wir redeten uns besoffen. Die vier Windlichter bewegten sich in dem schwachen Luftzug.
»Rauch nur deine Pfeife!« sagte Karlchen. »Rauch nur! Er verträgt doch kein Nikotin, Prinzessin! Ist die Pfeife etwa neu?« – »Das ist es ja eben«, sagte ich. »Ich muß sie anrauchen. Mensch, Pfeifen anrauchen …« – »Kann man das nicht mit Maschinen?« fragte die Prinzessin. »Ich habe mal so was gehört.« – »Man kann es mit Maschinen«, sagte Karlchen. »Ich hatte einen Schulfreund, in der Oberprima, der hatte erfunden, Pfeifen mit der Luftpumpe anzurauchen. Ich weiß nicht mehr, wie er das gemacht hat – aber er machte es. Ich hatte ihm meine neue Pfeife gegeben, eine wundervolle neue Pfeife. Und da muß er wohl zu stark mit der Pumpe gearbeitet haben … und da hat sich die Pfeife selbst ausgeraucht, und es blieb überhaupt nichts weiter von ihr übrig als ein Häufchen Asche. Er hat mir eine neue kaufen müssen. Mir ist diese Pfeifengeschichte immer sehr symbolisch vorgekommen … Ja. Aber wofür symbolisch: das habe ich vergessen.« Wir schwiegen, tief sinnend.
»Ein Esel«, sagte die Prinzessin. Wir wollten protestieren – aber sie meinte einen richtigen, der da hinter den Bäumen hervorkam. Er wollte wohl auch einen Whisky haben. Wir standen gleich auf und streichelten ihn, aber Esel wollen nicht gestreichelt werden; ein weiser Mann hat herausgefunden, es sei das Unglück der Esel, Esel zu heißen – denn nur deshalb würden sie so schlecht behandelt. Diesen behandelten wir gut und nannten ihn Joachim. Und wir spielten ihm Grammophon vor … »Spiel mal büschen was aus Kaahmen –«, sagte die Prinzessin. »Nein! Spiel das mit die kleinen Gnomens …!« Da war ein Musikstück, das hatte so einen kleinen, hüpfenden Marschrhythmus, und die Prinzessin behauptete, dazu müßte eine Pantomime vonstatten gehn, in der kleine Zwerglein mit Laternlein über die Bühne huschten. Ich drehte die Platte mit den Gnomen an, der Apparat lief, der Esel fraß Gras dazu, wir tranken Whisky, und: – »Mir auch noch einen Zahn voll!« sagte Karlchen. Und die Prinzessin aß zum Nachtisch Käse mit Sellerie, das hatte ihr ein großer Gourmet empfohlen. »Wie schmeckt es?« fragte Karlchen. »Es schmeckt –«, die Prinzessin probierte langsam und sorgfältig – »es schmeckt wie schmutzige Wäsche.« Mißbilligend schlug selbst Joachim mit dem Schweife.
Und dann sangen wir ihm alles vor, was wir wußten, und das war eine ganze Menge.
»For that is the Whisky
that makes me bright and brisky!«
– »Muh!« machte der Esel und wurde verwarnt, denn er war doch keine Kuh, Karlchen blies stille Weisen auf einem Kamm mit Seidenpapier und begehrte stürmisch, im Chantant zu gehen … die Prinzessin lachte viel und manchmal würdelos laut, und ich war, wie jeder von uns, der einzig Nüchterne in diesem Hallo.
Bevor wir zu Bett gingen: »Lydia – er soll nicht wieder Postkarten schreiben! Immer schreibt er Karten.« – »Was für …?« fragte sie. – »Wenn er abreist, dann kommen am nächsten Tag ganz wahnwitzige Postkarten an, die schreibt er im Zug – das ist so seine Art, Abschied zu nehmen. Er soll das nicht; es regt mich so auf!« – »Herr Karlchen, schwören Sie, daß Sie uns diesmal keine Karten schreiben werden?« – Er gab sein kleines Gießener Ehrenwort. Wir trollten in die Heija. Und brachten ihn am nächsten Abend an den Bahnhof, zu dem kleinen Schnaufewagen, und die beiden gaben sich einen Abschiedskuß, der mir reichlich lang erschien. Und dann mußte er einsteigen, und wir standen am Wagen und gaben ihm durch das Fenster kluge Ratschläge auf den Weg, und er fletschte uns an, und als der Wagen anfuhr, sprach er freundlich: »Fritzchen, ich habe deine Zahnpaste mitgenommen!«, und ich warf vor Aufregung meinen Hut nach ihm, und der trudelte beinahe unter die Räder, und dann winkte er, und dann verschwand das Bähnlein um die Ecke, und dann sahen wir gar nichts mehr.
Und am nächsten Mittag trafen vier Postkarten ein: von jeder größeren Station eine – bis nach Stockholm. Auf der letzten stand Folgendes:
»Liebe Toni!
Laß dich auf keinen Fall auf die Polizei bestellen wegen der falschen Eintragung im Hotel – vom 15.! Bleibe eventuell fest und steif dabei, daß Du meine Tochter wärst!
Lieber Freund, ehe ich heute abend fortfuhr, habe ich Dich noch einmal von der Seite angesehn und muß sagen, daß ich aufrichtig erschrocken war. Ich glaube, Dir fallen die Haare aus. Lieber Freund! Das ist mehr als ein Anzeichen – das ist ein Symptom!
Sucht nicht vergeblich nach dem zweiten Kanarienvogel – ich habe ihn für meine lieben Kinderchen mitgenommen. Wo ist der Esel?
Liebe Marie, sieh doch bitte sofort nach, wo mein Siegelring geblieben ist – er muß unter Deinem Kopfkissen liegen. Ich weiß es bestimmt.
Schade um meinen vertanenen Urlaub!
Ich bin immerdar
Euer liebes
Karlchen.«
Viertes Kapitel
Wennt unse Paster man nich süht,
mit unsen Herrgott will ick
woll färdig werden, sä de Bur –
dor makt he sin Heu an Sünndag.
»Wie ist denn das alles so plötzlich gekommen?« fragte die Prinzessin, als ich aus der Kerze seitlich umfiel.
Wir turnten. Lydia turnte, ich turnte – und hinten unter den Bäumen kugelte sich Billie umher. Billie war kein Mann, sondern hieß Sibylle und war eine Mädchenfrau. »Junge, ja …«, sagte die Prinzessin und ließ sich hochatmend zu Boden fallen, »wenn wir davon nicht klug und schön werden …« – »Und dünn«, sagte ich und setzte mich neben sie. »Wie findest du sie?« fragte die Prinzessin und deutete mit dem Kopf nach den Bäumen hinüber.
»Gut«, sagte ich. »Das ist mal ein nettes Mädchen: lustig; verspielt; ernst, wenn sie will – komm an mein Herz!« – »Wer?« – »Sie.« – »Daddy, mit dem Herzen … diese Dame hat sich eben ierst von ihren Freund gietrennt, abers ganz akrat un edel und in alle Freundlichkeit.« – »Wer war das doch gleich?« – »Der Maler. Ein anständiger Junge – aber es ging nicht mehr. Frag sie nicht danach, sie mag nicht davon sprechen. Solche Suppen soll man allein auslöffeln.« – »Wie lange kennt ihr euch eigentlich?« – »Na, gut und gern zehn Jahre. Billie … das ist eben mein Karlchen, weißt du? Ich mag sie. Und zwischen uns hat noch nie ein Mann gestanden – das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Sieh mal, wie sie läuft! Se löpt, as wenn er de Büx brennt!«
Sibylle kam herüber.