Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte. Kurt Tucholsky
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Читать онлайн книгу Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte - Kurt Tucholsky страница 29
»Billie, hilf mir mal – kannst du das? Guck mal!« Die Prinzessin löste seit gestern an einem schweren Silbenrätsel herum. »Ich habe hier: Hochland in Asien … doch, das habe ich. Aber hier: Orientalischer Männername … Wendriner? Nein, das kann ja wohl nicht stimmen – Katzenellenbogen …? Auch nicht … Fritzchen! Sag du!« – »Wie heißt er denn nun eigentlich?« fragte Billie entrüstet. »Mal sagst du Peter zu ihm und mal Daddy und jetzt wieder Fritzchen …!« – »Er heißt Ku-ert …«, sagte die Prinzessin. »Ku-ert … Dascha gah kein Nomen – wenn hei noch Fänenand oder Ullerich heiten deer, as Bürgermeister sinen!« Verachtung auf der ganzen Linie. Aber nun war Billies Bildungsdrang gereizt; die beiden Köpfe beugten sich über das Zeitungsblatt. Ich saß faul daneben und sah zu. Und da, so vor den beiden … Kikeriki – machte es in mir ganz leise, Kikeriki … Sie tuschelten und kuderten vor Lachen. Ich zog an der neuen Pfeife, die nun schon ein wenig angeraucht war, und saß mit einer Miene da, die gutmütige Männerüberlegenheit andeuten sollte. Eben hatte Billie etwas gesagt, was man bei einigermaßen ausschweifender Phantasie auch sehr zweideutig nehmen konnte, die Prinzessin sandte mir blitzschnell einen Blick herüber: Es war wie Einverständnis zwischen Verschworenen. Nachtverschworene … Am Tage wurde fast nie von der Nacht gesprochen – aber die Nacht war im Tag, und der Tag war in der Nacht. »Liebst du mich noch?« steht in den alten Geschichten. Erst dann – erst dann!
Sie warfen das Rätsel hin. »Wir wollen es nach dem Abendbrot noch einmal versuchen«, sagte Billie. »Schlaft ihr hier eigentlich gut ein? Ich muß mich sonst immer in Schlaf lesen – aber hier geht es so schnell …« – »Du mußt es machen wie die Baronin Firks«, sagte die Prinzessin. »Die Baronin Firks war natürlich aus Kurland, und die Kurländer, das sind die Apotheker Europas –: sie haben alle einen leichten Klaps. Und wenn die alte Dame nachts nicht einschlafen konnte, dann setzte sie sich auf ein Schaukelpferd und schaukelte so lange, bis … Ja? Was ist?« Es hatte geklopft. Ein Kopf in der Tür. »Das Telephon? Zürich!« Wir liefen alle drei.
Kleiner Kampf am Apparat. »Laß mich … kannste da nich mal weggehn … Harre Gott … Laß mich doch mal!« Ich.
»Hallo!« Nichts. Wie immer bei Ferngesprächen: erst nichts. Man hörte es in der Membrane leise surren. Diese Geräusche sind je nach den Ländern, in die man telephoniert, verschieden; aus Frankreich zum Beispiel läuft ein silberhelles Gewässer durch die Drähte, und man bekommt solche Sehnsucht nach Paris … Hier surrte es. Sie hatten wohl wegen der politischen Konferenzen neue Kupferdrähte nach der Schweiz … »Mariefred? Bitte melden Sie sich!« – Und dann deutlich, aber leise eine klagende Stimme. Frau Collin.
»Hier ist Frau Collin. Sie haben mir geschrieben? Wie geht es denn Ada?« – »Ich will Sie nicht beunruhigen – aber sie muß da heraus.« – »Ja, warum denn? Um Gottes –« – »Nein, mit der Gesundheit ist das Kind in Ordnung. Aber ich schreibe Ihnen heute abend noch einmal ausführlich – diese Frau Adriani ist eine unmögliche Erzieherin. Das Kind macht einen so verängstigten Eindruck, es …« Und ich packte aus. Ich schmetterte es alles aus mir heraus, die ganze Wut und das ganze Mitleid und die Ranküne wegen der Niederlage heute nachmittag und meinen Abscheu vor solchen Herrschweibern … alles packte ich aus. Und die Prinzessin wackelte wild hetzend mit der Faust. Frau Collin blieb einen Augenblick still. »Hallo?« – »Ja, was machen wir denn da …?« Die Prinzessin stieß mich und zischelte etwas. Ich wehrte mit dem Kopf ab: Laß!
»Ich schlage Ihnen vor, daß Sie uns einen Brief schreiben, mit dem wir das Kind abholen können. Schicken Sie uns bitte einen Scheck über das, was Sie dort mutmaßlich schuldig sind … wenn’s mehr ist, will ich das gern auslegen. Und schreiben Sie es nicht der Frau: sonst wird sie das Kind nicht gleich entlassen, sondern sie wird es noch quälen – schreiben Sie also uns. Ihre Schrift kennt die Frau Adriani ja. Also, einverstanden?«
Pause der Unentschlossenheit. Ich gab eine Berliner Referenz. »Ja, wenn Sie meinen … Ach … aber wo soll ich denn dann mit dem Kind hin?« – »Ich habe in der Schweiz zu tun – ich bringe Ada zu Ihnen, und wir werden schon anderswo etwas für sie finden; aber da muß sie heraus. Wirklich – das geht nicht. Einverstanden?«
Die Stimme klagte, klang aber ein wenig fester. »Es ist so nett, wie Sie mir helfen. Sie kennen mich doch gar nicht!« – »Ich habe das da gesehen, wissen Sie … das geht nicht. Also gemacht?« – »Jawohl. Wir wollen das so machen.« Und noch einiges verbindliche Hin und Her. Knack. Abgehängt. Aus. Die beiden tanzten einen wilden Tanz, einmal ums ganze Zimmer. Ich behielt den Hörer noch einen Augenblick in der Hand. »Gott sei Dank …«, sagte ich. – »Ob sie es nun auch tut?« fragte die Prinzessin, noch ein wenig atemlos. »Was hat sie gesagt?« fragte Billie. Nun war sie schon etwas mehr bei der Sache – gar nicht mehr so höflich-teilnehmend wie heute nachmittag. Feldzugskamerad Billie … Ich berichtete. Und dann tanzten wir alle drei.
»Dascha wunnerbor!« sagte Lydia. »Wann kann ihr Brief hier sein? Heute ist Dienstag. Mittwoch … Donnerstag … In drei Tagen, wie?« Wir schrien alle durcheinander und waren so vergnügt. In mir war so etwas wie: Wohltun schmeckt süß, Rache trägt Zinsen, und liebe deinen Nächsten wie der Hammer den Amboß. »Darf ich die jungen Damen auf die Weide treiben?« Wir gingen zum Essen.
»Billie!« sagte ich, »wenn das der alte Geheimrat Goethe sähe! Wasser in den Wein! Wo haben Sie denn diese abscheuliche Angewohnheit her! sagte er zu Grillparzer, als der das tat. Oder hat er es zu einem andern gesagt? Aber gesagt hat er es.« – »Ich vertrage nichts«, sagte Billie, und ihre Stimme klang, wie wenn ein silberner Ring in einen Becher fällt … »Verträgt Margot vielleicht mehr?« fragte die Prinzessin. »Margot …«, sagte Billie und lachte. »Ich habe sie mal gefragt, was sie wohl täte, wenn sie beschwipst wäre. Sie war es nämlich noch nie. Sie hat gesagt: Wenn ich betrunken bin, das stelle ich mir so vor – ich liege unter dem Tisch, habe den Hut schief auf und sage immerzu Miau!« Das wurde mit einem sanften Rotwein begossen; Billie schluckte tapfer, die Prinzessin sah mich an, schmeckte und sprach: »Ich mache mir ja nichts aus Rotwein. Aber wenn das der selige Herr Bordeaux wüßte …«, und dann sprachen wir wieder von Zürich und von dem kleinen Gegenstand, und Billie wurde munter, wohl weil sie uns Rotwein trinken sah. Die Prinzessin blickte sie wohlgefällig von der Seite an.
Ich gähnte verstohlen. »Na, schickst all een to Bett?« fragte die Prinzessin.
»Ich schreibe noch den Brief an die Frau. Löst ihr nur euer Rätsel!« Sie lösten. Ich schrieb.
Was die Schreibmaschine heute nur hatte! Manchmal hat sie ihre Nücken und Tücken, das Luder; dann verheddern sich die Hebel, nichts klappt, das Farbband bleibt hacken, gleich schlage ich mit der Faust … »Hö-he-he!« rief die Prinzessin herüber. Sie kannte das, und ich schrieb beschämt und ruhiger weiter. So, das war fertig. Vielleicht ist der Brief zu schwer … Haben wir hier keine Briefschaukel? »Ich bringe ihn noch auf die Post!«
Es regnete. Schön ist das, durch so einen frischen Regen zu gehn … Wie heißt der alte Spruch? Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur gute Kleider. Nun, es gibt schon schlechtes Wetter; es gibt mißratenes Wetter, es gibt leeres Wetter, und manchmal ist überhaupt kein Wetter. Der Regen befeuchtete mir die Lippen; ich schmeckte ihn und atmete tief: Es ist doch hier weiter gar nichts. Ferien, Schweden, die Prinzessin und Billie – aber dies ist einer jener Augenblicke, an die du dich später einmal erinnern wirst: Ja, damals, damals warst du glücklich. Und ich war es und dankbar dazu.
Zurück.
»Na, habt ihr gelöst?« – Nein, sie lösten noch